
Schon ohne Uniformjacke: Nach dem Ausräumen seines Büros fuhr Ralf Jürgens noch einmal mit dem Korb der Drehleiter, die er bei der Anschaffung 2012 selbst für Schwerte ausgesucht hatte, über der Wache an der Lohbachstraße in die Höhe. © Ralf Jürgens
Ralf Jürgens geht in Ruhestand: Feuertaufe bei der Haver-Katastrophe
Feuerwehr Schwerte
Es ist ein ungewohntes Bild: Ralf Jürgens auf dem Wochenmarkt. Und auch noch ohne Uniform. Der Abteilungsleiter bei der Feuerwehr geht nach 35 Dienstjahren in den Ruhestand. Er hat viel erlebt.
Als die berüchtigte „Schlangengrube“ in Flammen stand, musste er draußen bleiben. Den Frischling ließen die älteren Feuerwehr-Kollegen im April 1984 nicht mit hinein in das Westhofener Dorf-Bordell am Bahnhof. „Wir Jungen sollten nicht sehen, was man nicht sehen sollte“, sagt Ralf Jürgens heute mit einem Lachen. Er sollte noch mehr als genug aufregende Großeinsätze an vorderster Front leiten in seinem langen Berufsleben.
Erste Feuertaufe beim Großbrand des Autohauses Haver
Die erste Feuertaufe musste Ralf Jürgens, der 1981 in die Freiwillige Feuerwehr Westhofen eingetreten ist, schon vor dem Alarm an der Schlangengrube erleben. Explodierende Gasflaschen schossen zischend wie Raketen durch die Luft, als seine Löschgruppe im Oktober 1982 mithelfen musste, den Großbrand des damaligen Autohauses Haver Im Reiche des Wassers unter Kontrolle zu bringen. Ein hochgefährlicher Einsatz, aber: „Da hat man sich noch keine Gedanken darüber gemacht.“ Man war eben noch blutjung.

Regierungspräsident Heinrich Böckelühr (l.), der als Schwerter Bürgermeister 18 Jahre lang den beruflichen Lebensweg von Ralf Jürgens (r.) begleitet hatte, ließ es sich nicht nehmen, bei der Verabschiedung des führenden Feuerwehrmanns dabei zu sein. Für den Ruhestand brachte er ihm ein Fläschchen mit Hochprozentigem aus dem Sauerland mit. © Ralf Jürgens
Heute ist der 59-Jährige froh, dass er in seinem langen Berufsleben als Führungskraft keine Unfälle verzeichnen musste: „Gottseidank sind alle immer wieder gesund aus den Einsätzen nach Hause gekommen.“ Auch wenn viele schwere Gefahrenlagen dabei waren wie der havarierte Lkw mit explosiver Ladung auf der Autobahn A1, als halb Westhofen evakuiert werden musste.
Im Mai 1987 wechselte der freiwillige Feuerwehrmann in die Hauptamtliche Wache der Stadt, wo er trotz aller mitgebrachter Erfahrungen seine Grundausbildung begann. Den Vertrag unterschrieb noch der damalige Stadtdirektor Ernst D. Schmerbeck. Vom Wachabteilungsleiter, der im Schichtdienst mit seinen Kollegen rund um die Uhr für die Sicherheit in der Stadt sorgte, stieg er auf bis zum Abteilungsleiter für den Rettungsdienst.
Bei Hundhausen zur Rettung in den Schornstein gekrochen
Es waren aufregende und aufopferungsvolle Jahre zugleich, in denen Ralf Jürgens aber nie seinen Humor verlor. Er war hautnah dabei, als das Hotel Breer in Westhofen zu löschen war. Als der Turm des Stahlwerks Ergste wie eine Fackel im Nachthimmel loderte. Als die Produktionshalle des ehemaligen Waggonbaus Brüninghaus in Westhofen im Flammen stand und die Retter in der Gießerei Hundhausen in einen Schornstein kriechen mussten, um einen Arbeiter zu befreien.
Als Hochwasser die Mühlenstraße absaufen ließ. Und nicht zu vergessen noch im Vorjahr die große Havarie im Umspannwerk der Stadtwerke, als nach einem Brand die Stromversorgung in Schwerte einen ganzen Tag lang ausfiel.

An seinem letzten aktiven Diensttag lud Ralf Jürgens seine Feuerwehr-Kollegen zu einem Abschieds-Kaffee ein. Bis zu seinem offiziellen Ruhestand am 1. Dezember muss er jetzt noch seinen Berg von Überstunden abfeiern. © Ralf Jürgens
Stoff für Gespräche ohne Ende, als Ralf Jürgens jetzt seine Wegbereiter zum Abschieds-Kaffeetrinken in die Feuerwache an der Lohbachstraße einlud. „Es war ein schwerer, aber schöner letzter Tag“, sagt er rückblickend. Sogar Regierungspräsident Heinrich Böckelühr, der als Bürgermeister 18 Jahre lang mit dem leitenden Feuerwehrmann zusammengearbeitet hat, mischte sich unter die knapp 70 Gäste. Er brachte eine Flasche Hochprozentigen aus dem Sauerland für den Ruheständler mit.
Der Freiwilligen Feuerwehr in Westhofen bleibt der Ruheständler treu
Der hat sein Büro schon leergeräumt, ist ein letztes Mal im Korb der Drehleiter gefahren, die er vor zehn Jahren selbst für Schwerte ausgesucht hat. Zwar erreicht Ralf Jürgens erst am 12. November mit seinem 60. Geburtstag die Pensionsgrenze, aber er muss noch Resturlaub und die Unmengen an Überstunden abfeiern, die sich in der Coronakrise angehäuft haben. Zum 1. Dezember erhält er seine Entlassungsurkunde.

Die neue Drehleiter für die Schwerter Feuerwehr hat Ralf Jürgens (l.) nicht nur selbst ausgesucht, sondern auch mit seinem Kollegen Sebastian Stöcklein (r.) vom Herstellerwerk in Stuttgart abgeholt. © Bernd Paulitschke (A)
Ein kompletter Abschied vom Retten wird dieser Termin nicht. Seiner Freiwilligen Feuerwehr in Westhofen bleibt Ralf Jürgens treu. „Man kann Erfahrungen an junge Kollegen weitergeben, aber ich muss nicht mehr in der ersten Reihe stehen“, erklärt er. Außerdem will ja der Wohnwagen bewegt werden: „Ich möchte nicht mehr so viel hier sein, sondern in südlichen Gefilden sein, wo es schön ist.“
Und dann sind da noch der Westhofener Schützenverein und die Sup-Peiter-Nachbarschaft Westeneicken. Rentner haben bekanntlich niemals Zeit.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
