Psychotherapeut zu Alkohol bei Jugendlichen „Zuerst den Eimer reichen – und später reden“

Psychotherapeut zu Alkohol bei Jugendlichen: „Eltern sollten cool bleiben“
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Zum Thema Alkohol gibt es unterschiedliche Einstellungen. Manche Eltern würden es ihren Kindern am liebsten komplett verbieten, andere sehen das Ganze eher locker.

Und der Nachwuchs hält sich nicht unbedingt an die Vorstellungen von Mama und Papa. Wenn also die Tochter oder der Sohn zum ersten Mal volltrunken auf der Türschwelle stehen – wie reagiere ich als Elternteil? Welche Regeln sollte ich im Umgang mit Alkohol aufstellen? Wann spreche ich mit meinem Kind darüber – und wie erkenne ich Anzeichen einer Suchtgefährdung? Darüber haben wir mit dem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und zweifachen Vater Dr. Christian Lüdke (62) gesprochen.

Die knapp 15-jährige Tochter kommt nach der Party ziemlich alkoholisiert nach Hause gestolpert. Wie reagiere ich in dem Moment richtig?

„Im Grunde würde ich einfach sagen: Hallo, schön dass du wieder da bist. Hattet ihr eine schöne Feier? Ich würde nicht sofort einsteigen und sagen: Mensch, wie siehst du denn aus? Hast du etwa eine Fahne? Ich würde mein Kind in keiner Weise provozieren und konfrontieren, sondern erst mal cool reagieren.“

Weil eine Diskussion zu dem Zeitpunkt keinen Sinn macht?

„Eben. Man kann sowieso nicht vernünftig darüber sprechen, wenn jemand beduselt oder sogar richtig voll ankommt. Da würde ich erst einmal Beistand anbieten. Wenn sie trinken können, sollen sie natürlich auch sehen, was die Folgen sind. Vielleicht würde ich einen Eimer mitgeben, um alles andere müssen sie sich selber kümmern.“

Aber sprechen sollte man trotzdem.

„Ich würde ein oder zwei Tage warten, bis sie komplett ausgenüchtert sind. Dann gilt es, Person und Verhalten voneinander zu trennen. Man kann sagen: Mir ist aufgefallen, du hast beim letzten Mal ganz schön getankt. Das kann man in einem lockeren Rahmen ansprechen.

Auf keinen Fall würde ich Kindern an der Stelle Vorwürfe machen, das würde sie nur in die Ecke treiben und dazu führen, dass sie es letztlich heimlich machen und den Eltern in dieser Form gar nicht mehr gegenübertreten. Auch wenn die Situation nicht gerade schön ist, ist es doch ein Vertrauensbeweis. Sie wissen: Ich brauche keine Angst vor Mama und Papa zu haben.“

Macht es Sinn, klare Regeln aufzustellen?

„Das Thema ist wichtig und sollte auch insgesamt angesprochen werden. Die klaren Vorgaben sind durch das Jugendschutzgesetz geregelt, da würde ich mich auch ganz strikt dran halten. Es spricht ja nichts dagegen, wenn familienintern etwas Besonderes gefeiert wird, dass Jugendliche auch mal ein Sektchen oder Bierchen mittrinken. Im besten Fall sind Eltern auch hier wieder gute Vorbilder. Es ist kein schöner Anblick, wenn Kinder mitkriegen, wie Mama und Papa sturztrunken auf der Toilette einpennen oder eventuell sogar ein ‚Speiseopfer‘ darbringen. Das wäre nicht so toll. Und es sollte klare Regeln geben, wenn der Nachwuchs mit Freunden im öffentlichen Raum unterwegs ist.“

Nanu, wer trinkt da schon während der Arbeitszeit? Eltern sollten ihren Kindern auch in Sachen Alkohol Vorbilder sein.
Nanu, wer trinkt da schon während der Arbeitszeit? Eltern sollten ihren Kindern auch in Sachen Alkohol Vorbilder sein. © picture alliance/dpa

Welche Regeln wären das?

„Aufpassen bei den harten Sachen, Vorsicht bei Trinkspielen. Ich würde meine Kinder warnen, dass sie sich da nicht zu sehr reinziehen lassen. Was sie nie, nie, nie tun dürfen: Bei Leuten, die etwas getrunken haben, ins Auto steigen oder selbst noch fahren. Da würde ich entweder genug Geld für ein Taxi mitgeben oder spontan anbieten, sie auch nachts abzuholen. Wenn sie zum Beispiel die Bahn verpasst haben. Das sollten sie tun dürfen, ohne Angst zu haben, Ärger zu bekommen. Das sollte der Rahmen sein.“

Das gilt für Söhne genauso wie Töchter?

