
© Martina Niehaus
Franziska (18) vor der Wahl: „Meine Eltern teilen meine Ratlosigkeit“
Interview zur Bundestagswahl
Für sie ist es die erste Bundestagswahl: Vier junge Menschen aus Schwerte haben mit uns gesprochen. Über das, was sie ärgert am Wahlkampf, der Politik, den Kandidaten. Und über ihre Wünsche.
Auf dem Marktplatz in Schwerte treffen wir uns zum Interview: Franziska Hoffmann (18) immatrikuliert sich gerade für ein Studium der forensischen Chemie. „Damit kann ich später bei einem pharmazeutischen Unternehmen arbeiten, in der Industrie oder im Kriminallabor“, sagt sie.
Es ist noch nicht lange her, da saß sie im Chemie-Leistungskurs. Zusammen mit Nico Köse (19), der im August sein duales BWL-Studium in Schwerte begonnen hat. Sein Freund Philip Skrobotz ist 18. Er studiert ab Mitte Oktober Informatik an der TU Dortmund.
Lilly Sistermann (18) ist offiziell an der Uni Münster eingeschrieben: Sie studiert Lehramt für Biologie und Englisch. Sie ist per Telefon zum Interview zugeschaltet.
Die vier haben wenige Wochen vor der Bundestagswahl am 26. September eines gemeinsam: Vor allem die drei Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Grünen, der CDU und SPD überzeugen sie bislang nicht. Warum ist das so?
Worauf schaut ihr: Auf die Kandidaten oder die Wahlprogramme?
Nico:
Ich informiere mich über den Wahl-O-Mat und lese mir die Wahlprogramme durch. Dieses Jahr ist es aber extrem schwer. Alles ist nur das „kleinere Übel“.
Mit keinem der Kandidaten kann ich mich identifizieren. Dinge wie ein gefälschter Lebenslauf stören mich nicht. Die haben doch ihre Bücher eh alle nicht selbst geschrieben. Das Lachen von Laschet bei der Flutkatastrophe – auch das fand ich nicht so schlimm. Es war sicher nicht so klug, aber man denkt in dem Moment vielleicht gerade an etwas anderes. Und dann ist es passiert.
Was mich nervt, sind Politiker, die heimlich in die eigene Tasche investieren. Früher sind Politiker dann zurückgetreten. Heute nicht. Den Leuten ist das scheinbar egal, oder sie vergessen es zu schnell wieder.
Philip: Die Kandidaten an sich interessieren mich nicht. Die Strukturen dahinter schon. Ich werde auf jeden Fall wählen, aber es wird wohl, wie Nico sagt, auf das kleinste Übel hinauslaufen.
Franziska: Ich bin mir noch sehr unklar, wen ich wählen werde. Die Kandidaten sagen sowieso nur, was alle hören möchten. Die Programme habe ich mir schon angeschaut. Aber dahinter kann ich keine klare Linie erkennen. Besonders das Wahlprogramm der CDU ist sehr umfangreich und unübersichtlich.
Lilly: Mir fällt die Entscheidung unheimlich schwer. Alle Kandidaten sagen mir nicht wirklich zu. Ich nutze auch den Wahl-O-Mat. Ich halte es für optimistisch, dass die Menschen sich vorher das komplette Wahlprogramm durchlesen. Es ist schwierig, die wichtigen Dinge dort herauszufiltern.

Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union und Vorsitzender der CDU, ist nicht der Wunschkandidat der vier jungen Schwerter. © picture alliance/dpa
Wie bewertet ihr die Politik der Bundesregierung?
Nico:
Mein Vertrauen in die Politik ist im letzten Jahr immer wieder enttäuscht worden. Ein Skandal jagt den anderen, nur ein Beispiel ist die Maskenaffäre. Wir sind außerdem immer noch schlecht in Sachen Digitalisierung. In Schweden ist man da inzwischen auf einem ganz anderen Level.
Philip: Die Politik der vergangenen Jahre bewerte ich als katastrophal. Auch die SPD hat mitregiert – und einen Kurs sozialer Kälte gefahren. Den Armen geht es so schlecht wie nie zuvor, die Reichen werden reicher. Die Corona-Politik war meiner Meinung nach auch katastrophal. Unsere Schulministerin hat es nicht geschafft, die Schulen sicher zu machen.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz auf dem Weg zum Fernsehinterview. Mit seiner Politik sind unsere vier Interview-Partner nicht zufrieden. © picture alliance/dpa/dpa Pool
Wenn die bestehende Politik katastrophal ist – sind dann die Grünen für euch eine Alternative?
Nico:
Die Grünen habe ich für mich ausgeschlossen. Klimaschutz ist mir sehr wichtig. Doch man sollte nicht nur Dinge verbieten, sondern auf alternative Technologien setzen. Außerdem gibt es auch noch andere Themen.
Philip: Die Grünen haben eine aggressivere Klimastrategie als die anderen Parteien. Ich frage mich nur: Wie wollen sie das alles finanzieren? Vermutlich mit hohen Steuern.
Franziska: Mir fehlen oft konkrete Umsetzungsvorschläge. Zum Beispiel fordern SPD und Grüne eine Erhöhung des Mindestlohns, aber nirgendwo steht, wie das finanziert werden soll. Ich finde, da wird nicht mit offenen Karten gespielt. Mit der Erhöhung des Mindestlohns soll ein höheres Wohlstandsniveau geschaffen werden. Aber wenn dann aufgrund von Steuererhöhungen auch die Preise steigen, ist das Ziel doch klar verfehlt.

