Im Villigster Frischemarkt sind plötzlich die Türen geschlossen. Er war das letzte Lebensmittelgeschäft im Dorf, aber für die Einwohner seit 1948 weit mehr als eine Einkaufsmöglichkeit.
Ein Einkaufswagen mit Stapeln von alten Zeitungen, in einem fast leeren Rollregal ein paar vergessene Geburtstagskarten. Als weitere Ware weit und breit sind im Halbdunkel nur noch ein paar Halstücher in einer Ecke geblieben. Viel mehr ist nicht zu erblicken durch die Schaufenster des Villigster Frischemarkts, hinter denen die halb vertrocknete Grünlilie und Ficus schon bessere Zeiten erlebt haben.
Frischemarkt ist seit 23. Juli geschlossen
„Uns wurde mitgeteilt, dass der Frischemarkt ab Montag, 23. Juli, geschlossen bleiben muss“, teilt ein Plakat mit, das die Bäckerei Becker hinter das Glas der Eingangstür geklebt hat. Als langjähriger Lieferant hatte der Handwerksbetrieb in diesem Jahr den Backshop in dem Ladenlokal am Fasanenweg in eigene Regie übernommen, wie Seniorchefin Dagmar Becker berichtet.
Nachdem im Frischemarkt schon kein Betrieb mehr gewesen sei, habe man noch zwei Tage lang bis zum Wochenende weiterhin die Backwaren verkauft: „Dann kamen die Stadtwerke und haben den Strom abgestellt.“ Sie habe auch noch gesehen, wie der Eierlieferant seine Ware abgeholt habe.
Villigst verliert nicht nur eine Einkaufsmöglichkeit
„Für die Villigster ist das ein Schlag“, sagt CDU-Ratsherr Dieter Böhmer, der seit 30 Jahren in dem Ortsteil wohnt. Man verliert nicht nur eine Einkaufsmöglichkeit, sondern auch den Ort für den Dorfschwatz. „Wenn man an der Fleischtheke stand, musste man viel Zeit mitbringen“, erinnert sich Böhmer. Der Laden war lange ein Mittelpunkt für die Villigster. Das zeigt sich auch daran, dass Böhmers Partei genauso wie die SPD, die Feuerwehr und der Plattdeutsche Kreis den Schaukasten an die Wand anschrauben durften.
Wie es weitergeht, scheint derzeit völlig offen. Der Telefonanschluss des Betreibers war „nicht erreichbar“, auf Klingeln an der Tür und eine Anfrage per Mail gab es bislang keine Reaktion. „Man muss sagen, dass er schon die letzten Jahre gekämpft hat“, sagt Böhmer: „Er hat alles versucht.“
Betreiber beklagte schon länger mangelnde Kundschaft
Doch der fettgedruckte Slogan „Fahrt nicht fort, kauft im Ort“ auf der Schaufensterscheibe stieß offensichtlich auf zu wenig offene Ohren. Schon vor zwei Jahren hatte der Betreiber über mangelnde Kundschaft geklagt und die große Lebensmittelauswahl aufgegeben. Stattdessen beschränkte er sich auf Backwaren, Fleisch- und Wurstwaren und einen Partyservice.
Die Lebensgewohnheiten hatten sich – wie es beispielsweise der frühere Markant-Markt in Schwerte-Ost auch zu spüren bekam – grundlegend verändert. Der Großteil des Einkaufs wird auf dem Rückweg von der Arbeit in großen Supermärkten oder Discountern erledigt. Für die kleinen Läden bleibt nur das, was vergessen wurde.
Betreiber übernahm Frischemarkt vor zehn Jahren
„Jetzt jammern die alle, aber einkaufen gegangen sind sie nicht“, sagt Dagmar Becker: „Von 200 Gramm Mett kann er nicht leben.“ Zuletzt – so berichtet Dieter Böhmer – sei auch nur noch morgens geöffnet gewesen. Es sei aber auch ein Mittagsessen angeboten worden, das sogar an Betriebe geliefert worden sei. Als letztes nennt die Kreideschrift auf der Wandtafel im Verkaufsraum noch „Schnitzel mit Röstiecken und Salat“ für 5,90 Euro.
Vor „bestimmt zehn Jahren“ habe der Betreiber den Frischemarkt von seinem Gründer Werner Graefe übernommen, berichtet Böhmer. Der sei ursprünglich mit dem Milchwagen durch die Straßen gezogen. Der ganze Ort habe ihn nur unter seinem Spitznamen „Knifte“ gekannt. „Aus guter Tradition seit 1948“ verraten die kunstvoll geschwungenen Neonbuchstaben über dem Eingang. Ob sie nochmal leuchten?
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
