Sind 6 Minuten und 10 Sekunden zu kurz für ein so bewegtes Leben? Oder ist im Leben von Uwe Görke-Gott einfach viel zu viel passiert?
In seinem Format „Lebenslinien“ rauscht der WDR nur so durch die Vergangenheit des 59-jährigen Schwerters, immer aber aus seiner Perspektive. Gleich zu Beginn erzählt Uwe Görke-Gott von seinen sechs Geschwistern. Alle zusammen leben sie im Kinderheim in Menden. „Ich habe in meiner Kindheit einige Nackenschläge bekommen.“
Die Nackenschläge müssen nichts gewesen sein im Vergleich zu den Schicksalsschlägen, die ihn zu diesem Zeitpunkt noch erwarten. Doch das muss sich der Zuschauer denken. Die Lebensabschnitte – sie werden nur angerissen.
Mit einem Zeitungsausschnitt in der Hand sagt Görke-Gott: „Als ich 16 war, da ist was Schreckliches passiert, da ist zum ersten Mal der Horror in mein Leben getreten. Mein Bruder hat meine eigene Schwester umgebracht.“ Durch den alten Zeitungsartikel erfährt der Zuschauer bei genauerem Hinsehen, dass der Bruder damals ein Geständnis abgelegt hat, Schwester Gabi den Mund zugehalten zu haben.
Das Schwulsein entdeckt
Mit seiner Erschrockenheit bleibt der Zuschauer allein, da zeigt bereits ein altes Foto den immer noch jungen Uwe mit langen Haaren. Beim Friseur habe er durch Zufall sein Schwulsein entdeckt, ein Kuss habe ihm damals den Weg geebnet.
Er entkommt dem Sauerland, wo er montags bis freitags als Verkäufer und an der Fleischtheke schuftet, ehe er von Freitagabend bis Montagfrüh sein Leben als Barkeeper in einem Gay-Club in Köln genießt. „Ich war 30, da habe ich mich verliebt.“
Morgens vorm Spiegel: Flecken auf der Zunge, Flecken an den Armen, ein positiver HIV-Test – der zweite Albtraum in der Lebensgeschichte von Görke-Gott. „Der Arzt hat mich rausgeworfen, sodass ich vor der Tür stand. Ich war ein Nichts. Ich habe nur zum Himmel hochgeschaut und gedacht, das war’s.“
Partner stirbt qualvoll an Aids
Sein damaliger Partner gesteht ihm seine Untreue, stirbt selbst qualvoll an Aids. Uwe findet Unterstützung bei der Aids-Hilfe Bonn, nimmt hochgradig Vitamine zu sich, bekommt Infusionen, liegt dicht an dicht mit den anderen Infizierten, von denen jedes Mal einer fehlt, der es nicht geschafft hat.
Die Schlange an der Bar, hinter der Uwe arbeitet, wird immer kürzer. Die Leute haben Angst vor ihm – und er fährt raus auf den Seilersee, um dem Ganzen ein Ende zu setzen, bevor er sich ermahnt: „Das bist du nicht, du hast so viel erreicht. Von einer dummen Gesellschaft, die meint, sie müsste uns ausgrenzen, lasse ich mich doch jetzt nicht unterkriegen.“
Vom Seilersee geht es mit einem extra aufgenommenen Kredit nach Amerika. „Den Kredit wollte ich nicht zurückzahlen, weil ich wusste, dass ich sterbe.“ Uwe stirbt nicht. Ein aufgeklärteres Amerika holt ihn stattdessen zurück ins Leben. Heute ist Uwe Görke-Gott ein „Alt-HIVler“, wie er selbst sagt, der 30 Jahre überlebt hat. Früher mit 56 Medikamenten. „Heute ist es noch eine Tablette“, die das Virus in Schach hält.

Und es ist sein Mann, der ihn immer wieder auffängt, der sein Held ist, auch wenn er das nicht gern hört. Der ihn als Menschen so genommen hat, wie er wirklich ist. Ein gemeinsamer Spaziergang mit dem Mops und ein kurzes Resümee: „Ich bin stolz auf mich, dass ich vielen Menschen Kraft im Hintergrund geben konnte.“ Er habe Menschen erreicht, „die vielleicht auch mal ein paar Vorurteile abgebaut haben“, sagt Uwe Görke-Gott, Ratsmitglied in Schwerte, Träger des Bundesverdienstkreuzes, Aids-Aktivist.
„Wenn ich heute in den Spiegel schaue, sehe ich einen attraktiven, jung geblieben Mann“, sagt der 59-Jährige noch und lacht in die Kamera. Es sind humorvolle Worte am Ende einer Lebensgeschichte, die es wert gewesen wäre, sie ein bisschen intensiver zu erzählen.
- In der Reihe „Lebenslinien – Besondere Menschen im Westen“ erzählen Menschen aus Nordrhein-Westfalen ihre ganz persönliche Geschichte.
- Zu sehen ist die Folge mit Uwe Görke-Gott in der WDR-Mediathek.
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