Inka Weiers (23) aus Schwerte zählt zu den besten Tätowiererinnen Deutschlands. In einem aktuellen Buch des Kruhm-Verlags („Die besten Tätowiererinnen in Deutschland“, Anm. d. Red.) finden sich zwei Seiten zu der Teilhaberin des Tattoostudios „Schönes Herz“ an der Mährstraße. Ein Ritterschlag in der Szene.
Unter Inka Weiers‘ Künstlernamen „Northern Ginger Tattoo“ wird im Buch eine Auswahl ihrer Tattoos gezeigt. „Northern“ bezieht sich dabei auf ihre Wurzeln an der Nordsee, „Ginger“ auf ihre roten Haare. Die neun ausgewählten Tattoos geben einen Einblick in die Vielseitigkeit der jungen Friesin. Denn festlegen will sich Inka Weiers nicht. Sie mag Stilbrüche, gibt aber zu, eine Vorliebe für Fineline- und Water-Color-Tattoos zu haben.
Dass sie sich jemals in einem Buch Seite an Seite mit Top-Tätowiererinnen wiederfinden würde, das hätte die heute 23-Jährige nie gedacht. Ende 2021 war sie – noch ohne berufliche Vision – mit ihrem damaligen Freund aus Friesland nach Schwerte gezogen, da dieser an der Ruhrakademie studieren wollte. „Ich komme mit und schaue mal“, habe sie gedacht und zunächst einen Teilzeitjob im Einzelhandel angefangen.

Spontane Entscheidung
Doch dann wurde die junge Frau auf das Tattoo-Studio „Schönes Herz“ von Helge Teichmann (42) aufmerksam. Sie sei eines Tages spontan hereinmarschiert – mit ihrem prall gefüllten Skizzenbuch. Eine Bauchentscheidung, die ihr Leben verändern sollte. Und auch das von Helge Teichmann. Heute sind die beiden nämlich nicht nur dicke Freunde, sondern auch Geschäftspartner.
Aber der Reihe nach und zurück in den Januar 2022. Damals habe sich Helge Teichmann ihre Zeichnungen nur aus Höflichkeit angeschaut, sagt Inka Weiers, die damals selbst nur ein einziges Tattoo hatte. Und Helge Teichmann gibt zu, dass er nach negativen Erfahrungen gar keine Lust auf einen neuen Schützling gehabt habe. Doch die Skizzen, vor allem schwarz-weiße Porträts, stimmten ihn um. „Er hat direkt Potenzial in mir gesehen. Und für mich hat es sich so angefühlt, als hätte ich meine Berufung gefunden.“

Chemie stimmte
Die Chemie zwischen dem Hünen Helge Teichmann und der zierlichen Inka Weiers stimmte gleich. Und so ließ sich diese auch nach der Trennung von ihrem Freund nicht von ihrem frisch erwachten Traum vom Tätowieren abbringen. „Meine Mutter wollte zwar zuerst, dass ich zurückkomme. Aber als sie verstanden hat, dass ich weitermachen will, hat sie mir jede Unterstützung zukommen lassen.“ Und auch Helge Teichmann sprang ihr bei. Er nahm Inka Weiers, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatte, bei sich und seiner Frau auf.
Die Trennung sei zunächst ein Schock gewesen, sagt Inka Weiers im Rückblick und senkt kurz den Blick, doch dann schaut sie auf und ihre Augen funkeln. „So doof die Ausgangssituation auch war, so hat es mich menschlich weitergebracht.“ Früher habe sie Angststörungen gehabt und unter einer Sozialphobie gelitten. Heute sei sie beruflich selbstständig und wisse, sich Kundinnen und Kunden gegenüber zu verkaufen. Als sie das sagt, sieht sie selbst ein bisschen ungläubig aus. „Ich bin heute ein ganz anderer Mensch.“

Das erste Tattoo
Helge Teichmann habe sie stark mitgezogen. Doch Inka Weiers selbst hat auch von Anfang an Vollgas gegeben. Schon im März 2022 stach sie ihr erstes Tattoo auf echter Haut. Neun Monate früher, als Helge Teichmann es anfangs für möglich gehalten hätte – und dabei hatte er an Kunsthaut gedacht.
Inka Weiers kniete sich allerdings schon in den ersten drei Monaten so rein, dass sie im März 2022 an den Oberschenkel ihres Mentors durfte. „Das ist eine beliebte Stelle zum Üben. Da konnte Helge selbst mit eingreifen und mir Tipps geben.“
Das Motiv: ein Dino im „My little Pony“-Stil. Glatt lief dessen Entstehung nicht. Sie habe sich damals fast in die Hose gemacht, gibt Inka Weiers zu. Die Arbeit habe immer wieder unterbrochen werden müssen, da Helge Teichmann zwischendurch Kunden beraten habe.
Das Problem: Ein frisches Tattoo schwelle an, dann weiterzumachen tue richtig weh. „Wir mussten sogar aufhören, weil es einfach zu schmerzhaft wurde für Helge. Und ich habe mich gefragt, ob das wirklich was für mich ist, schließlich fügt man beim Tätowieren einem Menschen Schmerzen zu. Damit muss man umgehen können.“

