Mit gespendeter Schutzausrüstung können Mariola Szczypiorski (l.) und ihr Team ihre Patienten in den Ergotherapie-Praxen in Dortmund-Holzen und Schwerte behandeln. © Reinhard Schmitz
Therapiepraxen
Therapeuten kommen wegen Corona in Not: „Wir haben keine Priorität“
Als Teil des Gesundheitssystems zählen auch Ergo- oder Physiotherapeuten zur kritischen Infrastruktur. Doch die fühlen sich gerade im Stich gelassen. Es fehlt nicht nur an Schutzausrüstung.
Die Therapeuten in Schwerte und Umgebung schlagen Alarm. Ob Ergo- oder Physiotherapeut, Logopäde oder Podologe: Vielen fehlen wegen der Angst vor Corona die Patienten. Das gefährdet die Existenz mancher Praxis.
Die meisten Therapeuten müssen bereits unter erschwerten Bedingungen praktizieren – und fühlen sich vom Staat allein gelassen.
Kein Anspruch auf Schutzausrüstung
Die Physiotherapeutin Mariola Szczypiorski betreibt Praxen in Dortmund-Holzen und Schwerte. Sie berichtet über die Gründe, warum in den Therapieberufen gerade Unruhe herrscht. Einer davon: „Wir können die Hygienemaßnahmen nicht einhalten.“
Das liege unter anderem an der Ungleichbehandlung bei der Verteilung von Schutzausrüstung, ergänzt Tochter Anja, die ebenfalls Physiotherapeutin ist: „Die Kässenärztliche Vereinigung sagte uns, wir haben keine Priorität und werden nicht beliefert.“ Das Problem: „Wir dürfen aber nur mit entsprechenden Hygienemaßnahmen arbeiten.“
Patienten spendeten Mundschutz und Desinfektionsmittel
Durch Sachspenden von Patienten und Bekannten kamen Kittel, Mundschutz, Ganzkörperanzüge und Desinfektionsmittel zusammen. Dennoch kann Mariola Szczypiorski die weitere Einhaltung der Hygienemaßnahmen nicht mehr gewährleisten.
Mit der aktuell erhältlichen Anzahl an Mundschutz können nur die Therapeuten ausgestattet werden. „Die Versorgung der Patienten mit Mundschutz ist damit nicht möglich“, bedauert die Chefin.
Um die Sicherheit ihrer Patienten und Therapeuten nicht zu gefährden, entschloss sie sich zu einer drastischen Maßnahme: „Ich habe das Gesundheitsamt um Schließung gebeten. Wir haben aber bis heute keine Antwort erhalten.“ Sollte eine Schließung durch das Gesundheitsamt angeordnet werden, hätte Mariola Szczypiorski Anspruch auf Erstattung sämtlicher Kosten des Praxisbetriebs.
Patienten sagen aus Angst die Termine ab
Ein weiterer Kritikpunkt der Praxis-Chefin: Im Gegensatz zu Ärzten bekommen die Therapeuten ausgefallene Termine nicht finanziell entschädigt. Aber gerade jetzt würden viele Termine ausfallen, was einige ihrer Kollegen auch in Schwierigkeiten bringt.
„Viele Patienten haben Angst, sie gehören auch selbst zur Risikogruppe. Bis jetzt haben 60 Prozent meiner Patienten ihre Termine abgesagt.“ So mache ihr Team schon Hausbesuche, um Risikopatienten, die sich nicht in die Praxis trauen, dennoch behandeln zu können.
Trotzdem fällt durch die abgesagten Termine etwa die Hälfte der Einnahmen weg.
Zwar gäbe es die Möglichkeit für das kommende Quartal bis zu 25.000 Euro finanzielle Unterstützung zu beantragen. „Das ist aber nicht steuerfrei, da geht dann noch die Hälfte von weg. Das reicht dann nicht für drei Monate“, merkt Szczypiorski an, die zwei Praxen samt Mitarbeitern bezahlen muss.
Viele Patienten benötigen dringend eine Therapie
Patienten wie Dirk Regenitter sind auf die Fortführung des Praxisbetriebes angewiesen. Der 52-Jährige ist an Multiple Sklerose erkrankt und sitzt im Rollstuhl. Seit knapp 20 Jahren befindet er sich in therapeutischer Behandlung.
„Wenn die Therapie für mich ausfallen muss, ist das sehr schlecht, weil ich dann körperlich abbaue und unselbstständig werde.“ Vier Tage in der Woche fährt Regenitter selbstständig in die Praxis in Dortmund-Holzen, erhält dort Krankengymnastik und Ergotherapie. „Mit Hilfe kann ich noch Gehen, ohne die Therapie würde das irgendwann nicht mehr funktionieren.“
Bei der Behandlung von Dirk Regenitter ist voller Körpereinsatz gefragt. Er besucht die Praxis von Mariola Szczypiorski (l.) vier Mal pro Woche. © Reinhard Schmitz
Seine größte Angst ist, dass die Praxis von Szczypiorski schließen muss, wenn die Hygienemaßnahmen nicht mehr eingehalten werden können. „Man sieht ja auch, dass die Therapeuten mit Einweganzügen vom Maler rumlaufen. Die Leute müssen hier schon improvisieren.“
Auf der anderen Seite habe er aber selbstverständlich auch Angst vor einer Ansteckung. Seine Behandlung erfolgt mit schließlich auch mit viel Körperkontakt.
„Unsere Patienten brauchen keine Angst haben“
Die aktuelle Situation belastet aber offenbar nicht nur die Patienten. „Auch meine Mitarbeiter entwickeln Ängste. Die schränken zur Sicherheit der Patienten bereits seit Wochen private soziale Kontakte ein.“ Aus Rücksicht vor den Risikopatienten und der knappen Schutzausstattung.
Dennoch legt Mariola Szczypiorski auf eines Wert: „Unsere Patienten brauchen keine Angst haben, in die Praxis zu kommen. Wir sind weiter für sie da.“ Die Sicherheit der Patienten stehe an erster Stelle. „Wir agieren sehr bedacht und treffen alle Sicherheitsmaßnahmen, die uns aus eigener Kraft möglich sind.“
Praxis-Chefin fordert Ausgleichszahlungen
Mariola Szczypiorski erwartet ein baldiges Handeln von Bund und Land. „Wir wollen als Teil des Gesundheitssystems wie ein solches behandelt werden – mit Schutzmaßnahmen für Patienten und Therapeuten“, fordert die Therapeutin. Das Dortmunder Gesundheitsamt sieht bei einer „1 zu 1“-Therapie das desinfizieren von Händen und Flächen aktuell als ausreichend an. „Uns reicht das für die Sicherheit der Patienten und Mitarbeiter aber nicht aus.“
Zudem fordert sie, dass die Krankenkassen künftig Ausgleichszahlungen für ausgefallene Behandlungstermine leisten, so wie es bei Arztterminen üblich ist.
Des Weiteren sollten finanzielle Hilfen steuerfrei sein und die Therapeuten nicht mit der kommenden Steuererklärung zusätzlich belasten. Damit es auch in Zukunft noch genügend Therapie-Praxen gibt, die Patienten versorgen können.
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