Der Plan schien kühn. „Ich baue ein Windrad in Schwerte, aber ich habe kein Geld und kein Grundstück“, verkündete Bernd Degwer in der Redaktion der Schwerter Zeitung. Wohlgemerkt, es war 1994, als der Strom noch überwiegend aus Kohle- und Atomkraftwerken in die Steckdosen kam.
Kaum war der Aufruf des Erneuerbare-Energien-Pioniers gedruckt, stimmten seine Aussagen bereits nicht mehr. „Schon am ersten Tag meldeten sich 20 Leute, die jeweils 5.000 D-Mark geben wollten“, berichtet der Initiator der umweltfreundlichen Stromerzeugung in der Stadt. Wenig später hatte er sogar das komplette benötigte Eigenkapital von rund 380.000 DM zusammen.

Böckelühr bot Grundstück an
Und auch die Grundstücksfrage klärte sich umgehend. Der damalige Besitzer von Gut Böckelühr, Hermann Böckelühr, meldete sich am Telefon: „Ich habe hier den höchsten Punkt im Kreis Unna.“ Dort oben, an der Einfahrt zu seinem Ponyhof, musste der Wind ausreichend pfeifen, um den angepeilten Strom für rund 100 Haushalte zu erzeugen.
Die Pacht sollte Bernd Degwer mit Sohn Heinrich Böckelühr aushandeln, dem heutigen Regierungspräsidenten zu Arnsberg. In dessen damaliger Studentenwohnung in einem Villigster Keller wurde man sich einig.
Insgesamt 54 Bürgerinnen und Bürger, zum großen Teil aus der Ruhrstadt, konnten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gründen, um ihr Projekt zu verwirklichen. Den Rest zu den Baukosten von rund 500.000 Mark steuerten Fördermittel des Landes NRW und des Versorgers Elektromark bei. „Wir sind komplett ohne Bankenkapital ausgekommen“, berichtet Bernd Degwer. Das sicherte allen Beteiligten den ruhigen Schlaf.
55. Windkraftanlage in NRW
Als überhaupt erst 55. Windkraftanlage in NRW konnte auf diese Weise am Bürenbruch eine Nordex 27 auf einem 40 Meter hohen Turm errichtet werden, dessen Gitterstruktur – im Gegensatz zu den heutigen, gewaltigen Betonröhren – einem Strommast ähnelt. Seit dem 25. September 1995 drehen sich die drei Flügel, die einen Durchmesser von 27 Metern haben. 150 Kilowattstunden Strom kann der angeschlossene Generator auf diese Weise erzeugen.

Die Anlage erfüllte ihre Erwartungen. „Es gab nur zwei Ausfalltage“, sagt Bernd Degwer. Trotzdem schien Anfang 2021 das Ende besiegelt – aus wirtschaftlichen Gründen. Die Einspeisevergütung für den erzeugten Strom war durch eine Veränderung des Eneuerbare-Energien-Gesetzes so drastisch abgesenkt worden, dass sie nicht einmal mehr die Wartungskosten gedeckt hätte.
In letzter Minute gerettet
Zur Demontage rückten deshalb am 24. Februar 2021 Männer mit Schneidbrennern und einem 60-Meter-Mobilkran an. Im Eisenkäfig ließen sie sich sogar schon zu den Rotorblättern hieven. Doch dann geschah das Wunder – in Form des größten Stromausfalls, den Schwerte je erlebt hatte.
Die Zwangspause durch den fast ganztägigen Black-Out brachte den ehrenamtlichen GbR-Geschäftsführer Bernd Degwer und den Chef der Firma ins Gespräch, die seit Jahr und Tag das Windrad gewartet hatte. Spontan entschied der sich, die Windstrom-Anlage zu kaufen und weiterzubetreiben. Das sollte sich rechnen, weil er schließlich niemanden für die Wartung bezahlen musste.

„Damals ist mir ein Riesenstein vom Herzen gefallen“, bekennt Bernd Degwer. „Den Schneidbrenner zu sehen, hätte mir in der Seele wehgetan.“ Weil noch steuerliche Dinge zu klären waren, verzögerte sich die Auflösung der Windkraft Schwerte GbR.
Erst beim letzten Treffen der zuletzt 50 Gesellschafter am 3. Juli 2024 (Mittwoch) in den Kutscherstuben im Gänsewinkel wurde das Kapitel dann endgültig zugeklappt. Einige der Pioniere waren schon verstorben, andere aus privaten Gründen ausgeschieden.
Eingesetztes Kapital erhalten
„Aus 1.000 D-Mark haben wir 1.022 D-Mark gemacht“, zieht Bernd Degwer Bilanz. Damit wurde das eingesetzte Kapital erhalten. Darüber hinaus Gewinne zu erwirtschaften, sei nie das Ziel gewesen: „Wirtschaftlichkeit war zweitrangig. Wir wollten abgasfreien, umweltfreundlichen Strom erzeugen.“
Und dieses Ziel wurde mit insgesamt rund 4.375 Megawatt in 25 Jahren des Betriebs unter GbR-Regie erreicht. Rund 2.600 Tonnen CO2 wurden damit eingespart. Und dank des Investors werden es immer noch mit jedem Tag mehr.