Erste Kunden von der Nordsee
Doch sie blieb dran. Übte auf ihrer eigenen Haut und tätowierte am Anfang vor allem Familienmitglieder und Freunde. Die seien dafür extra von der Nordsee nach Schwerte gekommen. Als Neuling müsse man sich eben erst einmal etablieren.
Und weil Tätowieren Vertrauenssache sei und ein Tattoo nun mal für immer bleibe, wachse ein Kundenstamm langsam. Im zweiten Jahr habe sie dann von Helge Teichmann einige Kunden übernehmen können: Nach und nach seien auch Fremde auf ihre Arbeit aufmerksam geworden und zu Kunden geworden.

Überraschungs-Pokal
Im April 2024 stand ein nächster Meilenstein an: eine Tattoo-Convention, also eine Tattoo-Messe, in Kommern. Auf solchen Conventions können Tätowierer in verschiedenen Kategorien an einem Wettbewerb teilnehmen. Dazu meldet man ein vor Ort gestochenes Tattoo zur Bewertung an.
Inka Weiers wollte eigentlich mit einem frischen Tattoo auf der Haut von Helge Teichmanns Frau teilnehmen. Doch dann zweifelte sie, ob der kleine Bowser (eine drachenartige Figur aus dem Super Mario-Kosmos) gut genug ist. Helge Teichmann hatte daran allerdings keinen Zweifel. Er meldete Inka Weiers heimlich an.
Als abends die Gewinner verkündet wurden, unterhielt sich Inka Weiers gerade mit einem Kunden. Plötzlich hätten sich alle umgedreht. „Du musst auf die Bühne. Du hast gewonnen“, habe es geheißen. Und so kam sie zu ihrem ersten Tattoo-Pokal für Platz Zwei in der Kategorie Tagesleistung.
„Solche Schubser hat mir Helge immer wieder gegeben.“ Mittlerweile tritt die Friesin selbstbewusster auf, zu ihrem ersten Pokal sind längst weitere hinzugekommen. Sie stehen im Tattoo-Studio neben denen von Helge Teichmann auf einer Trennwand, auf der es allmählich nur noch wenig Platz gibt.

70-Stunden-Woche
Wenig Platz für Freizeit blieb Inka Weiers übrigens in ihrer rund dreijährigen Lehrzeit. Wobei: Eine vorgeschriebene Berufsausbildung gibt es für Tätowierer nicht. Es gibt keine Prüfungsordnung oder einen anerkannten Abschluss. Vielmehr sucht sich ein Neuling einen Mentor, der ihn unter seine Fittiche nimmt. Ein Lehrgeld gibt es nicht.
„Ich habe also neben meinem Teilzeit-Job im Supermarkt – quasi in meiner Freizeit – das Tätowieren gelernt. Und kam so auf eine 70-Stunden-Woche. Das war mega anstrengend“, erklärt Inka Weiers. Seit Anfang 2025 hat die Doppelbelastung aber ein Ende, denn seitdem ist sie Teilhaberin von „Schönes Herz“.
Und das lässt ihr eigenes Herz höherschlagen. „Mich begeistert, dass ich mit meiner Kunst Menschen glücklich machen kann. Und dass ich die Ehre haben darf, dass sie meine Kunst auf der Haut tragen.“ Im Rückblick habe sie auch viel Glück gehabt, sagt Inka Weiers bescheiden. Diese Bescheidenheit ehrt sie. Doch ohne ihre Beharrlichkeit und ihren Mut, ihren Traum zu verfolgen, wäre sie kaum da, wo sie heute ist.
Im Mai steht übrigens die nächste Tattoo-Convention an. Und da will Inka Weiers wieder zeigen, was sie kann. Mit dem Tätowieren vor Publikum hat die junge Frau gar keine Probleme, auch wenn sie sich das früher wohl niemals hätte vorstellen können. „Ich bin dann ganz im Moment. Meine Arbeit macht mir Spaß und ist wie eine Pause von der Welt.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist erstmals am 9. März 2025 erschienen.