Kirmesorgel aus Schwerte spielt beim Historischen Jahrmarkt in Bochum Schatz der Familie Schäfer

Kirmesorgel aus Schwerte spielt beim Historischen Jahrmarkt in Bochum
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Sie trillerte schon den Marsch „Alte Kameraden“, als sich die Untertanen von Kaiser Wilhelm auf dem Rummelplatz vergnügten. Damals wie heute konnte man sich nicht daran sattsehen, wie der hölzerne Dirigent zu den Melodien seinen Taktstock vor den wohl angeordneten Pfeifchen schwang, sich die Klöppel der silbrigen Xylophon-Blätter wie von Geisterhand bewegten.

Ungebrochen ist die Faszination für die nostalgische Kirmesorgel, die die Schwerter Schaustellerfamilie Schäfer seit Generationen wie einen Schatz hütet. Eine der raren Gelegenheiten, bei denen das Wunderwerk in der Öffentlichkeit zu erleben ist, bietet der „Historische Jahrmarkt“ in der Jahrhunderthalle in Bochum (Februar/März 2025).

Eine historische Kirmesorgel wird nach der Generalüberholung wieder zusammengebaut.
Die reich geschnitzte Fassade der Kirmesorgel hat Heinz Jäger zum Nachstimmen der Pfeifen vorübergehend abgenommen. © Reinhard Schmitz

Zwei Jahre lang in Überholung

Gerade noch rechtzeitig kam das mittlerweile in einen schützenden Kirmes-Anhänger eingebaute Instrument von einer zweijährigen Generalüberholung im deutschen Schausteller-Mekka Waldkirch vor den Toren Freiburgs zurück. Mit Tempo 80 tuckerte Hans-Otto Schäfer selbst in der Nacht auf Mittwoch (19.2.) behutsam mit seinem Erbstück über die Autobahn.

Die sogenannte Ruth-Orgel wurde im Jahre 1904 – so verrät eine Aufschrift auf den verschnörkelten Front-Verzierungen – gebaut. „Mein Uropa Hans-Johann Schäfer hat sie damals gekauft“, berichtet der heutige Unternehmenschef. „Seitdem ist sie in Familienbesitz.“

Mit schmissigen Melodien lockte das Instrument die Besucherinnen und Besucher zum Pferdekarussell, in die Schiffschaukel und das hölzerne Riesenrad der Schäfers. Ihm gehörte die absolute Melodien-Hoheit auf dem Rummel in Zeiten, als selbst Schallplatten noch unbekannt waren. In den 1960er-Jahren wurden die Spielmöglichkeiten bei der Firma Heinrich Voigt in Frankfurt-Hoechst sogar mit zusätzlichen Pfeifen, Bässen und Klarinetten erweitert.

Das Schmuckstück eroberte die Herzen der Besucher bei der Cranger Kirmes, beim Sim-Jü in Werne und sogar beim Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Alexanderplatz. Es ist eines von einer Handvoll Exemplaren, die alle Zeiten überlebt haben – dank der pflegenden Hände der Familie Schäfer, die jetzt noch einmal rund 150.000 Euro in die Kur des Instruments investierte, das eigentlich nichts als Freude bringt.

Ein Orgelbaumeister zeigt das Innenleben einer historischen Kirmesorgel.
Zickzack-gefalteter, gestanzter Karton enthält die Noten für die Kirmesorgel. Durch die winzigen Löcher wird die Luft zu den jeweiligen Pfeifen geleitet. Zum Nachstimmen hat Orgelbaumeister Heinz Jäger ein besonderes Paket mit nur einer Lochreihe eingelegt. © Reinhard Schmitz

Durch Unfall schwer beschädigt

„Die Schaustellerorgel war bei einem Unfall schwer beschädigt worden“, erklärt Orgelbaumeister Heinz Jäger (67), der das Liebhaberstück bei seiner Firma Jäger & Brommer in Waldkirch mit seiner ganzen Erfahrung unter seine Fittiche nahm. „Teile waren abgerissen, viele Teile beschädigt, Pfeifen defekt.“

Ununterbrochen dauerte die Reparatur während des zweijährigen Werkstattaufenthalts aber nicht. „Zwischendurch mussten wir dringend in Korea eine Orgel fertigstellen“, sagt der 67-Jährige. Die stand in einer Kirche, dem Haupt-Betätigungsfeld des Unternehmens, das aber als eines der wenigen auch auf Schaustellerorgeln sowie Drehorgeln spezialisiert ist. Letztere werden – im Gegensatz zu den Instrumenten für die Kirmes – auch immer noch neu gebaut.

