Eine Gans mit drei Keulen – die gab es nur am Geflügelstand von Roswitha Papenbrock (66). Jedes Mal zur Weihnachtszeit muss die Markthändlerin die wahre Geschichte von der Familie erzählen, die unter dem Baum einer besonderen Tradition huldigte: Mama und Sohn bekamen stets die Keulen auf den Teller, die übrigen Festgäste mussten sich den Rest des Bratens teilen.
Bis sich Jahre später der inzwischen hinzugekommene Schwiegersohn beschwerte, dass er nun doch auch zur Familie gehöre und ebenfalls Keule schmausen wolle. Roswitha Papenbrock wusste Rat: Bei der nächsten Bestellung nähte sie einfach eine dritte Keule an den Geflügel-Körper an.
Um 3.15 Uhr ist Nacht zu Ende
Auf Anekdoten wie diese müssen Kundinnen und Kunden des Schwerter Wochenmarkts – und auch der Märkte in Dortmund-Aplerbeck und -Hombruch – bald verzichten. Denn mit der Tradition des Geflügelstands Papenbrock ist nach Weihnachten 2024 Schluss. „Heiligabend bin ich zum letzten Mal hier (in Schwerte – Markt wurde aufgrund der Feiertage auf Dienstag (24.12.) vorverlegt, Anm. d. Red.)“, kündigt Roswitha Papenbrock an.
Nach einem anstrengenden Berufsleben wollen sich die 66-Jährige und ihr 68 Jahre alter Ehemann Andreas Papenbrock zur Ruhe setzen. Ihre Wünsche sind bescheiden: „Einfach mal normal leben wie jeder andere auch und nicht um 3.15 Uhr aufstehen.“ Für einen Arbeitstag, der mit Spülen und Putzen gut und gerne erst nach 12 bis 14 Stunden zu Ende ging. Nicht zu vergessen den „Bürokram“, der durch ständig neue Vorschriften immer umfangreicher wurde.

Einen Nachfolger für ihren etablierten Stand hat Roswitha Papenbrock angesichts dieser Aussichten nicht gefunden. Keiner wolle mehr richtig arbeiten: „Sie können hier nicht sagen: Heute gehe ich und morgen nicht.“ Diese Entwicklung – so ist sie sicher – würden die Marktbesucherinnen und -besucher auch noch bei anderen Kolleginnen und Kollegen spüren, wenn dort ein Generationswechsel anstehe.
Vor 60 Jahren gegründet
Bei Roswitha Papenbrock selbst war es indes keine Frage, dass sie nach der Heirat mit ihrem Mann in den Betrieb einstieg, den ihre Schwiegereltern vor 60 Jahren gegründet hatten. Dafür gab sie nach vier Jahren ihren Bürojob auf, für den sie sogar Stenographie gelernt hatte.
Von der Zentrale im münsterländischen Sendenhorst ging es regelmäßig auf die Wochenmärkte in Everswinkel, Hombruch und Aplerbeck, wo die Nachbarn vom Geflügelstand Zierau eines Tages berichteten, dass sie mit dem Verkauf in Schwerte aufhören wollten: „Da haben sie uns gefragt: Wollt ihr nicht kommen?“
Seit etwa zwölf Jahren rollen die Papenbrocks deshalb mit ihrem Verkaufswagen mittwochs und samstags auch auf dem Platz vor St. Viktor vor. Lediglich in der anderthalbjährigen Umbauphase mussten sie wie alle Markthändler umziehen auf den benachbarten, aber etwas versteckten Wuckenhof.
„Das war gar nicht so toll“, berichtet Roswitha Papenbrock, während sie einem Kunden eine prächtige Hirschkeule zeigt. Das Wild, für das ihr Stand ebenfalls bekannt ist, zerlege ihr Mann selbst. Er werde ausgeweidet aus dem Münsterland und aus der Lüneburger Heide angeliefert.
„Wir werden sie vermissen“
Die Schwerterinnen und Schwerter schätzen die Braten von den Papenbrocks. „Schreiben Sie, dass wir sie vermissen werden, wenn sie gehen“, tönt es während der Recherche immer wieder aus dem Hintergrund. Legendär sind auch der Currysalat und der Geflügelsalat, die an dem Stand angeboten werden. Viele haben sich per Vorbestellung schon die wichtigste Zutat für ihr Weihnachtsmenü gesichert.
Zu einem Erlebnis wie vor einigen Jahren sollte es an Heiligabend aber nicht noch einmal kommen. Da war für einen Mann eine 13-Kilogramm-Pute zurückgelegt worden. Weil es in keine Schublade passte, lag das Prachtstück eingehüllt in Zellophan bereit. Doch der völlig entgeisterte Abholer fragte: „Wem gehört denn diese Pute?“ Er wollte lediglich ein 13 Pfund schweres Geflügel. Das bekam er natürlich auch sofort, als der Irrtum aufgeklärt war. Die Super-Pute wurde anschließend zerlegt und in Einzelteilen verkauft.