Rückkehr aus Bangladesch? Anisha (7) wünscht sich Fischstäbchen und Kartoffelpüree

Rückkehr aus Bangladesch? Anisha (7) wünscht sich Fischstäbchen
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Um Mitternacht am 18. Januar 2022 hat die Geschichte begonnen: Damals drangen Beamte der Ausländerbehörde Unna mithilfe eines Schlüsseldienstes in die Wohnung der damals sechsjährigen Anisha und ihrer Eltern Mala und Navin S*. in Schwerte ein.

Alle drei wurden geweckt, zum Flughafen gebracht und in einen Flieger nach Dhaka gesetzt. Denn die Familie, die im Jahr 2016 nach Deutschland gekommen war, hatte nur einen Duldungsstatus.

Nach der nächtlichen Abschiebung geriet die Ausländerbehörde des Kreises Unna in die Kritik. Eltern aus der Schulgemeinde, Mitglieder des Arbeitskreises Asyl sowie Lokal- und Kreispolitiker verschiedener Parteien setzten sich ein. Auch die Anwältin der Familie und das Komitee für Grundrechte und Demokratie „Abschiebungsreporting NRW“ übten Kritik an den Behörden.

Jetzt könnte eine Rückkehr unmittelbar bevorstehen – auch deshalb, weil der zukünftige Arbeitgeber von Anishas Mutter noch einmal richtig Druck ausgeübt hat.

Ein Schock für alle

Jörg Tappeser, Chef der Tappeser Solartechnik GmbH in Schwerte, hatte Mala S. einen Arbeitsvertrag garantiert. Ihr Ehemann hat eine Jobzusage bei der Firma Halbach. Jörg Tappeser kennt die Familie auch persönlich – sein Kind war mit Anisha im Kindergarten. Die Kinder hatten Geburtstag gefeiert. „Es gab Fischstäbchen und Kartoffelpüree“, erzählt Jörg Tappeser. Dann war Anisha plötzlich verschwunden. „Für uns alle war das ein Riesenschock.“

Haus in Villigst
Vor fast einem Jahr wurden die kleine Anisha und ihre Familie aus ihrer Wohnung in Villigst abgeschoben - um Mitternacht. © Martina Niehaus (A)

Gemeinsam mit anderen Unterstützern hoffte auch Jörg Tappeser auf Hilfe durch die Behörden. Ein Hindernis war das Einreiseverbot, wie Hans-Bernd Marks vom AK Asyl erklärt. „Wenn jemand abgeschoben wird, wird ein Sperrvermerk im Ausländerzentralregister AZR errichtet.“ Wie lange das Einreiseverbot andauert, bestimmt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Bis zu fünf Jahre kann es dauern. In diesem Fall hatten die Behörden nach anhaltender Kritik und vielen Gesprächen die Frist auf ein halbes Jahr verkürzt.

„Viele Flüchtlinge müssen auch die Kosten ihrer Abschiebung selbst tragen“, berichtet Hans-Bernd Marks. Hier gab es laut AK Asyl ebenfalls eine positive Wendung. „Die Kosten sind der Familie komplett erlassen worden“, sagt Marks.

„Sie war völlig fertig“

Theoretisch hätten Anisha und ihre Eltern also schon im Juli nach Schwerte zurückkehren können. Doch immer neue bürokratische Hürden taten sich auf – und die Kommunikation zwischen der Ausländerbehörde und der Botschaft in Dhaka lief offenbar nicht optimal. Für Mala und Navin S. war es praktisch nicht möglich, an Pässe oder gar Visa zu kommen.

„Vor drei Tagen hat Mala mich angerufen. Sie war völlig fertig und hat geweint“, erzählt Jörg Tappeser. „Da habe ich gedacht, ich muss doch mal nachhaken.“ Er greift zum Telefon und ruft bei der Deutschen Botschaft in Dhaka an, schickt schließlich mehrere Mails.

„Alle Beteiligten habe ich im Mailverkehr in CC gesetzt, also war dort ersichtlich, wer alles eine Kopie bekommt“, sagt Tappeser. Auch Sigrid Reihs (SPD-Kreistagsfraktion), Bianca Dausend (stellv. CDU-Fraktionsvorsitzende Schwerte), der SPD-Bundestagsabgeordnete Oliver Kaczmarek und die Ausländerbehörde des Kreises erhalten Kopien.

