Wirt Oliver Hillen (61) von Haus Zier ist traurig „Der letzte Abend war noch mal schön“

Oliver Hillen (61) von Haus Zier traurig: „Der letzte Abend war schön“
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Aus seinen Glasaugen beobachtet der Hirsch mit dem Jägermeister-Halstuch, der innen über der Eingangstür hängt, gleichgültig das Geschehen in der Kneipe unter sich. Hinter dem Tresen ist Wirt Oliver Hillen damit beschäftigt, Schnaps-Pinnchen und Biergläser in Kartons zu füllen.

„Die Pinnchen sind für den Männerchor“, sagt er. Sein Kumpel Knut Höller hilft ihm dabei; auch er darf einige Pinnchen behalten. Zwischendurch setzt sich der Kollege auf einen der Tresenhocker und schaut bekümmert vor sich hin. Es ist Freitag, der 26. Mai.

Am Abend zuvor hat Oliver Hillen zum letzten Mal Gäste im Haus Zier empfangen. 80 bis 100 Leute seien dagewesen, erzählt er. „Gestern war’s noch mal schön. Emotional für mich. Und die Gäste waren auch schon angepackt“, sagt er. „Das war ja ein echter Treffpunkt hier.“ Das Fass sei gegen 21 Uhr leer gewesen. „Da habe ich noch mal ein Dreißig-Liter-Fässchen angeschlagen, ich kann die Leute ja nicht auf dem Trockenen sitzen lassen.“

Das letzte Fass habe man dann nicht mehr ganz geschafft. „Wir haben schon um 17 Uhr angefangen, und um Mitternacht habe ich das letzte Bier gezapft. Da war Schicht. Es gab einige, die dann auch dringend nach Hause mussten“, sagt Oliver Hillen und lacht ein bisschen wehmütig.

Der Jägermeister-Hirsch ist der Einzige, der sich von den traurigen Aufräumarbeiten unter sich unbeeindruckt zeigt.
Der Jägermeister-Hirsch ist der Einzige, der sich von den traurigen Aufräumarbeiten unter sich unbeeindruckt zeigt. © Martina Niehaus
Von vielen Händen ist das Leder blank und abgegriffen: Knobelbecher stapeln sich auf dem Tresen. Geknobelt wird hier nun nicht mehr.
Von vielen Händen ist das Leder blank und abgegriffen: Knobelbecher stapeln sich auf dem Tresen. Geknobelt wird hier nun nicht mehr. © Martina Niehaus

Jetzt ist nur noch Aufräumen angesagt. „Die Reste vom Fass werden Knut und ich uns noch schnabulieren, das wird schon nicht schlecht“, versichert der Wirt. Dann aber nicht mehr in der Kneipe.

Die vom vielen Gebrauch blankgewetzten, ledernen Knobelbecher mit jeweils drei Würfeln darin stapeln sich auf und hinter dem Tresen, Gläser und Deko-Artikel wandern in Kartons. Ein Bekannter trägt zwei Plastikbäume aus der Kneipe, die sich am Ausgang kurz an der Schnauze des Jägermeister-Hirschs verheddern. Der guckt weiter unbeeindruckt.

Auf dem Zapfhahn prangt ein Bild-Aufkleber: „Ich hab die Schnauze voll“ steht darauf. Das trifft auf Hillen nicht zu: Der 61-Jährige ist Wirt mit Leib und Seele. Doch es hat sich einfach nicht mehr gelohnt. Denn 80 bis 100 Gäste wie Donnerstag waren lange nicht mehr in die Kneipe gekommen. „Nach Corona sind viele Stammgäste weggeblieben“, hatte er uns bereits Anfang April erzählt. Jetzt hat Westhofens vorletzte Traditionskneipe endgültig geschlossen. „Nach 23 Jahren hat sich das für mich hier erledigt.“ Es gibt nur noch das Sputnik am Alten Hellweg.

