Eigentlich wollte sie nach Jahrzehnten in so vielen Häusern gar nicht mehr hinter dem Tresen stehen. „Ich hatte die Faxen dicke von der Gastronomie“, berichtet Sylvia Schülke, die sich schon als Jugendliche ihr Taschengeld mit Servieren aufgebessert hatte. Doch dann erschien dieses Inserat von der „Waage“. Schwertes Traditionskneipe am Postplatz stand 2012 schon seit Monaten leer und suchte einen neuen Betreiber. Die gestandene Wirtin ließ sich breitschlagen. „So lange wollte ich es nicht machen, hatte einen Fünf-Jahres-Vertrag“, bekennt sie. Doch der wurde zuerst wieder um drei Jahre verlängert, dann immer weiter. Jetzt feiert sie „13 Wilde Jahre“ in der Kneipe und will es richtig krachen lassen.

„Mir selber sagt man nach, dass ich ein bisschen eine Party-Maus bin“, sagt Sylvia Schülke verschmitzt und verweist auf ihre Gene: „Ich hab´ niederländische Wurzeln. Die feiern auch gerne.“ Diese Begeisterung springt auf ihre Gäste über, wenn die ansonsten nur mit Hintergrundmusik bespielte Kneipe zur Rosenmontagsparty herausgeputzt wird. Auch die monatlichen DJ-Abend und die Musikveranstaltungen, die das traditionelle Kneipenleben bereichern, kommen gut an. Nicht zu vergessen die Eierlikör-Party am Gründonnerstag. Das sind Angebote, die auch junge Leute zur Tür hereinlocken.
Neues und Tradition
Neue Elemente behutsam mit dem selten gewordenen, urigen Ambiente zu verbinden, ist eines der Erfolgsgeheimnisse in der Schankstube, wo die ölgemalte Wildsau wie seit gefühlt hundert Jahren unbewegt auf die hölzernen Tische herabblickt. „Sie könnte mal wieder gereinigt werden“, sinniert Sylvia Schülke - obwohl das nicht mehr so häufig nötig ist, seit höchstens noch vor der Tür geraucht wird. Gerade diese gemütliche Atmosphäre schätzen Gäste, die verstärkt die ganze Kneipe für Feiern oder Geburtstage als geschlossene Gesellschaft buchen. Mit ihrer eher kuscheligen Größe ist sie gemütlicher als so mancher kalte Saalbau: „Sie ist nicht so riesig.“
Erfolg in einer Männerdomäne
Die legendären Zeiten, als die Tresendichte so hoch war, dass man nach einem Kneipenbummel vom Bahnhof bis zum Markt kaum noch gerade stehen konnte, sind in der Ruhrstadt längst nur noch Erinnerung. „Reine Bierkneipen sind nur noch zwei in der Stadt“, sagt Sylvia Schülke. Mit ihrem Wirte-Kollegen von der Feuerteichschänke gebe es absolut keine Konkurrenz. Im Gegenteil: „Wir sind uns sehr grün.“ Das Geschäft sei immer noch eine Männerdomäne: „Da muss man sich durchsetzen. Das kann ich.“ Die Polizei musste nur ein einziges Mal auftauchen.

Die Wirtin hat alles im Blick, zumal sie nie in einer Küche verschwinden müsste. Denn Speisen stehen erst gar nicht auf der Karte. Für ein paar Happen zum Bier reichen Salzstangen, Erdnüsse und auch mal Frikadellen oder belegte Brötchen aus. Ganz anders als in den meisten Gastronomien, die die 56-Jährige in ihrem Berufsleben kennengelernt hat. In Diepholz geboren, ist sie als Tochter eines Berufssoldaten bei der Luftwaffe viel herumgekommen. Es war dann in Bad Sassendorf, wo sie als Jugendliche das Kellnern mit Kaffee und Kuchen für sich entdeckte: „Für fünf Mark die Stunde. Für eine 14-Jährige war das viel Geld. Nach sonntags vier bis fünf Stunden hatte ich mein Taschengeld ´raus.“
Im ältesten Gasthof Westfalens
Folgerichtig begann Sylvia Schülke mit 18 Jahren eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau im Wilden Mann in Soest. Danach ging es dort weiter ins Pilgrimshaus mit seiner langen Historie. „Von 1304“, weiß sie wie aus der Pistole geschossen: „Da ist der älteste Gasthof an der Pilgerstrecke nach Santiago de Compostella.“ Mit dem Betrieb pflegt sie heute noch Kontakt: „Die heutige Chefin habe ich selber ausgebildet.“ Denn einen Ausbilderschein hat die Wirtin, die 1992 schließlich nach Schwerte zog, auch noch erworben. Sie arbeitete im Haus Breer und in der Alten Marktschänke, bevor sie 1999 die Szenekneipe Im Reiche des Wasser (RdW) übernahm, die sie im März 2012 an eine Nachfolgerin übergab.

