
© picture alliance/dpa
Umarmen wieder erlaubt: Schwerter darf seine Frau trotzdem nicht sehen
Körperkontakt in Pflegeheimen
Wochenlang mussten Angehörige von Seniorenheimbewohnern Besuche extrem reduzieren, Umarmungen waren nicht erlaubt. Ab sofort darf man sich wieder umarmen - und trotzdem auch nicht.
Endlich, nachdem Kitas und Schulen wieder geöffnet haben, zieht das Gesundheitsministerium auch bei den Pflege- und Seniorenheimen nach. Ab sofort dürfen Angehörige in Pflegeeinrichtungen die Bewohner wieder in den Arm nehmen. Sogar Café-Besuche sind außerhalb der Einrichtungen wieder möglich. Ab dem 1. Juli sollen dann auch Besuche in Bewohnerzimmern wieder drin sein.
Die Freude war groß bei Michael Fabisch, als er in der Zeitung las, dass körperliche Berührungen wieder erlaubt sind. Seine Frau liegt im Haus am Stadtpark in Schwerte und er hat sie „seit 9 Wochen“ nicht in den Arm nehmen dürfen.
Plötzliche Lockerung kann nicht sofort umgesetzt werden
Am Montagmorgen, 22. Juni, machte er sich deshalb gut gelaunt auf den Weg zu seiner Frau. Am Seniorenheim angekommen wurde ihm gesagt, dass ein Besuch mit Körperkontakt und länger als 20 Minuten noch nicht möglich sei. Aufgebracht verließ Michael Fabisch das Seniorenheim wieder.
Auf Nachfrage der Redaktion, warum Michael Fabisch seine Frau noch nicht länger als 20 Minuten sehen darf und sie nicht berühren darf, antwortet Heimleiter Jörg Becker: „So plötzlich sind solche Lockerungen einfach nicht umsetzbar.“
Das Problem habe er schon an Muttertag gehabt. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hatte vorab angekündigt, dass an Muttertag wieder Besuche in Pflegeheimen erlaubt seien, aber auch das konnte man im Haus am Stadtpark nicht so schnell umsetzen und so waren erst am Tag nach Muttertag Besuche möglich.
Mitarbeiter und Bewohner schützen
„Wir müssen zuerst ein Besucherkonzept erarbeiten, das dann unter anderem an das Gesundheitsamt muss“, so Becker. Insgesamt müssten drei Instanzen drüber schauen. Dazu gehören der Vorgesetzte vom Heimleiter, der Bundesverband für Pflege und das Gesundheitsamt. Erst dann wird es genehmigt. Das gehe nicht von heute auf morgen.

Plötzlich dürfen Berührungen wieder stattfinden, „aber ganz so einfach ist es nicht“, sagt Jörg Becker. © Laura Schulz-Gahmen
Trotzdem hat Jörg Becker Verständnis für Michael Fabisch. „Ich kann ihn auch verstehen. Er möchte eben gerne seine Frau wieder in den Arm nehmen“, so Becker. Trotzdem sei die oberste Priorität, die 100 Mitarbeiter und die 100 Bewohner zu schützen. „Wir hatten während der ganzen Zeit keinen positiven Coronafall“, sagt Jörg Becker. „Und ich möchte, dass das auch so bleibt.“
Es werde trotzdem versucht, den Bewohnern etwas gegen die Langeweile zu bieten. Beispielsweise gibt es alle 14 Tage ein Innenhofkonzert. „Was möglich ist, machen wir auch“, versichert der Heimleiter.
Einrichtungsleiter können selbst entscheiden
Zudem ist die Zeit bis zur Umsetzung dem jeweiligen Einrichtungsleiter überlassen. „Alle Heime machen es auch anders“, sagt Jörg Becker. Das scheint zu stimmen, denn auch im Pflegeheim Dr. Kneip in Schwerte hat man sich dazu entschlossen die Lockerungen noch nicht sofort zuzulassen.
Verwaltungsleiter Guideon Wegner sagt dazu: „Die neuen Lockerungen wurden ja auch erst am Wochenende verbastelt.“ Heißt, so kurzfristig könne man die Lockerungen nicht umsetzen und so bleibe es erstmal beim aktuellen Status. „Es ist ja auch etwas unglücklich, wenn man mal auf die steigenden Infektionszahlen in Dortmund blickt. Aber wir haben bis jetzt Glück gehabt“, sagt Wegner weiter.
Der aktuelle Status bedeutet: Es gibt ein Wohnzimmer und mitten drin trennt eine Plexiglasscheibe die Bewohner von den Angehörigen. Durch einen Nebeneingang können Besucher direkt in den Raum gelangen, um ihre Verwandten zu besuchen.
Ganz ähnlich wird auch im Klara-Röhrscheidt-Haus der Diakonie Mark-Ruhr in Schwerte verfahren. Pressesprecher Fabian Tigges sagt dazu: „Es müssen erst gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Wir sind dran und müssen den Schutz aller Mitarbeiter und Bewohner sicherstellen.“ Der aktuelle Stand sei, dass ab dem 1. Juli Besuche mit einem neuen Konzept stattfinden können. „Dann wird körperlicher Kontakt möglich sein, aber nur mit Mundschutz.“
Keine Frage des Wollens
Der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) hat am Montagnachmittag in einer Pressemitteilung seinen Unmut über die aktuelle Lage zum Ausdruck gebracht. Es heißt darin: „Diese Resolution löst bei uns und unseren Mitgliedern Kopfschütteln aus. Es wird suggeriert, Einrichtungen und ihre Mitarbeiter würden böswillig Besuche verhindern oder übervorsichtig sein. Tatsache ist, dass die Besuchsbeschränkungen in der Regel extern vorgegeben sind und keine Frage des Wollens von Einrichtungsträgern“, so Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des VDAB.
Apell an Gesundheitsminister Laumann
Auch am Dienstagmittag sind die Diskussionen im Pflegebereich um die neuesten Lockerungen nicht abgerissen. In einer erneuten Pressemitteilung des VDAB heißt es von Bernd Uhlenbruch, Vorsitzender des VDAB Landesverbands Nordrhein-Westfalen: „Gesundheitsminister Laumann bringt mit seinem Aktionismus Pflegeunternehmen, Pflegekräfte, Angehörige und Pflegebedürftige in eine unmögliche Situation, wenn er quasi über Nacht die Besuchsregelungen in Pflegeeinrichtungen lockert und aktiv zu Besuchen mit Körperkontakt aufruft.“
Der Verband appelliert inständig an den Gesundheitsminister, seine Lockerungen zurückzunehmen, da nicht davon ausgegangen wird, dass im Ernstfall Minister Laumann die Verantwortung für die fatalen Folgen, die diese Lockerungen mit sich bringen werden, übernehmen werde.
Laura Schulz-Gahmen, aus Werne, ist Redakteurin bei Lensing Media. Vorher hat sie in Soest Agrarwirtschaft studiert, sich aber aufgrund ihrer Freude am Schreiben für eine Laufbahn im Journalismus entschieden. Ihr Lieblingsthema ist und bleibt natürlich: Landwirtschaft.
