Nirgendwo in Schwerte ist die Wohnqualität höher als in der Kreinbergsiedlung. Jörg Kunde überrascht das nicht. Er lebt dort schon seit dem Kindesalter. Und will auch nicht mehr weg.
Bei Carlos. Das schlägt Jörg Kunde als Treffpunkt vor. Er nimmt die Zukunft seines Ortsteils schon vorweg. Ein paar Wochen werden wohl noch ins Land gehen, bis der Dortmunder Kult-Gastronom das altehrwürdige Haus Kreinberg als portugiesisches Event-Restaurant wiedereröffnet. Samt Segelschiff im Saalanbau, wo die Gäste zwischen Planken und Tauen in ganz besonderer Atmosphäre speisen werden. Ein Parkplatz für die Besucher wird am Rande der Siedlung, an der Ecke Ostberger-/Lichtendorfer Straße, gerade hergerichtet.
Jörg Kunde wird ihn nicht brauchen. Er ist viel zu Fuß in seinem Ortsteil unterwegs, der überwiegend in den 1920er-/1930er-Jahren für die Arbeiter des angrenzenden Eisenbahn-Ausbesserungswerkes weit vor den Toren der Ruhrstadt hochgezogen worden ist. Die riesigen Grünflächen zwischen den Häuserzeilen spiegeln die Ideen der Gartenstadtbewegung wider. Kein Wunder, dass die Kreinbergsiedlung in Sachen Wohnen mit neun von zehn Punkten die beste Bewertung der ganzen Ruhrstadt einheimste. Viele wollen dort nie wieder weg. Auch Jörg Kunde nicht.

Komplett unter Denkmalschutz steht die frühere Eisenbahner-Siedlung Schwerte-Ost, die von viel Grün dominiert wird. © Reinhard Schmitz
Seit seinem sechsten Lebensjahr wohnt er in Schwerte-Ost, wo auch schon sein Vater aufgewachsen war. „Außer im Urlaub kommt man da nicht raus“, sagt er.
Der 48-Jährige ist fest verwurzelt in seinem Ortsteil. Hier machte er seine Ausbildung zum Bäcker bei den Meistern Helmut Herdickerhoff und Frank Thielen. Hier lernte er seine Ehefrau Anke kennen, die im selben Betrieb Bäckerei-Fachverkäuferin lernte. Zusammen bezogen sie eine Wohnung in der Gehrenbachstraße. Sohn Dominik, Jahrgang 1995, hatte es beim Auszug nicht weit. Warum auch, bei dem guten Verhältnis zu seinen Eltern. Er lebt mit ihnen auf demselben Flur. Und holt sich morgens seine Brote ab.
Nachbarschaft wird überhaupt groß geschrieben. „Man kennt sich, man grüßt sich - das ist noch eine alte Gemeinschaft“, sagt Jörg Kunde. Das war schon so, als alle Männer noch im Eisenbahnwerk nebenan die Dampflokomotiven reparierten und pottschwarz nach Hause kamen. „Negerdorf“ taufte der Volksmund deshalb die Siedlung, die immer irgendwie ein Eigenleben führte. Mit eigenem Konsum, Sparkasse, Post und sogar einem Kino im Kreinbergsaal.
Von den Geschäften ist nur der Bäcker geblieben, bei dem Jörg Kunde allerdings schon lange nicht mehr arbeitet. Er hat umgesattelt, blieb aber ganz in der Nähe. Zu Fuß kann er zum Salzgitter-Mannesmann Stahlservice gehen, der einen Teil des alten Ausbesserungswerks mit neuem Leben gefüllt hat. Irgendwie ist er dort sogar Eisenbahner geworden. Er fährt die Werkslok mit den tonnenschweren Stahlladungen in die Hallen. Die verbindet eine Gemeinsamkeit mit ihrem Lokführer. Denn sie verlässt Schwerte-Ost ebenfalls nie.