Wie gesagt: Damit sollte erst einmal Schluss sein mit der Gastronomie. Doch zum Glück für die trauernde „Waage“-Fangemeinde kam es anders. Schon am 5. April 2012 - es war ein Gründonnerstag - übernahm Sylvia Schülke den Zapfhahn in der Traditionskneipe, wo schon ab 14 Uhr die Knobelbecher herausgeholt werden. Der Wechsel der Arbeitszeiten bedeutete persönlich die größte Umstellung. „Die Waage ist eher Tagesgeschäft“, erklärt die Wirtin: „Nicht mehr so viel Nachtleben - zumindest nicht beruflich.“ Außer an solchen Wochenenden, wo in der Gaststube eine besondere Feier angesagt ist. Mal eben ins Freibad gehen oder eine Shoppingtour machen: das ist jetzt nicht mehr möglich. „Aber von der Arbeit her ist es schöner.“
Die große „Waage“-Familie
Dazu trägt gehörig bei, dass Betreiber und Besucher mittlerweile zu einer Art Familie geworden sind. Im Laufe der Jahre seien sie sich näher gekommen. „Man hilft sich untereinander“, berichtet Sylvia Schülke: „Man versucht, ein offenes Ohr zu haben.“ Dazu trage auch das langjährige Personal bei, das teilweise aus dem „Reiche des Wassers“ mitgekommen ist. Das behält mit seiner Erfahrung auch den Überblick, wenn mal ganze Trupps auf dem Weg nach Willingen oder Norderney einfallen, weil ihr Anschlusszug gerade Verspätung hat: „Wir sind die erste Kneipe nach dem Bahnhof.“ Es seien aber auch schon Fahrradfahrer auf Urlaubstour eingekehrt, die ihr Vehikel anschließend kaum noch unfallfrei zur Unterkunft schieben konnten - und gerade deswegen am nächsten Morgen wieder am Tresen standen.
Kleine Auszeit zwischendurch
Sechs Tage in der Woche ist Sylvia Schülke die Seele der Waage, deren größter Adel es war, dass ihr legendärer Langzeit-Vorgänger Hermann Kühne ihr mit seinem Stammtisch die Treue hielt. Was sie zwischendurch nur braucht, ist eine kleine Auszeit: „Ich muss ein Ziel haben: In sechs Wochen bin ich zwei Nächte da oder da. Das brauche ich zum Runterkommen.“ Wie zuletzt noch in Hamburg. Dort steuerte sie aber auch gleich noch die Gastromesse Internorga an, um neue Getränkeideen mitzunehmen.
Das Fest-Wochenende in der Waage
- Ihre „13 wilden Jahre“ als Wirtin in der Traditionskneipe Zur Waage am Postplatz feiert Sylvia Schülke mit zwei Veranstaltungen.
- Am Freitag (4.4.) ab 20 Uhr ist Kult-DJ Ruud van Laar zu Gast.
- Am Samstag (5.4.) ab 20 Uhr gibt es italienisches Flair bei Rock-Pop-Italo Classics mit dem Duo „Gregorio e Matteo“ und Gastmusiker Marc Dommermühl.
- Geöffnet ist am Samstag durchgehend bereits ab 10 Uhr mit Überraschungen wie beispielsweise einem Quiz mit Preisen.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 1. April 2025.