Konzept der Montessori-Schule am Wellenbad Wie macht man aus einem Restaurant eine Schule?

Gutshof Wellenbad: Wie macht man aus einem Restaurant eine Schule?
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Auf dem riesigen Außengelände des Gutshofs Wellenbad in Schwerte-Geiseke sind bald die Äpfel reif. Gepflückt werden sie dann von den Kindern und Jugendlichen, die hier ihre neue Montessori-Gesamtschule besuchen. Denn der Montessori Campus Westfalia (MCW) wird zum 1. Oktober das Gebäude und Gelände des Hotel-Restaurants übernehmen. Inhaber Lars-P. Weinhold muss das Restaurant schließen - wir hatten darüber berichtet.

Im Schul-Ausschuss am Mittwochabend (6.9.) wurde die Entscheidung für die Nachfolge dann öffentlich gemacht: Die höheren Jahrgänge der im Jahr 2012 gegründeten Montessori-Schule aus Hagen werden nach den Herbstferien hier gemeinsam lernen. Das Wort „gemeinsam“ kann man dabei wörtlich nehmen: Viele Dinge entscheiden die Kinder und Jugendlichen an ihrer Schule gemeinschaftlich. Auch der Schulalltag ist von gemeinsamen Aktionen geprägt - wie uns Alexander Flieger und Sibylle Hecker vom Schulträger, der HagenSchule, erklärt haben. Wie sieht so ein Tag aus? Wie kann man ein Hotel- und Restaurantgebäude als Schule nutzen? Welchen Abschluss kann man auf einer Montessori-Schule erlangen? Und was haben Äpfel damit zu tun?

Ein altes Bild aus dem Fundus von Lars-P. Weinhold: Der Gutshof Wellenbad heißt so, weil es an dieser Stelle einmal eine Wasserstufe gab. Man badete "in der Welle".
Ein altes Bild aus dem Fundus von Lars-P. Weinhold: Der Gutshof Wellenbad heißt so, weil es an dieser Stelle einmal eine Wasserstufe gab. Man badete "in der Welle". © privat

Feedback

Das rund 100 Jahre alte Konzept der Schule geht auf die italienische Ärztin und Pädagogin Dr. Maria Montessori zurück. Gemeinsames Lernen und Leben, praktische Tätigkeiten, Verständnis und Verantwortung für sich und andere übernehmen: Das sind Eckpunkte der „Erdkinder“-Pädagogik. „Mit Verantwortung meinen wir nicht, die Tafel zu wischen oder mal den Papierkorb zu leeren“, erklärte Sibylle Hecker am Mittwoch (6.9.) vor dem Schulausschuss. „Verantwortung hat auch immer mit Geld zu tun.“

So bekommen die Jugendlichen zum Beispiel ein Budget, mit dem sie arbeiten. Dann wird (nach gemeinsamer Absprache) entschieden, was von dem Geld gekauft und gekocht wird. Gibt es jeden Tag Fleisch, oder lieber eine Fleischmahlzeit weniger und dafür teureres Bio-Fleisch? Wie kann man die Reste nachhaltig verarbeiten?

Kinder lernen auf diese Weise, Dinge in einem geschützten Raum auszuprobieren, erklärt Alexander Flieger. Sibylle Hecker ergänzt: „Sie können etwas bewirken, etwas zu Ende bringen. Und sie bekommen ein Feedback von Gleichaltrigen. Das ist wichtiger als Feedback von uns Erwachsenen.“ Gerade Jugendliche in der Pubertät seien sehr verletzlich. „Sie kommen in eine neue Welt, im Gehirn findet ein kompletter Umbau statt.“

Sibylle Hecker und Alexander Flieger vom Montessori Campus Westfalia freuen sich, dass sie mit dem Gutshof Wellenbad einen schönen Platz für ihre Schule gefunden haben.
Sibylle Hecker und Alexander Flieger vom Montessori Campus Westfalia freuen sich, dass sie mit dem Gutshof Wellenbad einen schönen Platz für ihre Schule gefunden haben. © Martina Niehaus

Tagesablauf

Ein typischer Tag an einer Montessori-Schule beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück. Der Frühdienst beginnt um 7:30 Uhr, zwei bis drei Jugendliche bereiten das Frühstück vor und werfen die Waschmaschinen an. Um 8:30 Uhr wird gemeinsam gegessen. Anschließend besprechen alle in großer Runde das Tagesprogramm. Wie viele Leute braucht man für die Apfelernte, wer besorgt die Kisten, wer mäht den Rasen? Andere Jugendliche bereiten einen Text vor, der dann in Form eines „sokratischen Seminars“ diskutiert wird.

Auch das Mittagessen wird gemeinsam gegessen. Nachmittags gibt es dann wieder verschiedene Tagesangebote. Mit Programmen zu Themen, die die Jugendlichen gewählt haben.

