Derbe Tiefschläge und hauchzarte Melancholie Martina Brandl eröffnet die Kleinkunstwochen

Pünktlich zum Frauentag: Martina Brandl eröffnet die Kleinkunstwochen
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„Eigentlich mag ich das nicht – dass ich zu so einem Frauenabend eingeladen werde“, erklärt Martina Brandl. Pünktlich zum Internationalen Frauentag (8. März) eröffnet die bekannte Kabarettistin die Schwerter Kleinkunstwochen in der Rohrmeisterei.

Direkt am Einlass sind an diesem Abend auch Stände von unterschiedlichen Organisationen, wie der Frauenhilfe, des Frauenforums Kreis Unna oder der Arbeitsgemeinschaft Schwerter Frauengruppen vertreten, die auf unterschiedliche Themen im Rahmen der Gleichberechtigung aufmerksam machen.

Neben Amnesty International, oder dem Frauenforum Kreis Unna ist auch die evangelische Frauenhilfe zum internationalen Frauentag in der Rohrmeisterei vertreten.
Neben Amnesty International oder dem Frauenforum Kreis Unna war auch die evangelische Frauenhilfe zum internationalen Frauentag in der Rohrmeisterei vertreten. © Mahad Theurer

Ein Abend wie dieser würde zeigen, dass man noch lange nicht da angekommen sei, wo man hinwolle, so Brandl. Gleichberechtigung sei dann, wenn sie am 8. März mal nicht arbeiten müsse. Diesen Aspekt greift auch Birgit Wippermann, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Schwerte auf: Statistisch gesehen, sei man in Deutschland noch 50 Jahre davon entfernt, den Gender Pay Gap zu überwinden. 131 Jahre würde es dauern, bis alle Menschen weltweit gleichberechtigt leben könnten, erzählt sie. Dann gibt sie den Ring frei für Martina Brandl.

„Hupende Zahnbürsten“

Die kommt mit offenem Visier auf die Bühne. Mit einer Mischung aus schonungsloser Selbstironie und Angriffslust arbeitet sie sich in ihrem Programm „brand(l)neu“ an Themen wie dem Älterwerden als Frau, Gegnern von genderneutraler Sprache, Technisierung, One-Night-Stands mit jungen Männern und der Liebe ab.

Ihren Geschichten folgen immer wieder Gesangsnummern, bei denen sie ihr Partner Martin Rosengarten auf dem Keyboard, der Gitarre oder dem Midi-Controller begleitet. Mit Lust seziert Brandl Alltagssituationen. Mokiert sich über mitteilungsfreudige Technik, wie piepende Mikrowellen und hupende Zahnbürsten, die aber nicht darüber hinwegtäuschen könnten, dass die zwischenmenschliche Kommunikation liebloser geworden sei.

Viele Pointen sitzen

Das Thema Sprache nimmt die Wahlberlinerin mit großer Freude an Spitzfindigkeiten aufs Korn: Preise würden beispielsweise zu Orten, wenn der Preis einer Hose bei 200 Euro liege. Doch legt sie auch den Finger in die Wunde, als sie über Gegner von genderneutraler Sprache sinniert. Diese würden häufig von der Vergewaltigung der schönen deutschen Sprache sprechen. Vergewaltigung sei jedoch etwas völlig anderes, und nicht die deutsche Sprache nach dem Gendern „kaputt und hässlich“, sondern diejenigen, die andere dazu zwingen, Sex zu haben.

Treffsichere Momente wie diese hat Martina Brandl einige. Zum Beispiel wenn sie die Fußballverrücktheit der Deutschen beleuchtet: „Es guckt ja auch niemand Eiskunstlaufen, rennt dann zum Fenster und brüllt: ‚10 Punkte in der A-Note, Jaaaaaaa‘.“ Ansonsten geht es Martina Brandl viel um das Älterwerden als Frau, Schönheitsideale und natürlich Sex. Zimperlich geht sie dabei weder mit sich selbst noch mit der holden Männlichkeit um.

Formunschöne Brüste, unrasierte Berliner Hipster mit Filzbart, die beim One-Night-Stand Erektionsprobleme beim Anblick der weiblichen Schambehaarung bekommen und zerfledderte Unterhosen. Martina Brandl zielt mit Vorliebe unter die Gürtellinie. Mit entwaffnender Offenheit und Warmherzigkeit ob der scheinbar eigenen Unzulänglichkeiten, schafft sie eine kathartische Atmosphäre. Das vorwiegend weibliche Publikum kommt auf seine Kosten.

„Königin des Schabrakentums“

Richtig frisch ist dieses Konzept freilich nicht, das weiß auch Martina Brandl, die sich selbstironisch sowohl zur „Grand Dame des Kabaretts“, als auch zur „Königin des Schabrakentums“ kürt – eine muss den Job ja machen. Auch verrennt sie sich in ihrer Lust an Derbheit, wenn sie sagt, Frauenkabarett gebe es nicht, weil Unterleibszysten nicht so lustig seien wie Prostatabeschwerden (Anm. d. Red.: In einer früheren Version dieses Textes hatten wir von „Eierstockzysten“ und „Prostatakrebs“ gesprochen. Martina Brandl hat sich jedoch davon distanziert, diese Worte gebraucht zu haben.). Kabarett in eine reine Mann-Frau-Dichotomie zu zwängen, ist dann doch etwas unterkomplex.

Gerade in den musikalischen Nummern blitzt bei Martina Brandl eine warmherzige Melancholie durch.
Gerade in den musikalischen Nummern blitzt bei Martina Brandl eine warmherzige Melancholie durch. © Mahad Theurer

Doch hinter all den Zoten blitzt gerade in den handwerklich beschlagenen Gesangsnummern eine zerbrechliche Melancholie durch, der es in Wirklichkeit um die Liebe und Erfüllung geht. In dieser Melancholie schwingt auch die knapp zweijährige Bühnenpause mit, die die Performerin während der Pandemie einlegen musste.

Starke Interaktion mit Publikum

Beeindruckend ist zum Beispiel der Titel „Zu Hause“, der die Unlust am Reisen, die Monotonie eines misslungenen Kleinkunstabends und das Gefühl einer Person im Altenheim miteinander verknüpft. Alle drei Perspektiven wünschen sich nach Hause.

Beeindruckend sind ebenfalls Brandls Interaktionen mit dem Publikum. Minutenlang hält sie pointiert improvisierte Dialoge. Hier stehen 30 Jahre Bühnenerfahrung zu Buche und werden am Schluss des Abends mit gebührendem Applaus gewürdigt.

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