Mehrere Jahre lang war Hana* aus Schwerte von ihrem Stief-Großvater schwer sexuell missbraucht worden. Ihre Geschichte hat sie uns kürzlich erzählt. Der Mann, so die heute 24-Jährige, hatte sie als knapp Zehnjährige in ihrem Zimmer ausgezogen und berührt – und das fast täglich.
Das Jugendamt schaltete sich zwei Jahre später ein, nachdem sich Hana im Alter von ungefähr zwölf Jahren einer Freundin anvertraut hatte. Erst als Erwachsene stellte die junge Frau Strafanzeige, und die Staatsanwaltschaft Hagen leitete ein Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs ein. Bevor es aber zu einem Gerichtstermin oder einer Verurteilung kommen konnte, starb der Stief-Großvater im Krankenhaus.
Fotos von Kindern
Bereits während unserer ersten Gespräche hatte die junge Schwerterin erwähnt, dass der Stief-Großvater sehr häufig Bilder von ihr und ihren Geschwistern gemacht habe. „Er hatte oft seine Kamera dabei. Manchmal hat er uns Abzüge geschenkt. Von uns Kindern hat er immer viele Fotos gemacht.“
Im Nachhinein ein beunruhigender Gedanke. In den vergangenen zehn Jahren, nachdem die Familie von den Vorfällen erfahren hatte, hat der Stief-Großvater allein in seiner Wohnung gelebt. „Er hatte auch immer so eine Art Hobbyraum im Keller. Das weiß ich, weil wir als Kinder oft bei ihm zu Besuch waren. Diese beiden Kellerräume waren für uns immer ein Tabu; wir durften nicht hinein. Ich habe mich gefragt, ob dort noch Bilder von mir lagen.“
Die Familie habe das Erbe ausgeschlagen, sagt Hana. „Ich wollte aber nicht, dass irgendein Umzugsunternehmen kommt und dann liegen da vielleicht Fotos von mir herum.“
Als Hanas Anwältin ihr erklärt, dass das Verfahren mit dem Tod des Mannes eingestellt wird und sie ihre Bilder vermutlich nicht wiederbekommen wird, fasst sie einen Entschluss. Die 24-Jährige fragt den Vermieter nach einem Schlüssel zur Wohnung ihres Stief-Opas und geht Anfang November 2022 kurzerhand auf eigene Faust hinein.
„Badespaß bei Tamara“

Hana dokumentiert ihre Suche mit der Handykamera. Im Schlafzimmer und Arbeitszimmer findet sie Unmengen von Fotoalben – rund ein Dutzend davon zeigen ausschließlich Kinderfotos ihrer Schwestern. Meist beim Baden, oder auf dem Töpfchen. Hana findet auch Bilder von sich selbst, im Ordner „Diverses“.
Zu sehen ist sie als Kind – häufig im Bikini, beim Spielen im Garten. Auf einer Badedecke mit ihrer Freundin, die ebenfalls nur einen Bikini trägt. Viele der Fotos sind aus einer Perspektive oder in Positionen aufgenommen, die den Fokus auf die Körper der Mädchen richtet.
In einer Kommode neben dem Bett findet Hana auch Pornohefte – darauf und dazwischen liegen ebenfalls Kinderfotos, von ihrer Schwester in der Badewanne. Auf dem Pornoheft wirbt eine Schlagzeile für „Badespaß bei Tamara in D‘dorf“.
In einem Papierumschlag und in einer Kaffeefiltertüte in der Bettkommode liegen außerdem abgeschnittene Haarlocken. Eine ist rötlich, zwei sind hellblond. Harmlose Erinnerungsstücke an die Enkelkinder oder zweifelhafte „Trophäen“? Hana ist entsetzt. „Ob diese Locken überhaupt von Mädchen aus meiner Verwandtschaft stammen, weiß ich nicht“, erzählt sie.
Die junge Frau ist über ihre Funde sehr aufgewühlt. Sie ruft in unserer Redaktion an – und entschließt sich nach Rücksprache mit der Autorin, die Polizei zu rufen. Direkt anschließend informiert sie uns. „Die Beamten sind gekommen und haben sich gut um mich gekümmert. Sie haben viele Dinge mitgenommen, auch viele Laptops.“ Die Spurensicherung sei ebenfalls dabei gewesen. Auch mit der Kripo spricht Hana und gibt ihre Entdeckung zu Protokoll.

Polizei war vor Ort
Auf Anfrage unserer Redaktion bestätigt Bernd Pentrop, Sprecher der Kreispolizeibehörde Unna, den Einsatz in Schwerte. „Unsere Einsatzkräfte haben nach dem Anruf der Frau unverzüglich dort nachgesehen und auch Material sichergestellt.“ Auch speziell geschulte Einsatzkräfte zur Betreuung der jungen Frau seien dabei gewesen.
Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli von der Staatsanwaltschaft Hagen bestätigt den Einsatz ebenfalls und erklärt auch, dass es lange dauern kann, bis man alles gesichtet habe. „Das waren mindestens sechs Laptops, die ganze Wohnung war voll. Es waren Massen von Datenträgern“, erklärt er auf Anfrage am Telefon.
Da der Mieter der Wohnung inzwischen verstorben sei, könne man nicht mehr gegen ihn ermitteln. Doch Polizei und Staatsanwaltschaft wollen mit dem Sicherstellen der Dokumente herausfinden, ob sich noch weitere Opfer oder eventuell sogar Täter ermitteln lassen. Polizeisprecher Bernd Pentrop erklärt dazu: „Ein Sachbearbeiter muss darauf gucken, um das Ganze zu werten und zu gewichten.“ Zum Fund der Haarlocken äußert sich die Polizei nicht konkret. Die Untersuchung der Gegenstände aus der Wohnung liege jetzt bei der Staatsanwaltschaft.
Über konkrete Einzelheiten spricht Dr. Gerhard Pauli allerdings auch nicht. Bei den Bildern in den Fotoalben handele es sich aber laut Staatsanwaltschaft offiziell um „unverdächtiges Bildmaterial“.

Sichtung durch Experten
Laut Definition durch den Bundesgerichtshof zeigen kinderpornografische Inhalte (gem. § 184bStGB, §11 Abs.3 StGB) sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern, die Wiedergabe ganz oder teilweise unbekleideter Kinder in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung, oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes unter 4 Jahren.
Doch die Frage ist: Sind Fotos von nackten, badenden Kleinkindern noch unverdächtig, wenn sie neben Pornoheften gefunden werden – in der Wohnung eines Mannes, gegen den wegen schweren sexuellen Missbrauchs ermittelt wurde? Hierzu spricht der Polizeipressesprecher von einem „gewissen Kontext“, den man natürlich im Blick habe. Doch Tatsache sei eben auch, dass gegen den Verstorbenen nicht mehr ermittelt werden könne.
Die Sichtung der gespeicherten Daten durch Spezialisten ist daher jetzt wichtig. „Das kann alles ganz harmlos sein, man weiß es aber nicht“, so Oberstaatsanwalt Pauli. „Die Möglichkeiten der Speicherung sind im letzten Jahr exponentiell gestiegen – die Sachbearbeiter können geschätzt bis zu einem Jahr damit beschäftigt sein.“
* Hana heißt in Wirklichkeit anders. Sie hätte gern ihren echten Namen genannt. Doch um die Anonymität der Familie zu wahren, haben wir uns entschieden, ihren Namen zu ändern.
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