„Grundsätzlich schon. Was ich gerade Töchtern mit auf den Weg geben würde: Lasst nie euer Getränk irgendwo unbeaufsichtigt, sondern behaltet die Flasche oder das Glas immer bei euch. Stichwort ‚Liquid Ecstasy‘ oder K.O.-Tropfen. Es ist schon häufig passiert, dass junge Frauen betäubt und vergewaltigt worden sind – sogar innerhalb der Clique. Das ist neben dem körperlichen Übergriff natürlich besonders schlimm, ein absoluter Vertrauensbruch. Aber auch das passiert. Insgesamt muss man versuchen, seine Kinder zu schützen – ohne sie zu bevormunden. In einem lockeren Gespräch kann man das verständigen Jugendlichen auch klarmachen“

Wenn Jugendliche unterwegs sind, fließt irgendwann auch mal Alkohol. Doch es sollte Regeln geben - vor allem, was Hochprozentiges betrifft.
Wenn Jugendliche unterwegs sind, fließt irgendwann auch mal Alkohol. Doch es sollte Regeln geben – vor allem, was Hochprozentiges betrifft. © picture alliance / dpa

Wenn man zu mehreren losgeht, gibt es sicher auch Konflikte, weil Eltern unterschiedliche Regeln setzen. Manche sind strenger, andere lockerer.

„Da würde ich sagen: Versucht nicht, eure Freunde zu überreden. Das müssen die ganz für sich allein ausmachen. Halte du dich an die Regeln, die wir abgesprochen haben. Ich muss nicht abstinent sein, nur weil die andern nichts trinken. Andersherum kann ich auch Spaß haben, ohne was zu trinken. Man sollte sich niemals bei den anderen einmischen und sagen: Stell dich nicht so an, komm, trink einen mit. Deine Eltern sind ja jetzt nicht hier.“

An welcher Stelle wird der Umgang mit Alkohol problematisch?

„Wenn ich merke, dass es zu einer Regelmäßigkeit wird: Endlich Freitag, juhu, Eskalation! Wenn jedes Wochenende durchgefeiert wird, und wenn sie dann anfangen vorzuglühen. Das ist eine klassische Konditionierung, und dann steigt auch der Suchtdruck. Das würde ich schon sehr kritisch beobachten und sagen: Es besteht die Gefahr, dass sie eine Suchtpersönlichkeit entwickeln.“

Was mache ich dann als Elternteil?

„Als Suchttherapeut kann ich sagen: Es ist niemals das Suchtmittel, das abhängig macht. Die Wirkung macht abhängig. Das würde ich in einem Gespräch mit meinem Kind ganz offen so sagen: Alkohol bewirkt ja etwas. Was ist denn bei dir die Wirkung, was magst du denn so daran? Fühlst du dich beschwingter, mutiger, stärker? Traust du dich mehr?

Auf diese Wirkung würde ich mich dann fokussieren und sagen: Mensch, das kannst du vielleicht auch über andere Wege erreichen. Das beste Beispiel ist Sport. Dort erreicht man natürliche Rauschzustände. Es wäre gut, wenn man da eine Alternative findet und das Trinkverhalten auf ein normales Maß reduziert. Und mal rausgeht, ohne sich ,wegzuballern‘.“

„Ich hatte nur ein oder zwei Döschen Bier, Mama!“ Das kann sein - doch es kommt auch auf die Art der Darreichung an.
„Ich hatte nur ein oder zwei Döschen Bier, Mama!“ Das kann sein – doch es kommt auch auf die Art der Darreichung an. © picture alliance / dpa

Man muss es also schaffen, im Gespräch zu bleiben – auch wenn der Nachwuchs das möglicherweise nicht gern hört.

Wir haben alle unsere Erfahrungen gemacht und haben auch über die Stränge geschlagen. Aber wir sind nicht die besten Freunde unserer Kinder, sondern wir sind Eltern. Und wenn Eltern ihren Job gut machen, dann machen sie sich ab und zu eben bei ihren Kindern unbeliebt. Das ist dann einfach so. Weil sie Regeln und Leitplanken einführen. Und darauf achten, dass das Ganze eingehalten wird. Damit die Kinder nicht zu Schaden kommen.

Psychotherapeut Dr. Christian Lüdke:

  • Dr. Christian Lüdke ist approbierter Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut und Klinischer Hypnotherapeut. Er unterstützt Kinder, Jugendliche, Familien und Paare. TV-Zuschauerinnen und -Zuschauer schätzen seit vielen Jahren seine kompetenten Tipps.
  • Er ist selbst zweifacher Vater und gibt uns regelmäßig Tipps rund um Familie und Kinder.
  • Lüdke ist erfolgreicher Autor, unter anderem der Kinderbücher zu Stella und Tom.

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