Das Wörterbuch der Jugendsprache: Die Wortschöpfung „Ehrenmann/Ehrenfrau“ wurde bereits 2018 zum „Jugendwort des Jahres“ gekürt. Im letzten Jahr war es „lost“. Was immer es dieses Jahr wird: Es gehört zum Vokabular meiner Jungs. © picture alliance/dpa

Jugendwort des Jahres

„Ey Junge, wie redest du?“ Warum ich einfach nur „cringe“ bin

Während Langenscheidt das Jugendwort des Jahres kürt, höre ich Tag für Tag, wie meine Söhne sich unterhalten. Dann denke ich an die guten alten Zeiten. Und fühle mich total „lost“.

Schwerte

, 10.09.2021 / Lesedauer: 3 min

Manchmal frage ich mich, was genau die „guten alten Zeiten“ eigentlich waren. Ich glaube, es waren die Zeiten, als meine Jungs noch gar nicht sprechen konnten. Das erste Geräusch, das beide von sich gaben, war „öröh“. Das bedeutet eigentlich alles. Ein süßes Wort, süß wie die Babys, die sie waren.

Aber wir Eltern können ja nicht anders. Müssen den Kindern unbedingt das Sprechen beibringen, wenn sie älter werden. Anfangs ist das noch niedlich, wenn sie „Mama“ und „Papa“ sagen. Oder „Teeschluck“, wenn sie durstig sind.

Dann wird es allmählich kniffliger. Die Kinder sagen Dinge wie „Ich will nicht“, „Ich muss mal ganz dringend“, „Mir ist schlecht“, „Krieg ich ein Ü-Ei?“ oder „Ich finde dich blöd“. Nämlich dann, wenn sie das Ü-Ei nicht kriegen.

„Du blöder Mixer!“

Mit wachsendem grammatikalischen Verständnis hauen sie uns in die Pfanne und schaffen es mit links, den Familienfrieden zu sprengen. Sagen zur Patentante, die gerade meine Backkünste lobt: „Mama meint, du könntest ruhig mal selber was backen, anstatt sie immer zu fragen.“ Oder zum Nachbarn: „Oma sagt, Ihre Hosen sind immer grässlich bunt.“

Vom Kindergarten will ich gar nicht erst anfangen. Als ich der Erzieherin morgens verkünde, dass mittags die Oma kommt zum Abholen, fragt sie mich mit unschuldiger Stimme: „Ist das die, die immer Sekt trinkt, oder die, die so gerne Schnaps mag?“

In der Grundschule sind die Zeiten der sprachlichen Unschuld endgültig vorbei. Im ersten Schuljahr blamiert sich der Junior noch, weil er seinen Gegner beim Schulhofkampf einen „blöden Mixer“ nennt. Doch das korrekte Fluchen lernen sie dann schnell. Verdammt schnell. Vermutlich, weil sie so oft mit mir im Auto sitzen.

Ein echter Ehrenmann

Und heute? Heute ist alles aus. Sie sind zwölf und vierzehn, gehen in die siebte und neunte Klasse. Begrüßen ihren Vater beim Heimkommen mit: „Was geeeeeht, Bratan?“ Woraufhin dem lieben Papa fast das Mittagessen aus dem Gesicht fällt.

Am Mittagstisch erzählen sie von ihren Erlebnissen aus der Schule. Das ist ja schön, schließlich wollen wir am Leben unserer Jungs teilhaben. Wenn nur nicht jeder zweite Satz an den Bruder mit „Diggah Alder“ anfangen würde. „Diggah Alder, der Physiklehrer ist ein echter Ehrenmann!“ „Junge, in der Pause hab ich ein Schnitzelbrötchen gegessen.“ „Sheeeeesh? Mashallah! Gönn dir!“

Der Langenscheidt-Verlag kürt wieder einmal das Jugendwort des Jahres. Online kann man abstimmen. Ist doch großartig. Mashallah! © picture alliance/dpa

Anstelle der Ausdrücke, an die man früher gewöhnt war – wie „ich schwör“ – kommen sie mir jetzt mit der arabischen Variante um die Ecke. Wenn ich den Großen frage: „Hast du deine Tonne gepackt?“, antwortet er: „Vallah!“ Dem Bruder schwört er: „Ich hab das Ladekabel nicht, Vallah Habibi!“

„Ich schwöre, mein geliebter Freund!“

Sheesh? Mashallah? Habibi? Wikipedia muss ran. Das langgezogene „Sheesh“ ist ein Ausdruck des Erstaunens. Oha! „Mashallah“ bedeutet auf deutsch „großartig“ und dient als Kompliment. „Habibi“ ist ein abgeleiteter persischer Familienname, der wörtlich in etwa mit „mein geliebter Freund“ übersetzt werden kann. Immerhin gehen die Brüder also freundlich miteinander um.

Vogelwild (auch so ein Wort) wird es, wenn sie gemeinsam oder am besten noch mit Freunden an der Playstation sitzen und online Fußball spielen. Alles ist dann „wiiiild“, und wer das Tor nicht trifft, wird als „Geringverdiener“ betitelt. Oder jemand brüllt: „Junge, Diggah Alder, du bist ja total disconnected!“

Das sind die Momente, in denen ich mich etwas verloren fühle. „Lost“ halt. Aber ich sage nicht viel, schließlich will ich nicht „cringe“ sein, peinlich nämlich. Ich lasse sie weiterreden, hoffe auf die heilenden Kräfte der Zeit und koche was Schönes. Und freue mich dann, wenn sie beim Essen sagen: „Mama, schmeckt super. Du bist echt ne Ehrenfrau!“

Vallah.

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