Ein kleines Mädchen in Dhaka
In Dhaka geht es der Grundschülerin schlecht. Ihre Mutter lernt weiter mit ihr aus ihren Schulbüchern. © privat

Tappeser fordert die schnellstmögliche Ausstellung von Visa, da seine Firma die Arbeitskraft von Mala S. dringend brauche. „Bei uns ist gerade viel zu tun, und Mala kann uns im Bürobereich gut unterstützen. Mit unserer Solartechnik sind wir aktuell ein systemkritischer Betrieb.“

Kurz darauf ruft die Botschaft direkt bei Mala S. an - zur Visums-Ausstellung benötige die Familie noch eine Versicherung. Auch hier kümmert sich Jörg Tappeser, schickt die Unterlagen innerhalb von Stunden direkt an die Botschaft. Dann kommt eine beunruhigende Nachricht von Oliver Lorenz vom Rechts- und Konsularwesen der Deutschen Botschaft in Dhaka.

„Mir fehlen die Worte“

„Wir werden die visierten Pässe am Sonntag aushändigen. Von mir aus soll die Familie gerne reisen und in Deutschland ihre Tätigkeiten beginnen“, so Lorenz in der Mail vom 16. Dezember, die der Redaktion vorliegt. „Allerdings finde ich es bemerkenswert, dass im Ausländerzentralregister (AZR) immer noch eine Einreisesperre ausgeschrieben ist.“

Weiter schreibt er: „Ich gehe davon aus, dass dies der Bundespolizei bei Einreise am Flughafen auffallen wird und die Familie dazu befragt werden wird, im schlimmsten Fall [wird] die Einreise in das Bundesgebiet verweigert.“ Die Löschung der Einreisesperre im System sei nicht Sache der Botschaft.

Jörg Tappeser ist entsetzt. „Da kann man sich doch nur an den Kopf packen, so langsam fehlen mir die Worte“, sagt er. Und fragt beim Ausländeramt des Kreises Unna nach. Die Antwort, die der Redaktion ebenfalls vorliegt: Das Einreise- und Aufenthaltsverbot der Familie sei bis zum 21. Juli 2022 befristet, das sei im AZR ersichtlich. „Diesbezüglich dürften bei der Einreise der Familie in das Bundesgebiet keine Probleme entstehen!“

Hans-Bernd Marks und Marianne Versin-Wenzler (r.) vom AK Asyl im Gespräch mit Martina Niehaus von den Ruhr Nachrichten
Mit Hans-Bernd Marks und Marianne Versin-Wenzler (r.) vom AK Asyl hat Autorin Martina Niehaus schon viele Gespräche über den Fall geführt. © Staab (A)

Alle Beteiligten hoffen jetzt, dass das tatsächlich so ist. Sigrid Reihs erklärt auf Anfrage: „Die Ausländerbehörde hat klargemacht, dass es keine Einreisehemmnisse gibt. Die haben das in der Botschaft offenbar nicht zur Kenntnis genommen.“ Insgesamt habe sie ein gutes Gefühl. „Aber ich glaube erst daran, wenn die Familie in Frankfurt durchs Drehkreuz geht.“

Das würde auch Marianne Versin-Wenzler freuen, die mit Mala S. in engem Kontakt steht. „Ich habe Telefonate hinter mir, das kann man gar nicht beschreiben“, sagt sie. Eine Wohnung stehe für den Übergang bereit, die Eltern hätten die Möbel eingelagert und sich auch um Winterkleidung gekümmert.

Sollte Anisha, die in Dhaka sieben Jahre alt geworden ist, tatsächlich in den nächsten Tagen oder Wochen zurückkehren, hat sie schon einen großen Wunsch, wie Jörg Tappeser weiß. „Sie möchte Fischstäbchen und Kartoffelpüree essen.“ Wie damals auf dem Kindergeburtstag.

* Die Namen der Familienmitglieder haben wir aus Sicherheitsgründen geändert, sie sind der Redaktion aber bekannt.

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