Jugendliche aus Schwerte zur Europawahl „Wir wollen ohne Angst in Sicherheit leben“

Jugendliche zur Europawahl: „Wir wollen ohne Angst in Sicherheit leben“
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Zur Europawahl am 9. Juni 2024 sind auch Jugendliche ab 16 Jahren zugelassen. Interessieren sich junge Menschen überhaupt für Politik? Welche Themen sind ihnen wichtig – und was sind ihre Erwartungen an Politiker?

An der Theodor-Fleitmann-Gesamtschule (TFG) in Schwerte haben sich jetzt Oberstufenschülerinnen und -schüler mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Lokalpolitik zu einem „Speed-Dating“ getroffen. Die Jugendlichen konnten dabei in lockerer Atmosphäre Fragen stellen, eigene Themen einbringen oder einfach zuhören.

Im Anschluss haben wir mit Shaymaa Ismael (18) und Luca Berenberg (17) aus der Q1 über das Thema Europa gesprochen. Über ihre Wünsche, ihre Erwartungen – und ihre Sorgen. Auch Schulleiterin Eva Brinkhoff war dabei.

Was bedeutet Europa für euch persönlich? Was verbindet ihr damit?

Luca: Für mich bedeutet Europa vor allem Sicherheit innerhalb einer Gemeinschaft. Es ist wichtig für mich, sicher zu leben.

Shaymaa: Ja, das Gefühl von Sicherheit verbinde ich auch unbedingt mit Europa. Man hat jetzt die Chance, daran mitzuwirken, indem man wählen geht.

Inwieweit beeinflusst die EU-Politik euer Leben? Warum haltet ihr es für wichtig, dass auch Jugendliche schon wählen gehen?

Luca: Zu diesem Zeitpunkt schaue ich bereits in die Zukunft. Was ist in fünf Jahren? Was sind auch meine beruflichen Möglichkeiten? Solche Fragen bewegen mich jetzt schon.

Shaymaa: Jetzt momentan spielt es tatsächlich noch nicht so eine große Rolle für mich. Aber wenn wir zum Beispiel aufs Studium schauen – auf Austausche oder Praktika innerhalb der EU. Das sind alles Dinge, von denen wir irgendwann profitieren können.

Luca: Auch wenn man darüber nachdenkt, dass es Berufsfelder gibt, die in anderen Ländern ganz anders ausgeprägt sind als hier. Man bekommt Ideen und Innovationen mit auf den Weg. Das bringt mir sicher viel im Leben.

Wie informiert ihr euch über die Europawahl und die Kandidaten? Nutzt ihr eher traditionelle Medien, soziale Medien oder direkte Gespräche?

Luca: Viele Parteien sind inzwischen bei Instagram aktiv. Bei TikTok muss man schon genau differenzieren, wer was sagt, und das mit offiziellen Quellen abgleichen. Doch auch dort können Parteien in kurzer Zeit ihr Wahlprogramm zusammengefasst präsentieren. Das ist schon cool.

Shaymaa: Ich bin ebenfalls der Meinung, dass man TikTok als einzige Quelle hinterfragen muss. Was ich richtig gut finde, ist der Wahl-O-Mat [von der Bundeszentrale für Politische Bildung, Anm. d. Red.]. Dort kann man sich gut über alle Parteien informieren und schauen, wer zu einem passt. Doch auch das direkte Gespräch mit den Leuten aus der Schwerter Politik hat uns unheimlich viel gebracht.

Schüler der TFG in Schwerte sitzen mit Politikern zusammen.
Beim Speed-Dating am 28. Mai waren viele Personen aus der Schwerter Lokalpolitik zu Gast in der Schule. © TFG

Welche Themen habt ihr dort konkret besprochen?

Luca: Wir wurden gefragt, welche Themen uns wichtig sind. Viele von uns wollten wissen, wie zukünftig Künstliche Intelligenz reguliert und kontrolliert werden soll. Sicherheit und die Unterstützung in den Kriegsgebieten waren weitere Themen.

Shaymaa: Auch der Klimawandel ist uns wichtig.

