An jedem Sommerende muss er es wieder riechen. Sobald Manfred Schmidt (75) das Ventil des Heizkörpers unter seiner Werkbank aufdreht, ist der Brandgestank zurück. Trotz Abschleifen und neuem Lack hat er sich in die eisernen Rippen eingebrannt, die den Großbrand vor 20 Jahren überstanden haben.
Weil Geld knapp war, wurde der Radiator als einziges Teil wieder eingebaut, nachdem das Flammenmeer Verkaufsräume, Büro und Werkstatt von Video Schmidt in Ergste vollständig zerstört hatte.
Ehefrau bemerkte den Qualm
Auf einen Schlag verloren war der ganze Betriebsanbau, den der Fernsehtechniker an sein Elternhaus am Steinberg 20 gesetzt hatte, als er 1981 den Schritt in die Selbstständigkeit wagte. Die teure Ware, die wertvollen Werkzeuge und Prüfgeräte, die Theken und Regale – außer einem Berg von zerschmolzenen Gehäusen und angekokelten Gerippen hatten die Flammen kaum etwas übrig gelassen. „Da liegen 350.000 Euro ´rum“, sagt er, als er die Bilder der Verwüstung des Ausstellungsraums in einem dicken Ordner durchblättert. Auch von Decken und Wänden war nur noch wenig zu retten.

Mit 55 Jahren stand Manfred Schmidt vor dem Nichts seiner Existenz, die er sich mit viel Mühe, Sachverstand und Fleiß aufgebaut hatte. Innerhalb weniger Stunden hatte sein Betrieb aufgehört, zu existieren. Dabei hatte der Inhaber noch Glück im Unglück gehabt. Durch Zufall war seine Ehefrau in jener verheerenden Nacht vom 30. auf den 31. Juli 2003 gegen Mitternacht aufgewacht und hatte den schwarzen Rauch aus der Werkstatt heraus wabern sehen. Geistesgegenwärtig weckte sie ihren Mann.
Fehler verhinderte Schlimmeres
„Es knallte wie verrückt“, erinnert sich Manfred Schmidt. Eine nach der anderen implodierten vermutlich die Bildröhren, die damals noch in die dicken Fernsehkästen eingebaut waren. Trotzdem reagierte der Firmenchef besonnen. Als Erstes, die Uhr zeigte 0.04, alarmierte er die Feuerwehr, die schon nach fünf Minuten vor Ort war. Zweieinhalb Stunden dauerten die Löscharbeiten, bis auch die letzten Glutnester in der Ruine des Betriebs nicht mehr qualmten.
Dass das Feuer nicht aufs angrenzende Wohnhaus übergriff, verdankte der Fernsehtechniker einem Fehler. Beim Werkstattbau hatte er sich verrechnet und viel zu viel Dämmwolle bestellt. „Ich wollte sie nicht zurückgeben“, sagt er. Also packte er eine doppelte Lage unter das Dach – die hielt die Flammen zurück.

Die Ursache für den Großbrand war zunächst unklar. „Ich finde jeden Brandherd“, sagte aber selbstbewusst der Ermittler der Polizei. Ein Richter hatte versprochen, seinen besten Mann zum Steinberg zu schicken. Und tatsächlich. Er fand heraus: Es war ein folgenschwerer technischer Defekt, ein Kabelbrand. „Der Kühlschrank steckte die Bude an“, berichtet Manfred Schmidt. Das Gerät hatte sich überhitzt. Alle, die Gerüchte von einem „Warmen Abbruch“ in die Welt gesetzt hatten, waren mundtot.
Viele halfen beim Wiederaufbau
Doch nächste Schicksalsschlag ließ nicht lange auf sich warten. Als der Fernsehtechniker den Schaden seiner Versicherung melden wollte, stellte sich heraus, dass er völlig unterversichert war. Der Vertrauensmann des Unternehmens hatte ihn wohl nie darauf aufmerksam gemacht, dass beim Wachsen des Betriebs auch die Versicherungssumme hätte angepasst werden müssen. So blieb sie bei 40.000 Euro. Aber allein Ware für 350.000 Euro war verbrannt. „Ich wollte aber nicht klagen“, sagt Manfred Schmidt. Der Mann habe sowieso seine Probleme gehabt.

