Mormone auf Mission Julian (18) verlässt für zwei Jahre Freunde und Familie in Schwerte

Mormone auf Mission: Julian Roth verlässt für zwei Jahre Freunde und Familie
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Julian Roth aus Schwerte (18) ist ein hochgewachsener, aufmerksamer junger Mann. Freundliches Lächeln, auf seinem sportlichen Sweater prangt in großer Schrift „Cowboys Fan!“. Das Abitur am Ruhrtal-Gymnasium liegt hinter ihm, einige seiner ehemaligen Mitschüler sind bereits an der Uni, werden in dieser Lebensphase vermutlich das Studenten-Leben auskosten: Partys, neue Leute, die erste WG, sich treiben lassen als junge Menschen – und nebenher ein bisschen pauken.

Das klingt klischeehaft, zeigt in der Gegenüberstellung aber vermutlich am besten, wie der Alltag von Julian Roth in den nächsten zwei Jahren eben nicht aussehen wird.

Der Rhythmus der kommenden 730 Tage im Leben des 18-Jährigen wird in etwa derselbe sein: Der Tag beginnt um 6.30 Uhr, Gebet, Frühsport, persönliches Schriftstudium, danach wird das Evangelium verkündet. Julian ist Mormone, wobei Mormonen diese Bezeichnung selbst nicht gern verwenden. Sie gehören der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ an. Und für diese Kirche wird Julian bis 2025 als Missionar unterwegs sein.

Missionarsschule in Utah

Dass er am 6. Oktober in die USA fliegt, sei ihm aktuell noch nicht so präsent, sagt Julian am Mittwoch im Gespräch mit der Redaktion. Er lächelt viel, ist freundlich, kommt grade vom Klettern. „Noch mal Spaß haben...“, sagt sein Vater und lacht. Matthias Roth weiß wohl am besten, was er damit meint. Er hat die zwei Jahre als Missionar ebenfalls absolviert – von 2000 bis 2002. Der gebürtige Österreicher hat seinen Glauben an Gott damals in Deutschland verbreitet und ist geblieben. Die Ruhrstadt ist seit Jahren das Zuhause seiner vier Kinder.

Julian hat dieses Zuhause bereits am Donnerstag verlassen. Es ging nach Frankfurt zum Flughafen, am Freitag dann machte er sich auf nach Provo im Bundesstaat Utah. Dort wird er im MTC (Missionary Training Center) auf seine Aufgabe vorbereitet. Das MTC ist nach Angaben der Dortmunder Gemeinde, der die Schwerter Familie angehört, eine der weltweit 17 kircheneigenen Missionarsschulen.

Hier kann Julian seine Englisch-Kenntnisse trainieren, er werde über das Land und die Kultur belehrt, heißt es. Außerdem lernt der 18-Jährige in den kommenden Wochen, wie man das Evangelium richtig und verständlich erklärt, um mit diesem Wissen auf die Reise zu gehen. Alle sechs bis zwölf Wochen werde er versetzt: neue Stadt, neuer Mitmissionar. Das Leben bleibt dasselbe.

12- bis 15-Stunden-Tage

Nach seinem täglichen Schriftstudium wird Julian für den Rest des Tages bei Hausbesuchen oder anderen Terminen von seinem Glauben erzählen, den Menschen „die Chance geben, sich dafür zu entscheiden“, wie er sagt. Er wird Leute auf der Straße anreden, ins Gespräch kommen oder sich eine Abfuhr einfangen. Der Arbeitstag eines Missionars endet um 22.30 Uhr. Grundsätzlich, sagt sein Vater, seien das 12- bis 15-Stunden-Tage.

Einmal in der Woche gibt es einen sogenannten „Preparation-Day“ – Wäsche waschen, ein bisschen Haushalt, Kleidung kaufen, wenn es sein muss. Sein Missionsgebiet darf Julian verlassen, wenn er die Erlaubnis bekommt, erzählt der angehende Missionar selbst. Besuche, etwa von seiner Familie oder Freunden, wird er in dieser Zeit nicht bekommen, aber er wird E-Mails schicken und Fotos von seinem Aufenthalt.

Julian und sein Vater stehen vor dem Postplatz in Schwerte.
Julian Roth (l.) mit seinem Vater: Der gebürtige Österreicher Matthias Roth war von 2000 bis 2002 als Missionar in Deutschland unterwegs. Heute wohnt die Familie in Schwerte. © Vanessa Trinkwald

Strenge Regeln

„Von sich aus sollen das alle jungen Männer machen, es wird einem nahe gelegt“, erzählt Julian. Eine Zeit lang sei er unsicher gewesen, ob es das Richtige für ihn sei, mittlerweile sehe das anders aus, sagt er. „Ich hatte das Gefühl, das ist ein Gebot, das ich erfüllen soll.“ Fernab vom Glauben sei das Missionars-Dasein auch „aus einer weltlichen Perspektive sinnvoll, weil ich lerne, mich anzustrengen und Menschen zu helfen“, etwa Gemeindemitgliedern bei der Gartenarbeit.

Die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ gehört zu den am schnellsten wachsenden Religionsgemeinschaften der USA. Utah ist die Hochburg. Immer wieder wird auch in Medienberichten diskutiert, ob das Mormonentum eine Religion oder eine Sekte sei – nicht zuletzt wegen der strengen Regeln, nach denen sich auch Julian in den nächsten zwei Jahren richten wird.