"Ich hab die Schnauze voll", sagt der Aufkleber am Zapfhahn. Doch eigentlich hätte Oliver Hillen gern weitergezapft. Leider hat es sich nicht mehr gelohnt.
"Ich hab die Schnauze voll", sagt der Aufkleber am Zapfhahn. Doch eigentlich hätte Oliver Hillen gern weitergezapft. Leider hat es sich nicht mehr gelohnt. © Martina Niehaus

Und wie geht es jetzt weiter? „Hier geht eine Ära zu Ende, und mein Leben ändert sich kolossal“, sagt Oliver Hillen. Zum Glück habe er einen guten Job in der KFZ-Werkstatt eines Freundes gefunden. „Da habe ich bisher sechs Stunden gearbeitet, jetzt kann ich auf Vollzeit gehen. Das ist toll, mit 61 findet man ja sonst schwer etwas.“

Und am Wochenende wird er sich mit Knut das Meisterschaftsfinale anschauen – obwohl er bekennender Schalker ist, drückt er dem BVB die Daumen. „Die Frotzeleien gehören halt dazu. Aber ich würd mich natürlich freuen, wenn die Schale in den Pott kommt und nicht nach Süddeutschland.“

Dass er in Zukunft abends gemütlich Fußball schauen kann, ist eine Tatsache, die Hillen ein wenig über den Trennungsschmerz von seiner Kneipe hinweghilft. „Früher habe ich immer nur dann Geld verdient, wenn andere Feierabend hatten. Jetzt habe ich auch mal Feierabend“, sagt er.

Wer bekommt die Pinnchen? Kollege Knut Höller (l.) hilft dem Wirt beim Aufräumen. Auch er ist niedergeschlagen.
Wer bekommt die Pinnchen? Kollege Knut Höller (l.) hilft dem Wirt beim Aufräumen. Auch er ist niedergeschlagen. © Martina Niehaus

Zum Schluss kommt Oliver Hillen mit vor die Tür - für ein letztes Bild vor seiner Kneipe. Er möchte gern ein Foto mit seinem Aufsteller haben. Darauf hat er immer lustige Kneipen-Sprüche geschrieben, die vielen Leuten in Westhofen gefallen haben. Der heutige Spruch lautet: „Ein Leben ohne Kneipe ist möglich. Aber nicht schön!!!“

Dann verabschiedet sich der vorletzte Westhofener Wirt. Er muss weiter ausräumen. Und es stehen noch viele Biergläser in den Schränken.

  • Die Zahl der Kneipen, Diskotheken und Bars ist in NRW von 2019 bis 2021 um 22,1 Prozent auf 7.600 Niederlassungen gesunken. Wie das Statistische Landesamt mitteilt, haben die Einschränkungen während der Corona-Pandemie die getränkegeprägte Gastronomie besonders getroffen.
  • In den speisengeprägten Gastronomiebereichen gab es ebenfalls rückläufige Entwicklungen, die jedoch weniger stark ausfielen. Restaurants, Imbissstuben und Cafés verzeichneten einen Rückgang um 4,8 Prozent auf 29.200 Niederlassungen; im Bereich Catering und Kantinenbetrieb sank die Zahl der Standorte um 14,7 Prozent auf 3.500 Niederlassungen. Die Zahl der Niederlassungen in der Gastronomie insgesamt hat sich im gleichen Zeitraum um 9,5 Prozent auf 40.300 Niederlassungen verringert.
  • Zu den Gründen wird vermutet: Die Getränkegastronomie (Kneipen, Diskotheken und Bars) hatte vermutlich in stärkerem Maße mit den Auswirkungen der Coronaauflagen und Kontaktbeschränkungen zu kämpfen, da hier Kontakte stärker im Kundeninteresse stehen als bei der Nahrungsaufnahme an einem fest zugewiesenen Sitzplatz im Restaurant oder einer Kantine.

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