Luca: Neben dem Krieg in der Ukraine beschäftigt auch der Nahost-Konflikt viele Jugendliche an unserer Schule.

Eva Brinkhoff: Setzt ihr euch mit dem Nahost-Konflikt häufig auseinander?

Luca: Sehr häufig. Man hat zwar schon immer etwas mitbekommen, aber aktuell ist das Thema sehr präsent. Zumal es auch einen krassen Aufschwung in den sozialen Medien erfahren hat. Bei Instagram wird noch vieles gepixelt oder aussortiert – aber bei Twitter, Reddit oder TikTok sieht man häufig heftige Videos aus den Kriegsgebieten.

Shaymaa: Ja, diese Bilder machen was mit einem. Da schaut man sich ein Video an, mit toten Kindern, verbrannten Menschen. Da frage ich mich, wie viele sich das anschauen, die noch jünger sind als wir. Wie können die damit umgehen?

Glaubt ihr, dass viele Jugendliche am 9. Juni wählen gehen?

Luca: Bis gestern [Termin des Speed-Datings, Anm. d. Red.] dachte ich, es interessiert keinen. Aber jetzt glaube ich, fast alle von uns werden wählen gehen. Das Treffen hat zu 100 Prozent was gebracht.

Shaymaa: Wir haben vorhin im Deutsch-Kurs noch einmal darüber geredet. Wie ich mitbekommen habe, finden alle es wichtig zu wählen.

Welche Dinge innerhalb der EU würdet ihr ändern wollen?

Luca: Viele, die wir kennen, wünschen sich insgesamt mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen. Man sollte verstehen, was gemacht wird und warum.

Menschen in Schwerte demonstrieren gegen Rechts.
Viele Menschen haben zuletzt auch in Schwerte Zeichen gegen rechts gesetzt - wie hier auf einer Demonstration. Jugendliche sagen: Unwissen, Wut und Verzweiflung sind Ursachen für den aktuellen Rechtsruck. © Martina Niehaus (A)

Machen euch rechtsradikale Bewegungen oder das Erstarken rechtsgerichteter Parteien – auch innerhalb Europas – Sorgen?

Luca: Ich finde es schon befremdlich. Trotzdem geht es mir bei der Wahl darum, die Europäische Gemeinschaft zu wählen.

Shaymaa: Befremdlich ist der richtige Ausdruck. Dass ich mir direkt Sorgen mache, kann ich so nicht sagen.

Was glaubt ihr, sind die Ursachen dafür, dass rechte oder rechtsextreme Parteien gerade solchen Zuwachs erleben?

Luca: Viele Leute sind unzufrieden oder verzweifelt und wünschen sich Veränderung. Alles wird gerade teurer. Sie fragen sich: Warum sollte ich die „alten“ Parteien wieder wählen, wenn mir das nichts bringt?

Shaymaa: Viele sind auch richtig wütend. Das ist nicht nur Unzufriedenheit.

Luca: Und da wird es für Parteien wie die AfD leicht, vieles zu versprechen. Auch wenn sie keine Lösungen parat haben. Sie profitieren davon, dass viele Leute sich nicht auskennen.

Shaymaa: Deshalb finde ich auch Transparenz und Aufklärung total wichtig.

Luca: Vor allem, wenn man sich mal ein bisschen mit unserer Vergangenheit beschäftigt hat. Dann sieht man, wohin das Erstarken solcher Parteien führen kann.

Was ist für euch ein ideales Europa?

Luca: Sicherheit und Zusammenhalt sind mir wichtig. Das verbinde ich mit einem idealen Europa. Wir müssen uns hier keine Gedanken darüber machen, dass wir plötzlich wegmüssen oder verhungern. Ideal wäre, wenn das wieder überall in Europa so sein könnte.

Shaymaa: Ja. Wir müssen nicht aus dem Fenster gucken und Angst haben. Viele sehen es noch als viel zu selbstverständlich an, dass es uns gut geht.

Luca: Eben. Viele Leute sehen immer nur das Negative. Aber wir haben viele Möglichkeiten.

Shaymaa: Und wir dürfen wählen gehen. Das ist ein Privileg, und wir werden es nutzen.