
© Martina Niehaus
„Pryyemno, shcho ty tut“: Schwerter Schüler heißen ukrainische Kinder willkommen
Ukraine-Flüchtlinge
Die ersten ukrainischen Kinder sind an Schwerter Schulen angekommen. In der Albert-Schweizer-Grundschule nehmen seit letzter Woche Artyr, Zahar und Emiliya am Unterricht teil.
Vieles ist noch ungewohnt für den zehnjährigen Artyr, den neunjährigen Zahar und die siebenjährige Emiliya. Zusammen mit ihren Müttern sitzen sie am Montagmorgen (21.3.) in einem Klassenraum der Albert-Schweizer-Grundschule in Schwerte.
Vor ihnen steht eine Schale mit Bonbons, für ihre Mütter gibt es Kaffee. An der Tafel hängt ein Bild mit einer Friedenstaube, von Kindern gemalt. Darüber steht: „Willkommen an unserer Schule“.
Kinder helfen als Dolmetscher
Schulleiter Dirk Schnitzler (59) erklärt gerade auf Englisch, wie lange der Schultag dauert und mit welchem Bus die Kinder von ihrer Unterkunft in Geisecke morgens fahren können. Sekretärin Petra Böttcher macht Notizen und gibt Infos. Wie alt sind die Kinder, welche Konfession haben sie? Ist der Papa in der Ukraine geblieben oder mitgekommen? Wo können die Mütter anrufen, wenn die Kinder mal krank sind?

Petra Böttcher aus dem Sekretariat spricht mit den Müttern der Kinder und macht sich Notizen. © Martina Niehaus
Zum Glück können zwei der Mütter Englisch, denn Lehrerin Olessia Logisch, die Russisch spricht, ist an diesem Tag krank. „Zum Glück haben wir ja hier auch noch jüngere Helfer“, sagt Dirk Schnitzler und zeigt auf Drittklässlerin Alexandra und Viertklässler Daniel. Beide können Ukrainisch sprechen und unterhalten sich schon ganz zwanglos mit den Neuankömmlingen.
„Von Kind zu Kind geht alles leichter“
Während Artyr und Zahar schon Witzchen machen und eigentlich eher neugierig und fröhlich wirken, ist Emiliya noch etwas zurückhaltend. Sie bleibt ganz nah bei ihrer Mama Anja und schaut sich mit großen Augen um. Seit der Flucht, das hat ihre Mutter erzählt, sei sie sehr still geworden.

Emiliya ist sehr schüchtern. Sie besucht die erste Klasse der Grundschule. © Martina Niehaus
Dirk Schnitzler glaubt, dass der Schulalltag den Kindern helfen wird. „Es ist für sie wichtig, mit Kindern zusammenzukommen, den Kontakt zu haben. Von Kind zu Kind geht alles viel leichter. Und unsere Schüler freuen sich, dass sie helfen können. Sie machen das wirklich gerne.“
Schön, dass du da bist: „Pryyemno, shcho ty tut.“
Auf den Tischen im Klassenraum liegen laminierte Kärtchen mit Redewendungen auf Deutsch und Ukrainisch. In kyrillischer Schrift und in Lautschrift. Hallo heißt „Privit“ und Tschüss heißt „Buvay“. Wer Durst hat, sagt: „Ya khochu pyty“.
Doch der wichtigste Satz lautet: „Pryyemno, shcho ty tut.“ Schön, dass du da bist. Die Karten hat der Schulleiter aus dem Internet ausgedruckt. „Die legen wir jetzt in allen Klassen aus.“

Redewendungen, auf Deutsch und Ukrainisch, sind ein erster Schritt zur Verständigung. © Martina Niehaus
Man konzentriere sich ganz auf die Bedürfnisse der beiden lebhaften Jungs und des schüchternen Mädchens. „So von Null auf Hundert ist das natürlich schwierig für sie. Sie kennen die Maskenpflicht nicht, das fällt ihnen schwer.“ Und obwohl sie nach Angaben ihrer Mütter keine direkten Kriegshandlungen gesehen haben, hätten sie sich alle von Verwandten trennen müssen. „Vom Vater oder den Großeltern. Das ist schlimm für die Kinder.“
Syrische Kinder helfen auf dem Schulweg
Am ersten Tag, erzählt Schnitzler, seien die Kinder ohne Getränke und Essen zur Schule gekommen. „In den ukrainischen Schulen werden die Kinder voll verpflegt, das wussten wir nicht. Na, da ist der Schulleiter erst mal zum Bäcker gelaufen“, sagt er und lacht.

Dirk Schnitzler und seine Schützlinge – Dolmetscher-Verstärkung bekommt er von Alexandra (2.v.l.) und Daniel (hinten). © Martina Niehaus
Inzwischen wissen die drei, wo sie die Toiletten und die Sporthalle finden. Und auf welchen Knopf sie im Bus drücken müssen. Dabei helfen ihnen syrische Kinder, die seit mehreren Jahren in der gleichen Unterkunft leben und den gleichen Schulweg haben. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen“, sagt Schnitzler. „Unsere syrischen Flüchtlingskinder helfen jetzt unseren ukrainischen Kindern, sich zurechtzufinden.“
Das Wichtigste: Die Sprache lernen
„Unsere Kinder“, sagt Dirk Schnitzler. Er erzählt, in welche Klassen sie gehen. Die Jungs kommen zusammen ins vierte Schuljahr, die kleine Emiliya besucht die erste Klasse. „Einer der Jungs ist in Mathe unheimlich fit“, freut er sich. „Aber das Wichtigste ist erst einmal die Sprache.“
Dafür sind Unterrichtsmaterialien bestellt. Mit dem Alphabet wird es losgehen. Eine Herausforderung, die sich für Schnitzler und seine Konrektorin Tanja Steven-Petrik demnächst noch häufig wiederholen wird. Denn bei den drei Kindern wird es nicht bleiben.

Schulleiter Dirk Schnitzler (59) weiß: Die Herausforderungen werden groß werden. © Martina Niehaus
„Wir haben schon eine Anfrage vom Kreis Unna zu unseren räumlichen Kapazitäten bekommen“, sagt Schnitzler. „Es werden noch viel mehr Kinder kommen. Noch können sie in die Klassen integriert werden, aber irgendwann laufen die ja über.“
Fußballspielen – das können die Jungs
Vor allem die Personalversorgung sei ein Problem. „Wir teilen uns die Kollegin Olessia Logisch bereits mit der Friedrich-Kayser-Schule.“ Doch dann ist er wieder ganz bei seinen Kindern. Und fragt die Mütter, ob die Jungs Fußballschuhe brauchen.

Die Kinder der Albert-Schweizer-Grundschule haben Bilder gemalt. Sie möchten den ukrainischen Kindern gern helfen. © Martina Niehaus
Denn bald stehen in Schwerte die Stadtmeisterschaften der Schulen an. Zachars Mama Antonina zeigt Schnitzler ein Handyfoto, darauf ist ihr Sohn im Fußballtrikot zu sehen. „Ein Profi“, freut sich Dirk Schnitzler. „Der ist auf jeden Fall ganz vorne mit dabei.“
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
