Der Retter der Stadt Schwerte Wie Friedrich Schreiber (90) das gierige Dortmund austrickste

Retter von Schwerte: Friedrich Schreiber (90) trickste Dortmund aus
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Schwerte von der Landkarte ausradieren – das hätten die umliegenden Großstädte Dortmund, Hagen und Iserlohn liebend gern gemacht. Insgeheim teilten sie vor 50 Jahren schon den Kuchen unter sich auf.

Doch sie hatten ihre Rechnung ohne den späteren SPD-Landtagsabgeordneten Friedrich Schreiber (SPD) gemacht, der als Rechtsanwalt und frisch gewählter Stadtrat in der kommunalen Szene bestens vernetzt war, wie man heute sagen würde.

Hans Haberschuss, Hartmut Ganzke, Friedrich Schreiber und seine Ehefrau Ursula Schreiber stehen und sitzen zusammen im Haus der Schreibers in Schwerte-Geisecke.
Interessiert hörten (stehend, v.l.) Bürgermeister-Stellvertreter Hans Haberschuss und Landtagsabgeordneter Hartmut Ganzke zu, als dessen Vor-Vor-Vor-Vorgänger Friedrich Schreiber (90) unterstützt von seiner Ehefrau Ursula Schreiber von der Rettung der Stadt Schwerte vor 50 Jahren erzählte. © Reinhard Schmitz (A)

Nichts übrig von Schwerte

In seinem Geisecker Wohnzimmer erinnert sich der heute 90-Jährige noch an den entscheidenden Moment, als wäre er gerade erst geschehen. „Fritz, pass mal auf, die kommen her: Schwerte wird aufgelöst“, steckte ihm ein befreundeter Rechtsanwaltskollege zu, der bei der Stadt Dortmund arbeitete.

In der nächsten Woche finde in Schwerte eine Veranstaltung unter anderem mit Leuten aus der NRW-Hauptstadt Düsseldorf und Dortmund statt, um Nägel mit Köpfen zu machen: Dortmund wolle alle Gebiete nördlich der Ruhr, Hagen alles jenseits der Lenne bis nach Garenfeld. Den Rest wolle sich Iserlohn einverleiben.

So weit die Information. Noch wichtiger aber war der Insider-Tipp: „Kurz nach 9 Uhr bis halb 10 werden die Dortmunder abhauen, weil dort Vorwahlen für den Landtag sind. Versuch, die Verhandlungen zu verlängern, bis sie weg sind. Dann könnt ihr das vielleicht verhindern.“

Friedrich Schreiber wusste, wie man das machen konnte: „Ich habe einen Antrag zur Geschäftsordnung gestellt“, erzählt er: „Ich habe mehrere Kollegen, die links und rechts Grundstücke geerbt haben. Die wissen dann doch gar nicht mehr, wo die Grundstücke liegen.“ Ein Kollege – so war es abgesprochen – stieß anschließend mit Grundstücken in Iserlohn und Schwerte in dieselbe Kerbe. Was folgte: „Palaver, Palaver.“ Genau so, wie der Politik-Fuchs es gewollt hatte.

Geboren in Siebenbürgen

Tatsächlich verließen die Dortmunder darüber den Saal. Bei der entscheidenden Abstimmung wurde ihr Ansinnen mit einem Patt von 80 zu 80 Stimmen abgelehnt. „Schwerte blieb als selbstständige Gemeinde erhalten“, ist Friedrich Schreiber immer noch froh.

Seit 1958 lebt der im rumänischen Kronstadt (Siebenbürgen) geborene Jurist und Finanzbeamte in Geisecke. Als einzige Veränderung durch die Kommunalreform spürte er später die Umbenennung seiner Adresse von Bahnhofstraße in Geisecker Talstraße. Das war durch die Eingemeindung der kleinen Ortsteile nach Schwerte nötig geworden, die fast alle eine eigene Bahnhofstraße hatten.

„Wenn der Kumpel, der bei der Stadt Dortmund arbeitete, das nicht gesagt hätte, wäre die Stadt kaputt“, hat Friedrich Schreiber nie vergessen, wem er seine Tat verdankt. Umso mehr ärgerte es ihn aber, als er zur späteren Feier eines Stadtjubiläums keine Einladung erhielt.

