Acht Monate ist es her, dass Heinrich Dian gestorben ist. Seine Frau Hildegard kümmerte sich um ihn, als er pflegebedürftig wurde. Und sie holte sich Hilfe, als ihre Kraft aufgebraucht war. © Manuela Schwerte

Trauer- und Sterbebegleitung

Wenn Angehörigen die Kraft ausgeht: Wo man Hilfe bekommt, wenn ein geliebter Mensch stirbt

Hildegard Dian war am Ende ihrer Kraft, als ihr Mann pflegebedürftig wurde und im Sterben lag. Sie fand Hilfe: eine Ehrenamtliche, die zur Freundin wurde - und mit ihr am Sterbebett weinte.

Schwerte

, 15.11.2018 / Lesedauer: 6 min

Es ist eine Herausforderung, der sich wohl jeder Mensch im Leben irgendwann stellen muss: Der eigene Partner, Mutter, Vater oder ein sehr guter Freund wird schwer krank oder so alt, dass er Pflege benötigt und letztlich auch Beistand bis zum Tod. Einem Menschen, den man liebt, dabei zusehen, wie er immer mehr abbaut, die Kräfte schwinden, das Leben zur Qual wird – das kostet Kraft. Oft mehr Kraft, als man alleine aufbringen kann.

Diese Erfahrung hat auch die Schwerterin Hildegard Dian gemacht. Sie hat ihren Mann gepflegt, weit über die eigene Kraft hinaus. „Ich war an einem Punkt, wo ich eingestehen musste: Es ist zu Ende, ich kann nicht mehr“, so die 80-Jährige.

Fünf Jahre demenzkranken Ehemann gepflegt

Fünf Jahre versucht sie, ihren Heinrich alleine zu pflegen, als er demenzkrank wird. Dann gesteht sie sich ein, dass ihre Kräfte aufgebraucht sind. Und holt sich Hilfe. Denn das ist in Schwerte sehr gut möglich, es gibt viele Ehrenamtliche, die in solchen Situationen für Entlastung sorgen: Der Verein „Die Brücke“ bietet Besuchsdienste, Sterbe- und Trauerbegleitung an.

Davon hat auch Hildegard Dian profitiert. Heute sagt sie: „Wenn du erst mal so weit bist, zuzugeben, dass du nicht mehr kannst, dann findest du auch Hilfe.“

Platz im Pflegeheim soll für Entlastung sorgen

Dieser Moment ist für Hildegard Dian gekommen, als sie im Dezember 2015 im Johannes-Mergenthaler-Haus sitzt. Und die Tochter ihres Mannes den Satz sagt, der lange überfällig ist: „Hildegard, gib es doch endlich zu, du kannst doch nicht mehr.“ Zu diesem Zeitpunkt ist ihr Mann Heinrich seit fünf Jahren demenzkrank.

Ihr Hochzeitsfoto steht im Regal, neben vielen anderen Fotos, die an die gemeinsame Zeit erinnern. © Manuela Schwerte

„2010 ist er krank geworden, da habe ich die ersten Anzeichen der Demenz bemerkt, habe es mir aber noch nicht eingestanden“, so die Schwerterin. Damals wohnt das Paar gemeinsam in Ergste. Erst 2001 haben sie sich kennengelernt, 2006 heiraten sie – spätberufen. Hildegard ist 68, Heinrich 74 Jahre alt. Zunächst sind es nur Kleinigkeiten, die man abtun kann, doch es wird schlimmer, schließlich bestätigt ein Arzt: Es ist Demenz.

