Das karierte Trockentuch hängt über der Schulter, die Füße stecken in bequemen „Birkis“. Der Chef sieht aus, als käme er gerade aus der Küche. Und das tut er wirklich. „Chicken-Carlos“, wie viele den Kult-Gastronomen genauso wertschätzend wie liebevoll nennen, ist sich für keine Arbeit zu schade.
Während er mit dem Schürhaken die Holzkohle auf dem riesigen Grill in seinem Restaurant-Flaggschiff „Carlos, der Pirat“ in Schwerte auf Temperatur bringt, fingert seine andere Hand nach dem Handy in der Tasche, um eine weitere Tischreservierung aufzunehmen.

„Ein Märchen“
„Der Laden ist top. Das ist ein Märchen hier“, schwärmt Carlos Couto (50). Ein Märchen, das sich über die Social-Media-Kanäle weit über die Region hinaus verbreitet. Aus Thüringen, Köln, Kiel – quasi aus ganz Deutschland und sogar aus Belgien kämen die Gäste in die Ruhrstadt, um zwischen den Planken des nachgebauten Segelschiffes portugiesische Gaumenfreuden zu genießen.
Die Geschichte der Seefahrer- und Entdecker-Nation inspirierte den Chef zu dem einzigartigen Interieur. „Ich glaube nicht, dass es das so nochmal auf der Welt gibt“, sagt der 50-Jährige. Keiner gehe, ohne wenigstens einmal auf die Handy-Kamera zu drücken: „Wenn ich für jedes Bild zehn Cent nehmen würde, bräuchte ich kein Essen zu verkaufen.“
Dann wären die Gäste aber bitterlich enttäuscht. Denn vor allem die Hähnchen-Kunst am Grill ist es, die zum Kult-Status beigetragen hat. Wer denkt, dass man sich auf dem Erreichten ausruhen könnte, ist bei Carlos Couto an der falschen Adresse. „Trotz allem haben wir nicht aufgehört, fleißig zu sein“, betont er. „Das wollen die Gäste sehen.“
Montags und dienstags, wenn sein Personal die Ruhetage genießt, setzt sich der Chef an seine Büroarbeit. Die ist auch an den übrigen Vormittagen angesagt, bevor es ins Restaurant geht. Wenn er dann gegen Mitternacht nach Hause kommt, wird nach der Dusche erst noch einmal „die Glotze“ angeschaltet: „Du kannst nicht sofort ins Bett, wenn du alles mitgenommen hast von den Gästen im Gespräch.“
Er liebt Kontakt zu den Gästen
Die Momente an den Tischen sind aber quasi die Kür für den Gastronomen. Der Kontakt zu den Gästen sei seine eigentliche Kraftquelle. Er liebe die Wortwechsel, bei denen jeder gleich wichtig sei. Egal, welches Portmonee oder Titel – alle sind Menschen für den Gastronomen. Auch im größten Erfolg beherzige er stets, was ihm seine Eltern als Nordstadt-Kind aus Dortmund eingetrichtert hätten: „Carlos, vergiss nie, wo du herkommst.“
In der Nordstadt, an der Brunnenstraße, hatte die Carlos-Story vor fast 26 Jahren begonnen. „Es war die Geheimadresse überhaupt“, erzählt er. Zum „Hähnchen-Essen bei Carlos“ kamen Mitarbeiter der Stadtentsorgung, der Feuerwehr, Taxifahrer und Bestatter: „Alles, was Auto fuhr.“ Sie folgten auch, als das Restaurant nach mehreren Schornsteinbränden im Jahre 2005 nach Benninghofen umzog.

Über die Tür an der Brunnenstraße haben die neuen Besitzer das Schild „Kiosk bei Carlos“ gehängt. „Die alten Fliesen sind noch da“, berichtet Carlos Couto: „Dort, wo die Kinder gesessen haben und die ersten Hähnchenbollen gegessen haben.“
Das Loslassen vom Ursprung muss nicht einfach gewesen sein bei so vielen Erinnerungen, die in dem Objekt stecken: „In Benninghofen haben Papa und Mama noch mitgewirkt.“ Auch danach hat die Mutter noch lange die Geheimnisse der Soßen mitgeschrieben: „Aber jetzt geht sie auf die 80 zu.“ Die Schwiegermutter, ebenfalls früher eine Stütze des Betriebs, wird gar 82.
Brandstiftung in Münster
Immer schneller ging es für das Unternehmen, überwiegend im Franchise-System, bergauf. 2013 eröffnete Carlos in Lünen, 2019 in Schwerte-Ost. 2021 folgte der Schritt nach Münster und 2022 nach Bielefeld. „Bei Franchise sagt man: besser schnell und viel“, ließ sich der Gastronom beraten.
Doch dann musste er das erleben, was er „Nackenschlag“ nennt: Gerade drei Monate nach der Eröffnung in Münster setzten Brandstifter die Fassade des Hauses in Flammen, Löschwasser flutete das neue Restaurant, das fünf Monate in Zwangspause ging. Es sei bis heute hinter dem Baugerüst versteckt, das immer noch stehe. Potenzielle Gäste sehen den Eingang nicht.