Das bekam der damalige Bürgermeister Heinrich Böckelühr zu spüren. „Du bist auch ein A....“, sagte der Landtagsabgeordnete: „Wenn ich nicht wäre, säßest du nicht hier.“ Dann aber stellte sich heraus, dass die SPD-Fraktion sehr wohl zehn Tickets bekommen hatte. Nur an ihr verdientes Mitglied war keins weitergereicht worden.

Ehrung für 60 Jahre in der SPD

Die Partei erwies Friedrich Schreiber aber jetzt die Ehre, als er Saal der Gaststätte „Auf der Heide“ für 60-jährige Mitgliedschaft ausgezeichnet wurde. „Alle haben sich ausnahmslos erhoben“, berichtet Landtagsabgeordneter Hartmut Ganzke, der gekommen war, um eigenhändig die Urkunde an seinen Vor-Vor-Vor-Vorgänger zu übergeben.

Von 1975 bis zu seinem selbstgewählten Rückzug im Jahre 1995 hatte Friedrich Schreiber die Region im NRW-Parlament vertreten: „Er war eine wichtige Persönlichkeit in Düsseldorf.“ Als SPD-Fraktionsgeschäftsführer musste er die Fraktion zusammenhalten und dafür sorgen, dass sie bei Abstimmungen und im Plenum vollständig anwesend war.

Als Vorsitzender des Justizausschusses etablierte Friedrich Schreiber in Fröndenberg das erste Justizkrankenhaus in NRW. Er hatte gehört, dass die neu gebaute Klinik in der Nachbarstadt Pleite gegangen war und verkauft werden sollte. Da erinnerte er sich an das Beispiel aus Hessen, wo man mit einem eigenen Häftlingskrankenhaus immense Kosten für die stationäre Behandlung von Strafgefangenen einsparen konnte. Das Gleiche gelang NRW mit der Übernahme der Klinik in Fröndenberg.

Auch das Krankenhaus gerettet

Auch bei der Rettung des damaligen Evangelischen Krankenhauses in Schwerte hatte Friedrich Schreiber seine Finger im Spiel. Ihm war wieder einmal etwas rechtzeitig zu Ohren gekommen: Das Land verfolgte einen Plan, alle Kliniken unter 200 Betten zu schließen. An der Schützenstraße gab es 196.

Auf den Tipp des Landtagsabgeordneten hin ließ der Geschäftsführer rasch vier weitere in die sogenannte „Westfalenhalle“ in dem Türmchen an der Schützenstraße schieben: „Am nächsten Tag kam die Kommission.“ Und stellte fest, die die Mindestzahl an Betten erreicht war.

Der stellvertretende Bürgermeister Hans Haberschuss (SPD) war bei dieser Zählung zwar nicht dabei, aber an die „Westfalenhalle“ kann er noch ganz andere Erinnerungen zum Besten geben. „Da gab es einen Kühlschrank“, erzählt er mit einem Grinsen: „Die Bleifensterbänke waren hochgebogen, da lagen die Bierflaschen drin.“ Die Patienten in dem Zimmer seien auch nicht richtig krank gewesen, sondern hätten nur Verletzungen auskuriert.

Landtag statt Professur

„Ich bin stolz, wieder mehr Kontakt zu haben“, sagt Hans Haberschuss zu SPD-Legende Friedrich Schreiber, den er schon bei seinem Umzug nach Geisecke kennengelernt hatte. Wenig bekannt ist, dass der eigentlich gar nicht in den Landtag einziehen, sondern Professor an der Finanz-Akademie im Schloss Nordkirchen werden wollte.

Nach dem Rückzug des eigentlichen SPD-Kandidaten, der überraschend ein Super-Angebot beim Energieversorger RWE angenommen hatte, hatte ihn der Ortsverein ohne sein Wissen als Ersatz bestimmt. „Zu Hause drehte sich meine Frau um und redete nicht mehr mit mir“, erzählt Friedrich Schreiber: „Du gehst also in den Landtag.“

Aber die Funkstille war genauso schnell vorbei. Liebevoll klopft sie ihm auch nach 63 Jahren Ehe noch immer wieder auf die Schulter. Und er dreht den Kopf vertrauensvoll zu seiner Ursula, wenn die den einen oder anderen Namen noch besser in Erinnerung hat.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist erstmals am 11. November 2024 erschienen.