Fünf Punkte gab es für die Gastronomie in Schwerte-Ost. Darin spiegelt sich sicherlich die Vorfreude auf das Erlebnis-Restaurant "Carlos, der Seefahrer" wider, das voraussichtlich Ende April im Haus Kreinberg eröffnet werden soll. Ansonsten gibt es im Ortsteil noch eine Pizzeria und bald eine Hausbrauerei in der früheren Metzgerei Am Hohenstein. © Reinhard Schmitz
Das wurde positiv bewertet
Wohnen: Ein Durchschnitt mit 9 von 10 möglichen Punkten sind der Topwert unserer Umfrage für die denkmalgeschützte Siedlung, deren 983 Wohneinheiten komplett der Eisenbahner-Wohnungsgenossenschaft (EWG) Schwerte gehören. Die vermietet obendrein ihre Wohnungen noch sehr günstig an ihre Mitglieder. Die Grundnutzungsgebühr (kalt) beträgt im Schnitt gerade mal 4,36 Euro pro Quadratmeter. Seit fünf Jahren engagiert sich Jörg Kunde im Aufsichtsrat der Genossenschaft. „Ich wohne gerne da“, sagt er und spricht damit wohl seinen Nachbarn aus der Seele. Seinen Arbeitsplatz erreiche er zu Fuß schneller als mit dem Auto. Und zum Joggen gebe es den nahen Gehrenbachsee: „Oder zur Ruhr ist es auch nicht weit.“ Zurück am besten am Sportplatz entlang, da geht es nicht so steil bergauf wie Am Quickspring.
Grünflächen: Man muss nur einmal hinter die Häuser schauen, um zu wissen, dass die 8 Punkte mehr als angemessen sind. „Das Schöne ist, dass jedes Haus einen Garten hat. Man kann schön draußen sitzen“, schwärmt Jörg Kunde. Und zwar ohne gängelnde Regelungen, wie man sie von Schreber-Vereinen hört. „Die einzigen Vorschriften sind von meiner Frau - wo ich welche Blumen zu pflanzen habe“, erzählt Jörg Kunde und schmunzelt. Er sitze eigentlich jeden Tag draußen. Bei ungemütlichem Wetter eben in der Laube. Gegrillt wird immer - auch im Winter.
Sauberkeit: Müllhaufen auf dem Bürgersteig - Fehlanzeige. Sehr gute 8 Punkte verdient sich die Kreinbergsiedlung in Sachen Sauberkeit. „Die EWG hat extra Ständer für Hundekotbeutel aufgestellt“, berichtet Jörg Kunde. Und die einzigen großen Graffitis sind künstlerisch gestaltet. Bei einem Projekt wurde die einstmals graue Umfassungsmauer des Eisenbahn-Ausbesserungswerks mit bunten Szenen von Zügen und Waggons verschönert.
Lebensqualität: Zu den 7 Punkten beigetragen haben gewiss auch die vielfältigen Bemühungen der Eisenbahner-Wohnungsgenossenschaft für ihre Mieter. Es gibt einen Nachbarschaftstreff im ehemaligen Blumenladen an der Lichtendorfer Straße, der vorwiegend von Senioren besucht wird. Alle Bewohner können zusammen feiern, wenn auf dem Festplatz an der Heinrich-Wick-Straße der stimmungsvolle Weihnachtsmarkt oder das alle zwei Jahre stattfindende Sommerfest organisiert werden. „Wenn keine Fußball-Weltmeisterschaft oder -Europameisterschaft ist“, erklärt Jörg Kunde. Das ist in diesem Jahr wieder der Fall. Im Juli geht mit der Schwerter Kultband Krass die Post ab.
Das wurde negativ bewertet
Familienfreundlichkeit: „Ich verstehe nicht, dass das so schlecht bewertet wurde“, sagt Jörg Kunde zu den nur 4 Punkten - der niedrigste Wert in ganz Schwerte. Für diese Thema sprächen doch die Gärten, einen Kindergarten gebe es auch, zur Schule auf der Heide sei es nicht weit. „Höchstens können es die hellhörigen Häuser sein“, vermutet der 48-Jährige.
Jugendliche: 4 Punkte sind wenig. Aber es gebe auch nur diesen Bauwagen für die Jugendlichen, sagt Jörg Kunde. So ganz verstehen kann er die Kritik aber nicht: „Früher haben wir uns selbst beschäftigt - heutzutage müssen sie alle bespaßt werden.“
Nahversorgung: Wenigstens der Bäcker, die Pizzeria und ein Physiotherapeut über der Bäckerei sind geblieben. Dafür gab es immerhin 5 Punkte. „Der Markant fehlt natürlich“, weiß Jörg Kunde nach der Schließung des Supermarktes: „Die jungen Leute haben alle Autos, aber für die Älteren ist es natürlich schlecht.“ Für sie bleibt nur der Bus der Linie C31 zum Einkaufszentrum am Schwerter Bahnhof.
Das ist die Siedlung Schwerte-Ost

Generationen von jungen Eisenbahnern wurden in der Lehrlingswerkstatt des Eisenbahn-Ausbesserungswerkes Schwerte-Ost ausgebildet. © Archiv Rudolf Kassel
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
