Wer sich das Leben nimmt, lässt trauernde Menschen zurück. Sie müssen mit der ungekannten Leere klarkommen. Der Leuchtturm hilft - mit einem neuen Online-Angebot für betroffene Jugendliche.

Wandhofen

, 29.04.2019, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Was tun, wenn ein geliebter Mensch eine Entscheidung getroffen hat, die man nicht verstehen kann? Die aber unumkehrbar ist. Wie soll man nachvollziehen können, dass dieser Mensch sein Leben freiwillig beendet hat? Und wie kann man dieser Ohnmacht entfliehen?

Über das Geschehene sprechen, das wollen - und können - nur wenige Menschen. Viel zu groß sind die Fassungslosigkeit, die Trauer und das Schuldgefühl.

Schon seit Jahren hilft das Beratungszentrum für trauernde Kinder, Jugendliche und Familien in Schwerte in solchen Fragen, spendet Geduld und Energie. Nun will man das Angebot auch online ausweiten und einen virtuellen Ort erschaffen, an dem trauernde Jugendliche, die von einem Suizid im nahen Umfeld betroffen sind, ihre Worte und Gefühle lassen können.

„Es ist kein Chat. Es ist eine Mailberatung, ein Erstkontakt, aus dem irgendwann eine persönliche Beratung werden könnte - aber nicht muss“, erklärt Judith Wiedenhöft. Die Idee sei, dass die Jugendlichen von egal wo eine Möglichkeit haben, sich anonym zu melden, um sich vorsichtig an die Beratung heranzutasten.

Virtueller Ort, an dem Trauernde ihre Gefühle lassen können

Es soll ein Platz sein, an dem die Trauernden ihre Gedanken aufschreiben können, ohne auf die direkte Reaktion eines Gegenübers zu treffen. „Das aufzuschreiben, was im tiefsten Inneren vorgeht, kann schon sehr befreiend sein. Und es hilft vielleicht eher, als dass man es aussprechen muss.“

UNTERSTÜTZUNG VON AUSSERHALB

Das Online-Angebot des Leuchtturm e.V. wird durch drei Förderer unterstützt:
  • Stiftung Wohlfahrtspflege NRW
  • Karl-Bröcker-Stiftung
  • Erzbistum Paderborn

Die Verschriftlichung von Gedanken und Gefühlen ist eine Methode, die das Beratungszentrum (in Form eines Briefs an die verstorbene Person) auch im persönlichen Gespräch nutzt - der Face-to-Face Beratung. Trauerberaterin Walburga Schnock-Störmer macht das schon seit mehr als zehn Jahren. „Daraus ist auch die Idee entstanden, aus der Ohmacht schnellstmöglich ins Reden und ins Agieren zu kommen und nicht so lange mit diesen Gefühlen alleine zu sein“, erklärt sie.

Keine Peinlichkeiten, keine Entschuldigungen und eine gesunde Distanz. Das soll das Online-Angebot des Leuchtturms bieten. Der Vorteil gegenüber der Face-to-Face-Beratung: Mit der niedrigsten Hemmschwelle, die solch eine Trauerbegleitung leisten kann, soll es jungen Menschen leichter fallen, über belastende und intime Dinge zu berichten. Schambesetzte Themen können im anonymen Rahmen angesprochen werden. Man bleibt unerkannt.

Erdrückende Fragen und ein großes Pfund Schuldgefühle

Der Tod eines geliebten Menschen ist immer schwierig. Aber wenn dieser Mensch freiwillig Abschied nimmt, sein ganzes Leben und alle Personen darin hinter sich lässt - das kann man kaum verarbeiten.

