A1 seit 50 Jahren als Grenze Darum gibt es Lichtendorf und Holzen „doppelt“

A1 als Grenze: Darum gibt es Lichtendorf und Holzen „zweimal“
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Großstädter über Nacht: So erwachten 9.090 der Bewohnerinnen und Bewohner von Holzen, Lichtendorf und Buchholz am 1. Januar 1975. Vom nächsten Tag an mussten sie Trauungen, Auto-Anmeldungen und alle anderen Verwaltungsgeschäfte in Dortmund erledigen, während Nachbarinnen und Nachbarn aus den Straßen südlich der Autobahn A1 kurze Wege ins Schwerter Rathaus gehen konnten.

Die A1 – so hatte es der NRW-Landtag bei der damaligen kommunalen Neuordnung im Ruhrgebiet und Sauerland bestimmt – sollte fortan die Grenze zwischen den beiden Nachbarstädten bilden.

Ortsteile wurden zerschnitten

Mit einem Federstrich zerschnitt der Verwaltungsakt die historisch gewachsenen kleineren Ortsteile links und rechts der A1. Die Autobahn-Raststätte Lichtendorf-Süd gehörte zum Schwerter Gebiet, die gegenüberliegende „Schwester“ Lichtendorf-Nord zum Dortmunder.

Nicht einmal die Kirchen wurden im Dorf gelassen. Wer sich in St. Bonifatius taufen lassen wollte, musste nach Dortmund-Lichtendorf. Umgekehrt wurden die Messen in St. Christophorus in Schwerte-Holzen gefeiert.

Großen Jubel lösten die Veränderungen nicht aus. „Unsere Gemeinde hätte nie geteilt werden dürfen“, gab die Inhaberin eines Holzener Schreibwarengeschäfts die Stimmungslage wieder.

Die Neuordnungs-Gegner zogen sogar mit einer Klage vor den Verfassungsgerichtshof in Münster, der Ende Februar 1977 aber entschied: Die nördlich der A1 gelegenen Teile von Holzen und Lichtendorf bleiben bei Dortmund. Die Großstadt konnte ihre bereits einbetonierten Ortsteilschilder an den Straßen stehen lassen. Nur die Post spielte nicht mit und ließ den Neu-Dortmundern ihre Vorwahl „02304“ für das Schwerter Ortsnetz.

Ernst D. Schmerbeck, Dr. Dr. Heinz Spellerberg, Regierungspräsident Fritz Ziegler, Hans Kocken und Werner Steinem bei der kommunalen Neuordnung in den 1970er-Jahren.
Zur Gründung der „neuen“ Stadt Schwerte wurden bei der Arnsberger Bezirksregierung am 13. Dezember 1974 die sogenannten Kommissare ernannt, die bis zu den Neuwahlen am 4. Mai 1975 die Aufgaben der früheren Bürgermeister übernehmen sollten (v.l.): Ernst D. Schmerbeck, Dr. Dr. Heinz Spellerberg, Regierungspräsident Fritz Ziegler, Hans Kocken und Werner Steinem. © Rudi Merker (A)

Schwerte als Vorort von Dortmund

Um ein Haar wäre sogar ganz Schwerte zu einem Vorort von Dortmund geworden. Im Verlauf der jahrelangen Planungen für die kommunale Neuordnung hatte am 9. Januar 1973 eine Schlagzeile der Ruhr Nachrichten aufgeschreckt: „Dortmund greift nach Schwerte. Das ganze Ruhrtal soll eingemeindet werden.“

Bis zur Ruhr sollte die Grenze vorgeschoben werden. Hauchdünn – mit einer einzigen Stimme Mehrheit – wurde dieses Ansinnen aber ein Jahr später bei der entscheidenden Abstimmung über das Ruhrgebietsgesetz im Landtag abgeschmettert. Es war die Stimme des damaligen heimischen SPD-Landtagsabgeordneten Dr. Horst Knöpke (1907-1998), der sich als Kämpfer für die kommunale Selbstständigkeit in die Stadtgeschichte eintrug.

Fachleute in die Rathäuser

Ziel der Reform war es übrigens nicht, Kosten in den Rat- und Amtshäusern einzusparen, wie der langjährige Stadtdirektor Ernst D. Schmerbeck (1930-2024) einmal erklärte. Es sollten vielmehr größere Gemeinden gebildet werden, um mehr Möglichkeiten für die Beschäftigung qualifizierter Fachleute zu schaffen – etwa in den Bereichen Planung und Betriebswirtschaft. Auch die Infrastruktur – beispielsweise die Volkshochschule – konnte sich auf diese Weise besser entwickeln.

Vorher hätten sich die vielen kleineren Gemeinden weitgehend auf die Erfüllung ihrer Pflichtaufgaben beschränken müssen, wie Schmerbeck weiter wusste. Er war zu Beginn der Karriere Direktor des Amtes Westhofen gewesen, in dem die Stadt Westhofen sowie Geisecke, Holzen, Lichtendorf, Villigst und Wandhofen organisiert waren. Ergste und Hennen indes gehörten zum Amt Ergste. Sie alle bildeten ab 1975 zusammen mit der „alten“ Stadt Schwerte, die den Bereich von Schwerte-Mitte umfasste, die größere „neue“ Stadt Schwerte.

Das frühere Amtshaus Westhofen an der Amtsstraße 1 und 3
In ein schmuckes Wohnhaus umgebaut ist das frühere Amtshaus Westhofen an der Amtsstraße 1 und 3, in dem bis zur kommunalen Neuordnung die Verwaltung für Geisecke, Holzen, Lichtendorf, Villigst und Wandhofen untergebracht war. © Reinhard Schmitz (A)
Das frühere Amtshaus Ergste an der Letmather Straße
Das in den 1960er-Jahren noch moderne Amtshaus Ergste an der Letmather Straße wurde durch die Verschmelzung der Gemeinde mit Ergste überflüssig und später für den Bau des Kaufparks abgerissen. © Friedrich-Wilhelm Vogt (A)

Wechsel in den Kreis Unna

Bei der Vereinigung griff man zu einem geschickten Schachzug. Damit sich alle Einwohnerinnen und Einwohner gleichberechtigt fühlen sollten, wurde auf eine Eingemeindung verzichtet. Vielmehr wurde auch die alte Stadt Schwerte mit aufgelöst, um dann alle Gebiete zu einer neuen Kommune zu verschmelzen. Offensichtlich mit Erfolg: Denn die Wählergemeinschaft der Neuordnungsgegner scheiterte sofort an der Fünf-Prozent-Hürde, als am 4. Mai 1975 die Neuwahlen zum Stadtrat anstanden.

Eine weitere Folge der Reform wurde mit der Zeit auf den Straßen sichtbar. Die Autos mit den „IS“-Kennzeichen machten sich immer rarer. Denn aus dem aufgelösten Landkreis Iserlohn war Schwerte dem Kreis Unna zugeschlagen worden.