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Sie kann die vier jungen Wähler nicht wirklich überzeugen. © picture alliance/dpa
Streitet ihr manchmal über Politik?
Philip:
Wenn Nico und ich darüber diskutieren, haben wir schon unsere Differenzen (lacht). Politisch bin ich ganz klar links orientiert. Ich finde halt, alle Menschen müssen eine faire Chance auf ein gleichwertiges Leben haben.
Nico: Ja, wir diskutieren oft. Ich bin eher liberal-konservativ eingestellt. Aber die Hauptsache ist, dass wir überhaupt diskutieren. Viele unserer Freunde finden das Thema langweilig. Wenn überhaupt, wählen sie die Partei, die ihre Eltern auch wählen.
Wie denkt ihr darüber, wenn Parteien – so wie zuletzt in Dortmund – nicht mit Parteien wie der AfD diskutieren wollen?
Nico:
Solange diese Parteien im Bundestag von Wählern gewählt worden sind, sind sie legitimiert. Es wird viel zu viel Zeit darauf verschwendet, sie zu boykottieren.
Philip: Ja, man sollte sich einfach darauf konzentrieren, eine bessere Politik zu machen. Das dürfte den Parteien doch nicht so schwerfallen.
Diskutiert ihr mit euren Eltern über Politik?
Nico:
Meine Eltern haben eine ganz andere Meinung als ich. Wir diskutieren zu Hause auf jeden Fall oft über Politik.
Franziska: Mit meinen Eltern unterhalte ich mich auch oft über Politik, aber wir sind nicht so unterschiedlicher Meinung. Sie teilen meine Ratlosigkeit aus den gleichen Gründen, die ich schon genannt habe.
Lilly: Bei dieser Wahl herrscht eine Zerrissenheit. Das habe ich auch im Familienumfeld gemerkt: Niemand weiß bei uns in der Familie so wirklich, welche Partei oder welcher Kandidat die oder der Richtige sein könnte.

Den Wahlkampf empfinden die vier Studenten als „reine PR-Show“. Sie wünschen sich mehr Sachlichkeit. © picture alliance/dpa/dpa Pool
Wie könnte eine Partei euch davon überzeugen, sie zu wählen?
Franziska:
Ich wünsche mir ein schlüssiges Konzept, in dem nicht nur Forderungen stehen, sondern in dem man auch eine nachvollziehbare Umsetzung erkennt. Einen Plan. Außerdem sollten die Kandidaten auch unbequeme Dinge aussprechen. Dann kann ich selbst beurteilen, ob ich das unterstützen möchte.
Nico: Mir wäre eine authentische Partei wichtig, die aus logischen Gründen heraus sinnvolle Entscheidungen trifft. Man muss doch gucken: Wer ist sinnvoll für das Amt? Unser Verkehrsminister zum Beispiel: Warum steht der da oben? So was mag ich nicht, und das kann nicht gut enden. Auf den Ministerposten sollten Experten sitzen. Leute, die verstehen, was sie da tun.
Philip: Die Partei, die ich wähle, muss Klimaneutralität schaffen und eine Rentenreform, die funktioniert. Sie sollte Ärmere entlasten und Reiche mehr besteuern. Arbeiterräte fände ich auch eine gute Idee.
Lilly: Außerdem sollten im Wahlkampf möglichst objektiv, von Expertenseite, die Vor- und Nachteile der Parteien und Kandidaten aufgelistet werden. So wie das im Moment läuft, ist das Ganze nur eine große PR-Schlacht.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