Eine hölzerne Engelsfigur mit Mandoline steht auf einer alten Kirmesorgel.
Der Mandolinenengel schlägt die hölzernen Saiten mit seiner Hand im Takt der Melodien. © Reinhard Schmitz

Bei der umfangreichen Überholung erhielt die Orgel der Familie Schäfer auch neue Blasebälge aus Ziegenleder. Heinz Jäger ließ es sich nicht nehmen, zum Nachstimmen extra noch einmal nach Schwerte zu fahren. Behutsam legte er die Kartonnoten in das Herzstück des Instruments ein.

Die feinen Löcher in dem Ziehharmonika-artig zusammengefalteten Paket leiten den Luftstrom über ein Gewirr von kleinen Schläuchen zu den einzelnen Pfeifen. „Es gibt 82 unterschiedliche Töne“, erklärt der Orgelbaumeister. Eine weitere Spur auf den Blättern betätigt auf ähnliche Weise die Figuren. Dass auch ein Teil der Noten überarbeitet werden konnte, ist ebenfalls einem Fachmann in Waldkirch zu verdanken. Bei der Firma Paul Fleck & Söhne versteht er sich noch auf die Kunst des Notenstechens.

Historische Karussells sind in der Jahrhunderthalle in Bochum aufgebaut.
Nostalgie pur versprüht jetzt wieder der Historische Jahrmarkt in der Jahrhunderthalle in Bochum - hier ein Archivbild von einer früheren Veranstaltung. Ein ganz besonderer Anziehungspunkt ist in diesem Jahr die voll funktionsfähige historische Kirmesorgel der Schwerter Schaustellerfamilie Schäfer vom Baujahr 1904. © dpa

Alles muss passen. Schließlich kommt es beim Historischen Jahrmarkt zu dem seltenen Zusammentreffen mit weiteren Schwestermodellen. „Da stehen mehrere Orgeln“, berichtet Hans-Otto Schäfer. Sie spielen aber nicht wild durcheinander, sondern abwechselnd. Dafür sorge ein Kollege, dem der Schwerter seinen Familienschatz für diese Zeit anvertraut: „Der kennt sich damit aus.“

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Historischer Jahrmarkt

  • Der Historische Jahrmarkt in der Jahrhunderthalle Bochum, An der Jahrhunderthalle 1, beschreibt sich als Europas größter Indoor-Jahrmarkt. Als Höhepunkte angekündigt werden unter anderem eine Raupenbahn von 1926, ein Pferdekarussell von 1885, eine Berg- und Talbahn aus den 1930er-Jahren sowie ein historisches Riesenrad.

  • Der Historische Jahrmarkt findet vom 22. bis zum 23. Februar (Samstag und Sonntag) sowie vom 28. Februar bis zum 2. März (Freitag bis Samstag) statt. Geöffnet ist freitags von 16 bis 21 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 19 Uhr.

  • Zusätzlich findet in der Festhalle am 21. Februar von 16 bis 1 Uhr die Veranstaltung „Rock’n’Roll anne Raupe“ mit Live-Bands und Tanz-Performances im Stil der 1950er- und 1960er-Jahre statt.

  • Eintrittskarten kosten an der Tageskasse 25 Euro (ab 12 Jahre). Kinder von 3 bis einschließlich 11 Jahre zahlen 19,50 Euro. Außerdem erhältlich ist ein Familienticket (zwei Vollzahler und bis zu drei Kinder zwischen 3 und 11 Jahre) für 72 Euro.