Panikattacken und die Angst vor dem Alleinsein

Es gibt gute Tage, aber auch viele, viele schlechte. „Er bekam Panikattacken, das war ganz schlimm. Ich konnte ihn gar nicht mehr alleine lassen. Er wurde sehr anhänglich, wollte immer ganz nahe bei mir sitzen. Nur dann hatte man das Gefühl, dass er keine Angst hat.“ Irgendwann sucht sich Hildegard Dian stundenweise Hilfe: Über den Besuchsdienst des Grete-Meißner-Zentrums kommt jemand für ein, zwei Stunden zu den Dians nach Hause. „Dann konnte ich mal in Ruhe einkaufen gehen.“

Doch diese Entlastung reicht noch nicht. Schließlich bemühen sich Hildegard Dian und die Tochter ihres Mannes um einen Kurzzeitpflegeplatz, um eine Verschnaufpause zu bekommen. Und bei diesem Gespräch im Johannes-Mergenthaler-Haus spricht die Schwerterin aus, was unvermeidlich ist: Ihr Mann soll dauerhaft dort einziehen. Nur eine Woche später bekommt er ein Zimmer, seine Frau kann sechs Monate später in eine Wohnung ins benachbarte Luther-Haus ziehen.

Bei dieser Krankheit ist jeder Tag ein Abschied.Hildegard Dian

„Trotzdem war der Alltag noch extrem anstrengend.“ Hildegard Dian sitzt von morgens bis abends bei ihrem Mann, füttert ihn – immer im Bewusstsein: „Bei dieser Krankheit ist jeder Tag ein Abschied. Irgendwann erkennt er dich nicht mehr, Besserung gibt es nicht und dieses Leid zu sehen...“ Hildegard Dian bringt den Satz nicht zu Ende.

Mitte 2016 ruft sie bei der Brücke an. „Ich weiß nicht mehr, wie ich in dem Moment darauf gekommen bin.“ Das Warum ist letztlich zweitrangig. Entscheidend ist: Der Verein schickt ihr mit Hildburg Fischer eine Ehrenamtliche, die ihr zur Seite steht und schließlich mit ihr am Sterbebett von Heinrich weint.

Ehrenamtliche schaffen Entlastung für Angehörige

„Wenn Angehörige überfordert sind, kommt man ihnen stundenweise zur Hilfe, besucht denjenigen, der Pflege benötigt, um Entlastung zu schaffen. In diesem Fall fing es als Besuchsdienst an, ging dann in Sterbebegleitung über“, sagt Hildburg Fischer. Die 69-Jährige engagiert sich seit 2016 für die Brücke.

Als die ehemalige Leiterin einer Kita in Lichtendorf in Rente ging, merkte sie: „Du hast immer mit Menschen zu tun gehabt, es geht nicht ohne.“ Bei einem Seminar bekam sie erstmals Kontakt zur Brücke – und blieb dabei. Ihr erster Einsatz: der Besuchsdienst bei Heinrich Dian.

Die Chemie stimmt dabei von der ersten Minute an: „Als ich ,Guten Tag‘ gesagt habe, hat er meine Hand festgehalten und gar nicht mehr losgelassen“, beschreibt sie. Ab diesem Tag kommt sie regelmäßig zu Besuch. „Anfangs hat er noch von sich aus erzählt, aber man merkte schon, er war nicht mehr im Hier und Jetzt. Da kamen Erinnerungen aus der Kindheit hoch“, sagt Hildburg Fischer.

Die beiden Frauen tauschen sich aus, geben sich Halt

Und natürlich lernt sie Hildegard Dian kennen. Die beiden Frauen tauschen sich über die Besuche aus. Hildegard Dian erzählt, was ihrem Heinrich Freude bereitet hat, und Hildburg Fischer greift das auf: „Er mochte sehr gerne Musik, war in jungen Jahren ein guter Tänzer – und dann haben wir beide auch getanzt. Er lag im Bett, ich saß daneben und dann haben wir uns an der Hand genommen und haben uns nach der Musik bewegt – und er hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht“, schildert die Ehrenamtliche.