So wird er auf Fernsehen verzichten, auf Streamingdienste, auf Radio, weitestgehend auf Nachrichtenkonsum. 2024 wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Das wird Julian mitbekommen, sich aktiv über die Wahlen informieren wird er wohl nicht. Nichts soll ablenken von Gott und der Überzeugung des jungen Schwerters.

Ayleen Bruckmann lächelt in die Kamera: Am 22. September ist die Schwerterin als Missionarin in die USA geflogen.
Am 22. September ist bereits Ayleen Bruckmann aus Schwerte als Missionarin in die USA geflogen. Julian Roth wird es ihr gleichtun. © Alina Rost

„Es geht darum, dass man sich mit Dingen beschäftigt, die einen unterstützen“, sagt Julian. Die den eigenen Glauben unterstützen, die eigene Persönlichkeit. Letztere spielt in seinen Ausführungen immer wieder eine Rolle. Er wird sich weiterentwickeln als Person, das steht fest. So wie die, die nach dem Abi für ein Jahr durch Australien reisen. Nur ist das eben nicht das Gleiche.

Wie wird sich Julian verändern in den nächsten 24 Monaten? Als Mensch, als Gläubiger? Wird er sich entfremden von seiner Familie und seinen Freunden?

„Alle Freunde, die ich habe, die kenne ich seit sieben oder acht Jahren.“ Nicht alle gehören der Glaubensgemeinschaft an, sagt er. Überwiegend seien die Reaktionen auf seine Missionarstätigkeit positiv. Viele seien auch interessiert. Und am Ende werde die Freundschaft diese zwei Jahre aushalten. Julian ist optimistisch und vielleicht muss er das sein.

Der Salt-Lake-Tempel steht in Salt Lake City, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Utah.
Der Salt-Lake-Tempel ist der bekannteste und größte Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Das Gebäude steht in Salt Lake City, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Utah. © Kirche Jesu Christi

Es mag für Außenstehende wie Unterwerfung aussehen. Julian unterwirft sich freiwillig. Einen Teil der Kosten, unter anderem für den Flug, zahlt die Kirche. Bleibt ein Eigenanteil von 7000 Euro. Grundsätzlich verrichtet er diesen Dienst unentgeltlich. Was den 18-Jährigen antreibt, ist der Gedanke, dass Gott ihm und allen Menschen guttut. Davon möchte er die Menschen künftig überzeugen.

Auf die Frage, ob er ein gläubiger Mensch sei, sagt Julian: Im Vergleich zum Durchschnitt sei er das.

Früher habe er viel gezockt, irgendwann habe sich das von alleine gelegt; er habe zuletzt seinen Führerschein gemacht, sei viel zu Freunden gefahren, viel mit dem Zug unterwegs gewesen. „Meine Hauptbeschäftigung waren meine Freunde und meine Freundin“, sagt Julian. Letztere gehört der Glaubensgemeinschaft ebenfalls an. „Und wenn ich die Freunde dann nicht mehr sehe, dann habe ich ja Zeit, mich mit meinen Aufgaben zu beschäftigen.“ Eine pragmatische Einstellung für etwas so wenig Pragmatisches wie den Glauben.

„Entscheidungsfreiheit das oberste Gebot“

„Ich habe gelernt, was der Unterschied zwischen Spaß ist und tiefer gehender Freude“, sagt Julians Vater Matthias Roth. Menschen bräuchten immer wieder einen neuen Kick, aber mache das auf Dauer glücklich? „Natürlich gibt es während der Mission Zeiten, in denen man denkt, ich bin alleine“, sagt Matthias Roth. Leicht sei das nicht.

Falls es nicht nur schwierig werden, sondern eher verdammt hart kommen sollte, hätte Julian immer noch die Möglichkeit, seine Mission abzubrechen. „Entscheidungsfreiheit ist das oberste Gebot, Zwang ist für uns überhaupt kein Begriff“, versichert Matthias Roth. „Aber wir glauben halt, dass Gott Menschen hilft, eine Perspektive zu haben.“

Die hat Julian auch: Er plant, Betriebswirtschaft zu studieren, wenn er seine Mission beendet hat. Für die wäre ihm Hawaii im Übrigen lieber gewesen als Utah.

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage:

  • Die Anhänger der Kirche bezeichnen sich nicht als Mormonen oder Mormoninnen. Sie nennen ihre religiöse Glaubensgemeinschaft: Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage.
  • Mormonen werden sie oft genannt, weil für sie – neben der Bibel – das Buch Mormon eine große Bedeutung hat.
  • Missionare wie Julian, die das Evangelium verkünden, meiden für die Dauer ihrer Mission Vergnügungen, Partys und Unternehmungen, die sonst in ihrem Alter üblich sind, und konzentrieren sich stattdessen darauf, ihrem Nächsten zu dienen und ihm das Evangelium Jesu Christi näherzubringen.
  • Nach eigenen Angaben der Dortmunder Gemeinde gibt es weltweit ständig über 65.000 Missionare, die die Kirche vertreten. Der Kirche gehören rund 17 Millionen Mitglieder an, davon leben 40.000 in Deutschland, heißt es.
  • In Schwerte vertreten seien etwa 20 bis 30 Mitglieder, in der Dortmunder Gemeinde etwa 400.