Pfusch am Bau und eigenwillige Turmkonstruktion Sanierung von St. Viktor wird noch teurer

Pfusch und eigenwilliger Turm: Sanierung von St. Viktor wird teurer
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Keine Verschraubung, kein Nagel, nicht einmal ein Holzzapfen. Nirgendwo ist der mehr als 30 Meter hohe schiefe Turmhelm von St. Viktor auch nur ansatzweise mit seinem gemauerten Sockel verbunden. „Er steht nur drauf“, überrascht Denkmalpflegerin Dr. Bettina Heine-Hippler (Münster) mit ihrer Erkenntnis. Einzig allein durch ihr mächtiges Eigengewicht trotzt die verschieferte Spitze seit Jahrhunderten allen Stürmen und Orkanen im Ruhrtal.

Die Kirche St. Viktor steht am Markt in Schwerte.
Einzig und allein durch sein Gewicht steht der verschieferte Turmhelm auf dem Mauerwerk der Viktorkirche. © Manuela Schwerte (A)

Doppelte Schicht Schiefer

Diese eigenwillige Konstruktion stellte ein Statiker fest, als der Turm im Frühjahr erstmals komplett von innen vermessen wurde. Um dem Helm die nötige Schwere von rund 65 Tonnen zu geben, griffen die mittelalterlichen Bauleute tief in ihre Trickkiste: Sie belegten das Dach mit einer doppelten Schicht von Schieferplatten. „Altdeutsche Doppeldeckung“ nennt Dr. Bettina Heine-Hippler das Verfahren. Mit seinen Überlappungen hält es außerdem das Dach weiterhin vor Regen geschützt, falls mal eine der oberen Platten abfällt.

Das hat die Evangelische Kirchengemeinde Schwerte bei einem Sturm vor anderthalb Jahren erleben müssen. Zwar wurde die Schäden damals dank eines 80.000-Euro-Zuschusses des Landes NRW per Notsicherung fürs Erste beseitigt. Als Dauerzustand taugt diese Art von Reparatur aber nicht. „Unverhofft muss der Turmhelm neu gedeckt werden“, berichtet Finanzkirchmeister Ulrich Groth von einer „kalten Dusche“, die die Kosten für die umfangreichen Sanierungsarbeiten an Schwertes ältestem Gotteshaus noch einmal um „deutlich über 600.000 Euro“ in die Höhe treiben.

Gerüst an Glocken verankern

Doch daran führt kein Weg vorbei. Im Laufe der Jahrhunderte sei der Turm mehrfach repariert worden, berichtet Dr. Bettina Heine-Hippler: „Aber viele Reparaturen sind schon wieder kaputt.“ Deshalb müsse der Helm komplett neu eingeschiefert werden - was aufgrund der Bauweise erheblich teurer wird. Denn erste Pläne, nur eine einfache Schieferschicht aufzunageln, hätten durch das niedrigere Gewicht die Stabilität infrage gestellt. Pro Quadratmeter mache das etwa 20 Kilogramm Gewichtsunterschied aus. Und Mehrkosten von rund 120 Euro für jeden der 540 Quadratmeter Dachfläche.

Denkmalpfleger dokumentieren die Steinmetzzeichen der Erbauer von St. Viktor in der Fassade.
Ihre Steinmetzzeichen haben die mittelalterlichen Erbauer der Viktorkirche auch an den Laibungen der Chorfenster hinterlassen. Die Denkmalpfleger nutzen das Gerüst, um sie zu dokumentieren. © Reinhard Schmitz

„Eine nachhaltige Sanierung gab es nie“, sagt Architekt Christoph Harder (Hagen), dessen Büro auf historische Bauwerke spezialisiert ist. Eine „ziemliche Herausforderung“ sei schon allein das Aufstellen des Baugerüsts. Wegen des großen Winddrucks - verstärkt durch die Abschirmnetze - kann man sich nur abschnittsweise an dem insgesamt mehr als 70 Meter hohen Turm hocharbeiten: „Der Anfang ist bei 40 Metern, einem Drittel des Turmhelms.“ Zeitweise soll das Gerüst dabei zur Sicherheit an dem schweren Glockenstuhl mit den Stahlglocken befestigt werden.