Sibylle Hecker, Lars Weinhold und Alexander Flieger unter einem der Apfelbäume. Die Äpfel sind fast reif und müssen geerntet werden.
Sibylle Hecker, Lars Weinhold und Alexander Flieger unter einem der Apfelbäume. Die Äpfel sind fast reif und müssen geerntet werden. © Martina Niehaus

Die anstehende Apfelernte auf dem Gutshof Wellenbad ist nur ein Beispiel für ein solches Thema. Sibylle Hecker: „Die Jugendlichen pflücken die Äpfel, dann werden sie zum Keltern gebracht.“ Der Saft werde dann selbst getrunken oder im kleinen Lädchen zum Kauf angeboten.

Gleichzeitig dienen die Äpfel als Objekt für mathematische Übungen, biochemische Prozesse und Geschichte. Wie viel Apfelsaft gewinnen wir aus 300 Kilo Äpfeln, was können wir daran verdienen? Was bedeutet Pasteurisieren, und wie funktioniert es? Welche alten Apfelsorten gibt es? So wird die praktische Arbeit mit akademischen Inhalten verknüpft.

Viel umgebaut werden muss im Gutshof nicht für den Schulbetrieb. In der gemütlichen Gaststube werden die Jugendlichen essen.
Viel umgebaut werden muss im Gutshof nicht für den Schulbetrieb. In der gemütlichen Gaststube werden die Jugendlichen essen. © Martina Niehaus

„Es ist ein Mix aus work and study“, erklärt Alexander Flieger. „Wir docken da an, wo die Umgebung Arbeit notwendig macht.“ Das gefällt auch Lars Weinhold. „Für mich ist das sehr spannend. Hier wachsen Jugendliche heran, die sich für das Thema Essen und Nachhaltigkeit interessieren.“ Das sei eine gemeinsame Schnittstelle. „Ich habe ein sehr gutes Gefühl. Das macht es mir leichter, loszulassen“, erklärt der Gastronom.

Und der Vorteil: Für diese Art des Lernens braucht man keine abgetrennten Klassenräume. Das Meiste geschieht in Gruppen oder auch draußen. „Wir werden einige mobile Trennwände und Whiteboards herüberbringen. Fächer für jeden, und eine Garderobe“, erklärt Sibylle Hecker. Flieger fügt hinzu: „Wir haben keinen Klassenzimmerbetrieb. Die Räume sind da.“ In manchen der Gästeräume des Hotels werden Lehrerzimmer und Büros untergebracht. Später können hier eventuell auch Schülerinnen und Schüler übernachten.

Internationales Abi

Bald öffnet sich hier die Tür für den Schulbetrieb: Die Montessori-Schule geht nach den Herbstferien an den Start.
Bald öffnet sich hier die Tür für den Schulbetrieb: Die Montessori-Schule geht nach den Herbstferien an den Start. © Martina Niehaus

Und wer denkt, auf einer Montessori-Schule gebe es keinen vernünftigen Schulabschluss, der täuscht sich: Genau wie Gesamtschüler gibt es eine zentrale Abschlussprüfung am Ende der zehnten Klasse. Die berechtigt zum Besuch der Oberstufe. Und wer sein Abi machen möchte und die Prüfungen besteht, bekommt es am Ende: Das International Baccalaureate Diploma Program (IBDP) ist seit mehr als 50 Jahren als internationaler Hochschulzugang anerkannt.

„Das IBPD ist kompatibel zu unserer Pädagogik“, sagt Sibylle Hecker. Es gehe darum, zu verstehen, statt auswendig zu lernen. Die Jugendlichen sollen sich selbst, die Welt und ihre Arbeit reflektieren. Offenbar funktioniert der Ansatz. Hecker: „Bei uns weiß fast jeder, was er nach der Schule mal mit seinem Leben machen will.“

Finanziert wird die Schule über die Ersatzschulfinanzierungs-Verordnung des Landes NRW. 87 Prozent der Kosten übernimmt das Land. Den Rest zahlen Eltern aus eigenen Mitteln. Das seien etwa 220 Euro im Monat, erklärte Sibylle Hecker vor dem Ausschuss. Für Familien, die sich das nicht leisten könnten, gebe es Nachlässe. „Den finanziellen Status fragen wir bei der Aufnahme nicht ab. Wichtiger ist es, dass unsere Eltern sich mit dem Konzept identifizieren. Denn sie müssen loslassen können und Kontrolle abgeben.“

Die Montessori-Grundschule bleibt weiterhin an ihrem Sitz in Hagen – nur die älteren Jahrgänge sind ab Oktober auf dem Gutshof Wellenbad untergebracht. Hecker und Flieger betonen, dass es sinnvoll ist, mit dem ersten Schuljahr in dieser Schulform zu beginnen. Ein Querwechsel falle oft schwer. Rund ein Drittel der Jugendlichen kommt momentan aus Hagen. Andere kommen aus Witten, Herdecke, Schwelm, Wetter, Dortmund und Iserlohn. Rund 15 Kinder kommen aus Schwerte.

Wer die Montessori-Schule, die Jugendlichen und ihre Lehrkräfte selbst kennenlernen möchte, ist herzlich eingeladen: Am 18. November findet auf dem Schulgelände ab 14 Uhr der Adventszauber statt.

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