„Es war echt bitter“, beschreibt der Gastronom „schlaflose Monate“. Doch es sollte noch bitterer kommen. In der Zwischenzeit war auch die Baumaßnahme in Bielefeld angelaufen, wo in neunmonatiger Arbeit ein ähnliches Schiff wie am Standort in Lünen entstand: „Aber der Franchisenehmer kam nicht aus den Socken.“
Er habe nicht die Kraft zum Durchhalten gehabt und schon ein Jahr nach der Eröffnung aufgegeben. Einen neuen zu finden, war nicht so einfach, sodass Carlos Couto im Juni 2024 die Reißleine in Bielefeld zog, wo er jetzt einen Nachmieter sucht. Auch in Münster, seit September 2024 dicht, verhandele er mit Nachmietern. Diese sollen in den Immobilien jeweils eigene Betriebe eröffnen.
Nur noch Schwerte und Lünen
Nach diesem Doppel-Rückzug entschloss sich Carlos Couto, auch das Restaurant in Dortmund-Benninghofen seinem bisherigen Franchisenehmer zu überlassen, damit er es unter seinem Namen weiterbetreiben kann. Ein Gewinn für beide Parteien: „Die haben was Eigenes, und für uns ist es eine Sorge weniger.“
Man kann sich voll und ganz auf Schwerte und Lünen konzentrieren. Angesichts dieser Entwicklung wird der ehemalige Markant-Supermarkt in Schwerte-Ost, der zu einer zentralen Produktion für alle Standorte umgebaut werden sollte, vorerst überwiegend als Lager genutzt. Raum dafür gäbe es zwar auch über „Carlos, der Pirat“. Aber dort müsste alles in die dritte Etage hochgewuchtet werden, einschließlich des schwergewichtigen Reserve-Vorrats an Tellern und Schüsseln.
Stolz auf die junge Generation
Dass alles wieder ein Stückchen kleiner und überschaubarer geworden ist, unterstreicht den eigentlichen Charakter des Betriebes, den Carlos Couto immer vor Augen hatte: „Wir wollen dieses Familienunternehmen beibehalten.“ Es sei schon eine „Mega-Geschichte“, wenn man auf die Jahre zurückblicke: „Noch mehr Stolz ist es für uns, wenn die junge Generation mitmacht.“
Tochter Chiara (24) geht – wie ihre Eltern – voll und ganz in der Gastronomie auf. Ihr und ihrer Schwester zugleich wurde das Segelschiff in Schwerte-Ost gewidmet, das sozusagen das Flaggschiff der Carlos-Restaurants bildet. Getauft auf den Namen Amana – die portugiesische Verniedlichungsform des Wortes „Schwester“ – ehrt es beide. Das machte für den vorausschauenden und diplomatischen Vater die Wahl leichter: „Es ist kein Streit gegeben, wenn der Alte kein weiteres Schiff mehr baut.“
Nach Corona kam Ukraine-Krieg
Der Piratensegler in Schwerte-Ost wurde schon vor fünfeinhalb Jahren in den Saal der früheren Traditionsgaststätte Kreinberg an der Lichtendorfer Straße gebaut. „Es ist, als ob es gestern gewesen wäre“, raste die Zeit atemlos an Carlos Couto vorbei. Sie war nicht leicht mit der Corona-Pandemie mit ihren Zwangs-Schließungen und Beschränkung: „Danach hast du dich noch gar nicht erholt, dann kommt der Ukraine-Krieg hinterher.“
Und dann die ganzen weiteren Krisen: „Es weiß keiner, wo die Reise hingeht.“ Die Menschen sind verunsichert. Gäste, die sich früher jede Woche mit einem Restaurantbesuch verwöhnten, gönnen sich das Vergnügen derzeit vielleicht nur noch zweimal im Monat.
Doch was auch kommen mag, Carlos Couto pariert es mit unerschütterlicher Gelassenheit. „Selbst meine Frau bewundert meine innere Ruhe“, sagt er: „Wir haben doch alle nur ein Leben. Die kurze Zeit, die wir zu Besuch sind auf der Erde.“ Diese Gene habe er von seinem Vater geerbt: „In der Ruhe liegt die Kraft.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 17. November 2024.