Knorriges Geäst wölbt sich wie ein natürliches Tor kreuz und quer über den Trampelpfad, der sich im Hintergrund tief in das verwunschene Waldstück hineinwindet. Eine perfekte Kulisse für einen tschechischen Märchenfilm wäre der Forst, den Rolf von Lünen am Ebberg erworben hat. Doch das einen Hektar große Grundstück mit seinen exakt 241 Baumriesen hat ganz andere Aufmerksamkeiten geweckt. Er ist zum idealen Langzeit-Studienobjekt der Ruhr-Universität Bochum geworden, wo Prof. Dr. Hartmut Weigelt mit seinen Bachelor- und Masterstudierenden das Werden im Ökosystem Wald erforschen kann.
120-jährige Baumriesen
Was auf den ersten Blick wie ein Urwald wirkt, ist dafür exakt in Verzeichnissen erfasst. „Alle Bäume sind kartiert“, berichtet Rolf von Lünen und zeigt auf die derzeit unbelaubten Kronen seines Mischbestandes, in dem vertrocknete Fichten die absolute Ausnahme bilden.
Besonders wertvoll sind die mehr als 120 Jahre alten Exemplare, die schon vor Generationen von Unbekannten in die Erde gesetzt wurden. Denn nur in ihren Stämmen bilden sich topfgroße Höhlen, in denen sich Regen sammelt und Insekten anlockt – auf die es wiederum die Spinnen mit ihren Netzen abgesehen habe. Ein faszinierender eigener Mikro-Lebensraum im Baum, dem derzeit der Student Lars Wöller auf der Spur ist. Seine Kommilitonin Franziska Wöller dagegen interessiert sich für die Asseln-Gesellschaften, die im Totholz leben und dieses zu Humus umwandeln.

Um derartige Entwicklungen in Langzeitstudien erfassen zu können, ist es wichtig, dass heruntergefallene Äste exakt an ihrem Ort liegenbleiben. „Es muss alles unberührt bleiben“, sagt Rolf von Lünen, ähnlich wie in einem Nationalpark oder auch in dem Wildnis-Entwicklungsgebiet im Schwerter Wald. „Marteloskop“ heißt das Fachwort der Wissenschaftler, das der Schwerter zuvor auch noch nie gehört hatte. Auf dieser Fläche darf nichts entnommen und nichts gepflanzt werden. Es wächst nur, was die Natur selbst gesät hat.

„Ich als Kaminbesitzer gucke in die Röhre“, sagt Rolf von Lünen. Seinen ursprünglichen Plan, in dem vor drei Jahren gekauften Wald Brennholz aufzulesen, hat der Naturschützer begraben. Sorgen bereiten ihm aber die Veränderungen, die unachtsame Besucher verursachen. In sein nur ein paar Schritte vom Naturfreundehaus Ebberg und der 50-Pfennig-Wiese entferntes Forststück führt zwar kein offizieller Weg hinein, trotzdem finden unachtsame Besucher hinein, um aus Totholz, Tipis oder Landart zu bauen. Unwissende zerstören so das Ökosystem und gefährden die wissenschaftliche Arbeit. Ein Problem seien auch freilaufende Hunde, die schon des Öfteren die arbeitenden Studierenden bellend und knurrend „gestellt“ hätten.

„Bedauerlicherweise ist es nicht möglich, den betroffenen Bereich einzuzäunen, um ihn zu schützen, da ein Wildwechsel durch dieses Gebiet stattfindet“, erklärt Rolf von Lünen. Den Rehen die Freiheit nehmen möchte er nicht und appelliert stattdessen: „Bleibt die Hoffnung, dass durch die Menschen, die sich im Wald am Ebberg bewegen, in Zukunft die bisherige Forschung nicht vernichtet wird und zukünftige Forschungsarbeiten nicht weiter gestört werden.“

Zustande gekommen ist das Projekt übrigens durch eine Zusammenarbeit im Verein Stadtklima Schwerte, den Rolf von Lünen im Jahre 1991 gegründet hat. Noch weitaus länger züchtet der Vorsitzende im ausgedehnten Garten seines Wohnhauses Bäume, die regelmäßig zur Verbesserung des Stadtklimas als Pflanzgut an Schwerter Bürger verschenkt werden. Professor Hartmut Weigelt, der aus dem Dortmunder Süden nach Selm umgezogen ist, wirkt als zweiter Vorsitzender des Vereins. Er hat, wie Rolf von Lünen berichtet, mittlerweile auch schon weitere Waldstücke in Schwerte als Forschungsobjekte in den Blick genommen.
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