Wer Manfred Schmidt kennt, weiß aber, dass dieser Mann nicht so schnell aufgibt. Er schüttelte sich und begann mit dem Aufräumen: „16 Container wurden entsorgt.“ dann ging es an den Wiederaufbau. „Ganz viele Freunde haben geholfen, ohne die Hand aufzuhalten“, sagt er noch immer mit Dankbarkeit in den Augen. Die Wirtin von Haus Linneweber brachte für die Helferinnen und Helfer einen Topf Erbsensuppe, der Schwerter Metzgermeister Ralf Wilkes (jetzt: Hackepeter) eine Kiste Bier, Bratwürste und Holzkohle.
Kollegen aus der Elektrobranche halfen mit Geräten aus, Wirtschaftsförderung und Arbeitsamt unterstützten ebenfalls. Auch die Lieferanten verhielten sich sehr fair, gewährten 90 Tage Zahlfrist mit Skonto: „Damit kannst du überleben.“ Nachdem Video Schmidt zunächst provisorisch aus dem Wohnhaus heraus wieder startete, konnte schon im Herbst in den neu aufgebauten Werkstatt- und Präsentationsräumen Wiedereröffnung gefeiert werden. „Mit brandheißen Preisen“, wie es in den Werbeanzeigen hieß. Darüber kann der Firmenchef heute noch schmunzeln.
Alle Leute wollten Pornos
Es sind Tage wie diese, an denen immer wieder gerne die Anekdoten erzählt werden, wie der Aufstieg des Betriebs gelang. Was lockte die Kundinnen und Kunden in Scharen ausgerechnet zu einer Reparaturwerkstatt und Videothek fast am Ende der Welt, auf den Wiesen zwischen Ergste und dem Bürenbruch?
„Sex war in den 80ern noch tabu“, berichtet Manfred Schmidt. Doch ein Geschäft in dieser einsamen Lage konnte man diskret und unbemerkt betreten, um in der Erwachsenen-Videothek zu stöbern. Schnell stellte der Inhaber fest: „Als ich Filme verliehen habe, wollten alle Pornos sehen.“ Die meisten huschten extra kurz vor Ladenschluss um 18.30 Uhr durch die Tür, wenn man sicher war, keine anderen Kunden mehr zu treffen, die einen womöglich kannten.

Mit dem Aufkommen des Internets lohnte sich das Video-Geschäft nicht mehr und wurde aufgegeben. Doch Sex blieb ein ungeplantes Verkaufsargument. Ab 1986 für Fernseh-Satellitenanlagen. Auf einen Anhänger schraubte Manfred Schmidt eine Empfangsschüssel, die er den Kunden leihweise für eine Woche in den Garten stellte. Geheimtipp war der Teleclub Schweiz, der ab 22 Uhr viel nackte Haut auf Betten, Sofas und sonst wo zeigte.
Kunden in ganz Deutschland
Satellitentechnik ist immer noch ein wichtiger Geschäftsbereich von Manfred Schmidt. Darüber hinaus ist sein Betrieb, der neun Mitarbeiter beschäftigt, als Spezialist für Fernsehen und Sicherheitstechnik gefragt. Komplette Hotels in Garmisch und an der Ostsee hat er ausgestattet und betreut. „Unser Stil ist nicht nur Verkauf, sondern auch der Service hinterher“, sagt der Inhaber.
Er gehört zu denen, die es Ernst meinen mit Garantieversprechen und Reparaturen in der eigenen Fachwerkstatt. Wenn es dort beim Löten heute mal angekokelt stinkt, ist er sofort hellwach. Es sind die bösen Erfahrungen vor 20 Jahren: „Man ist geruchsempfindlich geworden.“
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