
© Martina Niehaus
250 Schul-Mails in drei Wochen – „Ich dachte, ich kann nicht mehr“
Serie „Wie digital sind unsere Schulen?“
Er hat sich reingehängt im ersten Lockdown, bekam Hunderte Schul-Mails für seine Kinder. Timm Decker (40) musste die Arbeitsaufträge einscannen, zurückschicken – und wusste: So geht es nicht weiter.
Als im Frühjahr 2020 der erste Lockdown kommt und Schwerter Schulen schließen, ist das für Familie Decker eine besondere Herausforderung. Denn von der Schließung sind ihre vier Kinder betroffen. Gut, wenn man einen funktionierenden Drucker hat.
Die Söhne von Timm Decker sind elf, vierzehn und sechzehn Jahre alt und besuchen die Gesamtschule Gänsewinkel. Die kleine Tochter, sieben Jahre alt, ist Zweitklässlerin an der Reichshof-Grundschule.
Unterricht wie vor zwanzig Jahren
Von Anfang an zeigt sich, wie unterschiedlich die Schulen das „Homeschooling“ handhaben. An der Grundschule gibt es keinen digitalen Unterricht; die Eltern holen die Wochenmappen am Schulgebäude ab. „Darin waren dann Zettel zum Bearbeiten. Die Klassenlehrerin hat sich Mühe gegeben, alle Kinder bekamen Rückmeldungen“, erinnert sich der 40-jährige Familienvater.

Timm Decker (40) musste während des ersten Lockdowns Hunderte Mails beantworten. Heute hat sich das Homeschooling-System verbessert. © privat
Digital waren lediglich die Mails, mit denen Eltern informiert wurden. Ansonsten sei der Unterricht gelaufen „wie vor zwanzig Jahren, mit Stift und Zettel“, erzählt Decker.
Acht Monate später habe sich an der Grundschule nicht viel geändert – auch wenn die Kinder einmal in der Woche zur Computer-AG dürfen. „Dann sind immer alle ganz aufgeregt, wenn sie eine Tastatur sehen“, weiß Timm Decker.
250 Mails in der Woche: „Ich kann nicht mehr“
An der Gesamtschule Gänsewinkel ist das Thema Digitalisierung weiter fortgeschritten. Doch der erste Lockdown machte sich mit einer Flut an Mails bemerkbar. Jeder Lehrer schrieb den Schülern Mails, mit unterschiedlichen Arbeitsaufträgen und Abgabezeiten.

Der Kontakt zu Mitschülern und Lehrern läuft von zu Hause aus über Video-Meetings oder E-Mail. Doch was ist, wenn Lehrer ihre Schüler gar nicht mehr erreichen? © Martina Niehaus (Symbolbild)
„Ich habe gedacht: Ich kann nicht mehr“, sagt der Vater. Denn der saß im Homeoffice und musste neben seiner Arbeit rund 250 Mails mit Arbeitsaufträgen bearbeiten. Innerhalb von drei Wochen. „Die Jungs sagten: Das müssen wir einscannen und zurückschicken. So ging es nicht weiter.“
Decker ist Schulpflegschaftsvorsitzender. Gemeinsam mit Schulleiter Jürgen Priggemeier erarbeiteten Eltern und Lehrer ein Konzept, das funktioniert. Heute gibt es für Kinder, die zu Hause bleiben müssen, wöchentlich eine Mail. Darin ist übersichtlich aufgelistet, was bis wann zu tun ist.
Verbindliche Videokonferenzen wären besser
Auch Videokonferenzen werden eingerichtet. Hier wünscht sich der Vater noch strengere Regeln. „Zum Beispiel, dass sich jeder verbindlich von 10 bis 11 Uhr dort einloggen muss.“ So könne man die Kinder auch besser motivieren.

Übersichtliche Pläne mit Aufgaben für zu Hause – das klappt an vielen Schulen schon ganz gut. Aber die Kinder sind mehr denn je auf Hilfe durch die Eltern angewiesen. © Niehaus
Dass es an der Gesamtschule iPad-Klassen gibt, hält der Vater, der beruflich selbst viel mit digitaler Technik arbeitet, für einen Vorteil. Nicht nur, weil die Schüler lernen, wie man mit Word Texte schreibt, in Excel Tabellen anlegt oder eine Power-Point-Präsentation anfertigt. „Sie entwickeln auch ein Verständnis dafür, was mit ihren Daten geschieht.“
„Nicht jeder kann sich einen Drucker leisten“
Trotzdem: Nach Gesprächen mit anderen Eltern hat der Schulpflegschaftsvorsitzende auch Befürchtungen. „Wo Eltern sich reinhängen, da klappt das.“ Aber was ist mit denen, die nicht von zu Hause aus arbeiten können? Oder nicht fit mit Computern sind? „Die können ihre Kinder nicht so unterstützen, diese Kinder bleiben auf der Strecke.“

Viele Schüler müssen ihre Arbeitsblätter ausdrucken, um sie zu bearbeiten. Doch nicht jeder kann sich einen Drucker leisten. © Martina Niehaus (Symbolbild)
Auch bei Familien mit geringem Einkommen gebe es Probleme – selbst wenn Endgeräte gefördert würden. „Nicht jeder kann sich mal eben einen Drucker und die passenden Patronen leisten.“
Am schlimmsten sei die Situation jedoch bei Kindern, die in ihren Familien gar keinen Rückhalt hätten. „Die Lehrer an unserer Schule geben wirklich alles. Aber was macht man, wenn man von einem Schüler keine Rückmeldung bekommt?“ Oft würden Lehrer dann versuchen, zu Hause anzurufen – aber wenn niemand drangeht? „Wir könnten die Schwächsten verlieren“, befürchtet Timm Decker.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