„Hätte ich das nicht irgendwie verhindern können? Was habe ich nicht gemerkt?“
WALBURGA SCHNOCK-STÖRMER ÜBER SCHULDGEDANKEN NACH SUIZID IM UMFELD

Auch Walburga Schnock-Störmer kennt sich aus mit den erdrückenden Fragen nach solch einer Entscheidung: „Wenn man sich durch eine lange Krankheit darauf vorbereiten kann, dann ist der Abschied schon in der letzten gemeinsamen Zeit initiiert. Dann kann ich noch Dinge sagen, die mir wichtig sind. Bei plötzlichem Tod allgemein - auch durch Unglück oder Unfalltod - darauf kann ich mich nicht vorbereiten.“ In solchen Situationen habe man keine Chance mehr, Abschied zu nehmen.

Und wenn sich ein Mensch das Leben nimmt, stellen sich bei den Angehörigen oft ganz belastende Fragen ein, beschreibt sie: „Hätte ich das nicht irgendwie verhindern können? Was habe ich nicht gespürt? Und da ist das große Pfund an Schuldgedanken oft ein ganz heftiger Faktor. Das macht den Trauerprozess noch schwieriger.“

Online-Angebot soll das Thema enttabuisieren

Was mitgehe mit der Schuld, sei das Schamgefühl. Kann man mit Anderen darüber sprechen? Denken diese Menschen vielleicht auch, dass es Familie und Freunde hätten verhindern können?

Das führe, so Schnock-Störmer, schnell in die Einsamkeit. „Wir wissen aber: Je schneller man aus diesem heftigen Erleben ins Erzählen kommt - ob es das geschriebene Wort ist oder in einer Begegnung stattfindet - umso einfacher wird es, diese Situation gesund zu verarbeiten.“

Das Angebot des Leuchtturm e.V. soll also auch helfen, Akzeptanz für das Thema zu schaffen. Oft sei es noch ein Tabu.

„Der Kontakt per Mail mag sehr unpersönlich sein - aber genau das kann Betroffene ansprechen. Wir hoffen, dass wir so den Zugang zu Jugendlichen bekommen, die sich sonst vielleicht niemals öffnen würden. Das ist schon ein großer Forschritt“, sagt Judith Wiedenhöft. Die Sozialpädagogin koordiniert das Projekt gemeinsam mit ihrer Kollegin Tina Geldmacher.

Junge Berater werden gesucht, um die Beratung zu übernehmen

Dafür sucht das Beratungszentrum noch sogenannte Peer-Berater, also Menschen im ähnlichen Alter, die auf Augenhöhe mit den Trauernden kommunizieren. „Die Peers arbeiten von hier aus. Das Projekt ist erstmal so geplant, dass die Beratung an einem bestimmten Tag in einem bestimmten Zeitraum stattfindet“, erklärt Tina Geldmacher. „Wir sind dann natürlich auch da, können sie gut begleiten, Fragen klären und auch einspringen.“

spenden erwünscht

Die Arbeit von Leuchtturm e.V. unterstützen und trauernden Menschen helfen

  • Leuchtturm e.V.
  • IBAN: DE48 4415 2490 0000 0688 33
  • BIC: WELADED1SWT

Explizit suche man nach jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren, die aus Schwerte oder der Umgebung kommen. Mitte Mai sollen dann bis zu 10 Peers gefunden sein.

Die systemischen Beraterinnen begleiten die Peers sehr eng, so Wiedenhöft, und verschaffen ihnen vorher die notwendige Qualifizierung. Die Kommunikation soll also ausschließlich über Gleichaltrige oder Gleichgesinnte laufen, die die Trauerarbeit mitgestalten können.

Ob Trauer wirklich Arbeit ist? Wahrscheinlich nicht, auch wenn man das oft hört. Trauerarbeit klingt, als könnte man die Trauer wegarbeiten, Stück für Stück. „Das geht fast nie“, sagt Judith Wiedenhöft. „Aber vielleicht verändert sich etwas mit der Zeit.“

Die Pädagoginnen des Leuchtturm e.V. wollen Wegbegleiter sein und helfen, dass das Leben wieder aus eigener Kraft gestaltet werden kann. Dass die Trauernden sich wieder dem Leben zuwenden können. Um bald wieder Glück oder Freude zu empfinden.