
© Reinhard Schmitz
Juden und „rote“ Politiker: Messingplatten geben Verfolgten der Hitler-Zeit einen Namen
Stolpersteine in Schwerte
Ein Straßenname in Schwerte erinnert an Hitler-Gegner Karl Gerharts. Aber gewohnt hat er woanders. Vor diesem Haus wird der Künstler Gunter Demnig einen weiteren Stolperstein verlegen.
Wo nur hat der Hitler-Gegner Josef August Senft in der Märkischen Straße gelebt? Die Adresse aus dem Archiv führte ins Nichts. Ein Haus mit der Nummer 59d gab es im Zweiten Weltkrieg noch gar nicht. „Da war freies Feld“, erfuhr Claudia Becker-Haggeney bei der Suche vor Ort von älteren Anwohnern. Die Recherche nach Opfern der Nazi-Zeit, an die weitere Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig erinnern soll, war aufwendig. Trotzdem gelang es der Schwerterin und ihrer Mitstreiterin Christine Nickles, noch einmal 15 Schicksale mit ihren letzten Adressen zu dokumentieren. Für KPD-Mann Senft, der im April 1944 ein Opfer der Karfreitagsmorde in der Dortmunder Bittermark geworden war, musste ein Kompromiss gefunden werden: Sein Andenken soll ein Stein am Rathaus wach halten.
Ratsbeschluss hat die Verlegung im Jahr 2006 genehmigt
Normalerweise werden immer Gehwege vor den letzten Wohnadressen gewählt, an denen vom NS-Regime verfolgte Juden und politische Gegner zuletzt freiwillig gewohnt haben - also nicht beispielsweise vor Gefängniszellen. Wer mit offenen Augen über die Bürgersteige der Ruhrstadt geht, stößt an vielen Orten im Pflaster auf die zehn mal zehn Zentimeter großen Betonwürfel mit den Messingplatten, auf denen Namen und Lebensdaten zu lesen sind. Im Jahr 2006 hatte Künstler Demnig, der für seine Aktion bundesweit unterwegs ist, die ersten zehn von ihnen verlegt. Ein Ratsbeschluss - so berichtet Claudia Becker-Haggeney - hatte den Weg dazu frei gemacht: „Der Sinn ist es, an die Zeit zu erinnern und die Geschichte wachzuhalten.“ Die heutigen Hausbesitzer wüssten oft gar nichts davon, da sie die Immobilien häufig erst viel später erworben hätten.

Bei einer früheren Aktion verlegte Künstler Gunter Demnig vor dem Haus Karl-Gerharts-Straße 7 Stolpersteine für die Ehepaare Weinberg und Cohen. © Reinhard Schmitz (A)
Mittlerweile sind, auch in den Ortsteilen Ergste und Westhofen, mehr als 50 solcher Gedenkorte eingerichtet. Mit den weiteren 15 Stolpersteinen soll die Aktion in Schwerte jetzt den Abschluss finden. Um sie zu verlegen, wird Künstler Demnig am Freitag, 13. Dezember, anreisen. Da für jeden Stein Kosten in Höhe von 120 Euro entstehen, werden noch Sponsoren gesucht. Denn Claudia Becker-Haggeney und Christine Nickles organisieren das Projekt privat. Als „ehrenamtliches, gesellschaftspolitisches Engagement“, wie sie sagen. Man könne auch einen Teilbetrag spenden. Das sei unter dem Stichwort „Stolpersteine“ möglich über das Konto des Heimatvereins Schwerte (IBAN: DE05 4415 2490 0000 0615 56).
Eine Führung entlang der Stolpersteine möchten die Organisatorinnen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule im Frühjahr 2020 anbieten. Auch planen sie eine Broschüre mit Empfehlungen für eine kurze und lange Route, die Interessierte selbst abgehen können.
Der Künstler Gunter Demnig verlegt am 13. Dezember die letzten 15 Stolpersteine in Schwerte. Sie erinnern an: - Wilhelm Kuhlmann, KPD-Politiker, gestorben 1934 in der Steinwache in Dortmund (Verlegungsort: Bergische Straße 73) - Karl Gerharts, SPD-Politiker, gestorben 1944 im Arbeitslager Eckernförde (Hörder Straße 59) -Ernst Sadowski, KPD-Politiker, mehrfach verhaftet, überlebte 1944 das Strafbataillon 999 im KZ Buchenwald und kam nach Schwerte zurück (Beckestraße 35) - Josef August Senft, KPD-Politiker, starb im April 1944 bei den Karfreitagsmorden in der Dortmunder Bittermark (Rathaus, Rathausstraße 31) - Sofie und Oskar Löwenstein, Juden, sie starb am 26. Mai 1944 im KZ Theresienstadt, das ihr Mann überlebte (Hagener Straße 93) - David und Hildegard Mayer, Juden, beide ermordet im KZ Theresienstadt (Markt 7); Familienmitglied Heinrich Mayer gelang die Flucht in die USA. - Julius, Selma und Heinz Neuhaus, Juden, alle deportiert, ihre Todesorte sind bis heute unbekannt. - Erich, Sofie und Ella Ruhr, Juden. Erich Ruhr ermordet im KZ Auschwitz, Sofie Ruhr starb 1942 im KZ Theresienstadt, Familienmitglied Ella Ruhr gelang 1937 die Flucht nach England.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
