Tobias Gunia (46) verteilt gerettete Lebensmittel „Man sieht auch, wie kaputt diese Welt ist“

Von Luise Wittler
Tobias Gunia verteilt gerettete Lebensmittel: „Man sieht, wie kaputt die Welt ist“
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Pro Jahr landen in Deutschland mehr als 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln im Müll. Das hat die Studie „Das große Wegschmeißen“ des WWF (World Wide Fund For Nature) ergeben. Weiter heißt es darin: „Pro Sekunde landen unnötigerweise 313 Kilo genießbare Nahrungsmittel im Müll“.

Tobias Gunia (46) aus Schwerte kämpft gegen diese Lebensmittelverschwendung an. Bereits vor zehn Jahren hat er deshalb die „Lebensmittelretter Schwerte“ ins Leben gerufen. Anders als bei der Tafel handelt es sich dabei nicht um eine gemeinnützige Organisation, sondern um ein privates Projekt. Um zu verstehen, was das bedeutet, haben wir Tobias Gunia einen Tag lang begleitet.

Ein Tag bei den Lebensmittelrettern in Schwerte

Es ist zwölf Uhr mittags. An anderen Tagen sitzt Tobias Gunia im Büro. Der 46-Jährige arbeitet als Verwaltungsangestellter für den Kreis Unna. Heute ist seine Mission jedoch eine andere: Er „rettet“ die Lebensmittel, die nicht bereits von gemeinnützigen Organisationen abgeholt wurden. Diese haben immer Vorrang vor den Lebensmittelrettern.

Dennoch geht auch Tobias Gunia nie mit leeren Händen nach Hause. In seinem Kombi fährt er an diesem Tag zwei Supermärkte an und holt die Überbleibsel des Tages ab – Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, sowie aussortiertes Obst und Gemüse. Mit vollem Kofferraum geht es zurück nach Hause. In seiner Garage sortiert der 46-Jährige die Lebensmittel in Kühlschrank und Kisten ein. Dinge, die nicht mehr genießbar sind, werden weggeschmissen.

Lebensmittel im Kofferraum
Die Lebensmittel werden mit dem Auto aus Supermärkten abgeholt und vor der Mülltonne gerettet. © Luise Wittler

Eine kleine Gruppe von Menschen versammelt sich bereits um kurz vor 15 Uhr vor Tobias Gunias Grundstück: Diesmal sind zwei Jugendliche und vier Frauen mit leeren Tüten zu ihm gekommen und warten gespannt darauf, was die „Wunderkisten“ heute zu bieten haben.

Um Punkt 15 Uhr wird die Musikbox aufgedreht und die Wartenden werden mit entspannten Reggae-Tönen sowie ein paar flotten Sprüchen des Lebensmittelretters begrüßt. Alle sind willkommen – aber es gibt eine goldene Regel: Erst eine Nummer ziehen, dann nach und nach die Garage betreten und sich an dem Angebot bedienen.

„Containern liegt im legalen Graubereich“

„Das Projekt ist vor zehn Jahren entstanden. Ich war mit einem Freund Containern“, berichtet Tobias Gunia von der Anfangszeit der Lebensmittelretter in Schwerte. „Weil Containern im legalen Graubereich liegt, haben wir uns gedacht: Lass uns doch vorne bei den Händlern reingehen und fragen, ob wir die Lebensmittel, die sowieso weggeschmissen werden, nicht einfach mitnehmen können. Wir haben versucht, argumentativ Bewusstsein bei den Händlern zu schaffen.“

Der Plan ging auf: Die beiden Freunde fingen an, mit Fahrrädern die Lebensmittel aus den Supermärkten abzuholen. Mit vollgepackten Taschen fuhren sie anschließend herum und verteilten das Essen an bedürftige Menschen. „Am Anfang sind wir zum Beispiel zu einer Frau gefahren, die im Rollstuhl saß und haben ihr das Essen hochgebracht.“

Es sei Wahnsinn, wie Menschen mit kostbaren Rohstoffen umgehen. „Das muss man den Leuten aufzeigen. Ich versuche, mich nicht über die Zustände der Gesellschaft aufzuregen, sondern mein persönliches Umfeld zu fördern, soweit es geht. Es ist wie eine Mikro-Revolution: Man schlägt ein kleines Schnippchen ins System“, erklärt Tobias Gunia.

Inzwischen ist er nicht mehr als „Lebensmittel-Fahrradkurier“ unterwegs, sondern gibt die geretteten Waren von seiner Garage aus weiter. Und die Gruppe der Unterstützer ist gewachsen: Ein Team aus elf Freiwilligen übernimmt abwechselnd die Lebensmittel-Rettungsaktionen. Jeden Tag ab 15 Uhr – außer an Sonn- und Feiertagen – können Schwerterinnen und Schwerter die frisch geretteten Lebensmittel bei Tobias Gunia abholen.

„Mein Glas ist immer noch voll“

Die „Lebensmittelretter Schwerte“ seien ein Projekt, in dem viel Herzblut, aber auch Tränen stecken. „Man sieht hier auch ein Stück weit, wie kaputt diese Welt und die Gesellschaft ist. Durch die Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen, wenn man hört, was manche Leute schon durchgemacht haben. Das Geld wird oft ungerecht verteilt“, sagt der 46-Jährige.

Doch die Erfüllung sei größer als der traurige Beigeschmack der Schicksalsschläge, die er mitbekomme. „Mein Glas ist immer noch voll, man kriegt auch viel zurück. Ich habe viel Dankbarkeit und Rücksicht erlebt, und in den letzten zehn Jahren viele Gleichgesinnte kennengelernt.“

Tobias Gunia, Lebensmittelretter Schwerte, Lebensmittelausgabe
Tobias Gunias private Garage wurde vor zehn Jahren zu einer Lebensmittelausgabe umgebaut. © Luise Wittler

Allerdings seien in den letzten Jahren auch Dinge passiert, die nicht mit dem sozialen Gedanken hinter dem Projekt zusammenpassen. „Man hat eben alles direkt vor seiner Wohnung: Ratten wegen Müll, der nicht weggeräumt wird oder im Vorgarten der Nachbarn landet, ein Einbruch in der Garage oder Klingeln neben den Öffnungszeiten. Die meisten Leute halten sich an die Regeln, aber manche eben nicht“, sagt Tobias Gunia und zuckt mit den Schultern.

Daher sei er nun auf der Suche nach einem Innenstadt-nahen Standort für die Lebensmittelrettung in Schwerte, um die Lebensmittelausgabe dorthin verlegen zu können. „Wer ein potenzielles Angebot für den neuen Fairteiler hat, kann sich gerne bei mir über Facebook melden.“

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