Fertig im September 2025

Der Zeitplan sieht vor, den Turmschaft noch in diesem Herbst einzurüsten, um mit der Fassadensanierung an seinem steinernen Sockel zu beginnen. Ende Februar/Anfang März 2025 soll das Gerüst dann weiter am Turm hoch gebaut werden. Die Fertigstellung des Helms peilt der Architekt dann für den September 2025 an. Die Denkmalpfleger wollen die Arbeiten nutzen, um intensive Bauforschung betreiben zu können.

Das Gerüst für die Fassadenarbeiten an St. Viktor muss so stabil und breit sein, dass die Steinmetze dort auch mal größere Steine lagern und bearbeiten können.
Das Gerüst für die Fassadenarbeiten an St. Viktor muss so stabil und breit sein, dass die Steinmetze dort auch mal größere Steine lagern und bearbeiten können. © Reinhard Schmitz

Der Turm ist nur ein neues Sorgenkind bei der umfassenden Sanierung der Marktkirche. Seit sie im Jahre 2013 an dem Objekt tätig sei, habe die Kirchengemeinde schon den Innenraum, den Antwerpener Klappaltar und andere Ausstellungsstücke sowie das Dach repariert, zählt Dr. Bettina Heine-Hippler auf: „Üblicherweise kann nur eine dieser Baumaßnahmen von einer Generation geschafft werden.“ In Schwerte geschehe alles auf einmal, wofür sie der Kirchengemeinde ein großes Lob aussprach.

Unfachmännische Reparaturen

Derzeit läuft ja auch noch die Fassadensanierung, für die die Viktorkirche rundherum eingerüstet worden ist. Auch dabei stieß man wieder auf teure Überraschungen. Einfach mit Zement verschmiert hatte man in früheren Jahren Abplatzungen am Sandstein an den Fensterflächen. Doch die harte Masse verträgt sich nicht mit dem weichen Sandstein aus den Baumbergen im Münsterland, aus dem die steinernen Sprossen zwischen den Bleiverglasungen - das sogenannte Maßwerk - gefertigt sind. Sie platzt ab und reißt dabei weitere Sandsteinschichten mit, wie der Experte Manuel Rosenthal, Geschäftsführer von Natursteinstein Häder aus Greven, erklärt.

Besonderes Gerüst nötig

Die Folge: An mehr als 400 Stellen müssen seine Steinmetze jetzt den Zement der unfachmännischen Reparatur wieder abtragen und durch passgenau angefertigte Sandsteinstücke ersetzen. Die floralen Muster des Maßwerks erfordern, dass für jedes zunächst vor Ort eine Schablone angefertigt werden muss. Die Befestigung erfolgt mit einem Spezialkleber.

Der Förderverein St. Viktor verkauft alte Schieferplatten vom Kirchendach als Souvenir.
Spendenaktion für die weitere Sanierung von St. Viktor: Originale Schieferplatten vom Kirchendach samt Aufdruck bieten Finanzkirchmeister Ulrich Groth (l.) und Fördervereins-Vorsitzender Ulrich Halbach zum Preis von 25 Euro an. © Reinhard Schmitz

Um Steine auf dem Gerüst bearbeiten zu können, müssen dessen Planken wesentlich breiter und tragfähiger sein als für bloße Anstreicherarbeiten. „Die Gerüstkosten machen einen großen Anteil an den Sanierungskosten aus“, weiß Dr. Bettina Heine-Hippler aus ihrer Arbeit.

Spenden und Souvenirverkauf

Insgesamt geht Ulrich Groth von 2,2 Millionen Euro für die Arbeiten an Maßwerk, Turm und Fassaden aus - damit werde die Sanierung deutlich teurer als bisher angenommen. Deshalb richtet er einen Aufruf an alle Schwerter, „etwas für ihr Wahrzeichen zu tun“. Die Kontonummer des Spendenkontos sei auf der Homepage der Evangelischen Kirchengemeinde Schwerte und auch auf dem Bauschild am Markt zu finden. Außerdem verkauft der Förderverein St. Viktor ein ganz besonderes Souvenir. Originale alte Schieferplatten vom Kirchendach - so kündigt Vorsitzender Ulrich Halbach an - werden gegen eine Spende von 25 Euro abgegeben.

Anm. d. Red., 12.8.: In unserer ersten Version des Artikels waren 2,2 Millionen Euro als „Zusatzkosten“ angegeben. Es handelt sich dabei aber um die Gesamtsumme für die Sanierungsmaßnahme.