Hildburg Fischer (l.) und Hildegard Dian sind längst Freundinnen geworden. © Foto: Manuela Schwerte

Zweimal die Woche besucht sie ihn, liest ihm Märchen vor, erzählt von Alltäglichem. Schafft für ihn Ablenkung – und für seine Frau Freiräume, in denen sie ihren Mann gut versorgt weiß. „Plötzlich war sie da in unserem Alltag und wir haben eine Sprache gesprochen“, sagt Hildegard Dian. „Das Schönste war immer, wenn sie mir erzählt hat, wie er auf Dinge reagiert hat. Wir waren ihm beide nahe.“

Es ist das Gefühl „Ich bin nicht alleine“, das der Schwerterin in dieser Phase enorm hilft. Das Wissen, da ist jemand, der sich mit der gleichen Hingabe liebevoll um ihren Mann kümmert. „Ohne die Brücke wäre ich krank geworden.“

Keine Heilung möglich: Langsames Abschiednehmen

Doch auch mit dieser Unterstützung bleibt die Pflege ihres Mannes ein langsames Abschiednehmen. Anfang dieses Jahres merken die beiden Frauen, dass Heinrichs Kräfte schwinden: „Jeder weiß, wenn ein Mensch in diesem Stadium das Essen verweigert, dann will er nicht mehr“, sagt Hildegard Dian.

Mit der Demenzerkrankung gehen irgendwann auch Schluckbeschwerden einher: „Er hat sich immer schlimmer verschluckt. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm das Essen nicht aufzwinge: ,Wenn Sie nicht essen wollen, dann müssen Sie auch nicht.‘ Und da hat er den Mund zugekniffen“, beschreibt Hildburg Fischer. „Auf diesem Weg wünscht man sich irgendwann nur noch, dass derjenige erlöst wird“, sagt Hildegard Dian. Und als ihr Mann im März immer mehr abbaut, sagt sie ihm das auch: „Heinrich, du darfst jetzt sterben.“

Auch in dieser Phase ist Hildburg Fischer an der Seite des Ehepaars. Bekommt mit, dass Familienangehörige und Freunde Heinrich Dian ein letztes Mal besuchen, sich verabschieden. „In der letzten Woche war ich täglich bei ihm, auch mittags an seinem Todestag. Ich habe noch gesagt: ,Jetzt sind alle da gewesen, ist das nicht schön? Jetzt bestimmen Sie, wann Sie gehen.“

Als Heinrich stirbt, ist Hildegard an seiner Seite

Heinrich Dian geht am 17. März. „Ich war ganz allein bei ihm, das ist eine Gnade. Dass er mir das geschenkt hat, dass ich bei ihm sein durfte“, sagt seine Witwe. Das Wissen, dass ihr Mann eigentlich erlöst wurde, setzt sich trotzdem erst später durch. Zunächst dominiert die Trauer.

Auch bei Hildburg Fischer: Natürlich braucht sie für ihr Ehrenamt eine gewisse, gesunde Distanz. Aber: „Ich habe ihn eineinhalb Jahre lang besucht. Da ist man natürlich traurig, wenn dieser Mensch nicht mehr da ist. Ich habe mit den Angehörigen am Bett gesessen und geheult.“.

Jetzt kommt die Trauer, was man alles verloren hat.Hildegard Dian

Die Tränen fließen bei Hildegard Dian auch heute noch: „Im Moment weine ich viel. Jetzt kommen die schönen Erinnerungen hoch. Dann kommt die Trauer, was man alles verloren hat.“ Beistand bekommt sie weiterhin von Hildburg Fischer, die zur Freundin geworden ist: „Man hört jetzt viel zu, nimmt die Trauer ernst. Auf keinen Fall versucht man, sie wegzutätscheln“, sagt sie. Sie hat Hildegard Dian auch begleitet, als sie ihren Heinrich auf dem Friedhof besucht hat - ein sehr schwerer Gang.

Aber mit der Zeit kommt die Lebensfreude zurück. „Ich nehme jetzt langsam wieder Aktivitäten auf, kümmere mich um mich“, sagt Hildegard Dian. Mit dabei ist manchmal auch Hildburg Fischer, gemeinsam haben die beiden beim Musiktheater gelacht, immer wieder treffen sie sich zum Kaffeetrinken und reden viel.

Auch über den Schmerz des Abschieds, der immer noch da ist. Den Hildegard Dian aber nicht alleine ertragen muss.

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