Zu wenig Leute bei der Feuerwehr in Schwerte Wie lösen Sie das Personalproblem, Herr Müller?

Personalmangel bei der Feuerwehr: Wie löst die Stadt das Problem?
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Bei der Feuerwehr in Schwerte herrscht Personalmangel (wir berichteten). Inzwischen haben sich Dezernent Niklas Luhmann und Feuerwehrchef Wilhelm Müller zu dem Thema geäußert. Sie erklären im Gespräch mit der Redaktion, wie es zu der Situation gekommen ist, welche Auswirkungen der Personalmangel hat – und welche Lösungen es geben kann.

Wie stellte sich die Situation der Feuerwehr und des Rettungsdienstes in Schwerte Anfang 2023 dar – und wie ist sie heute?

Niklas Luhmann : „Anfang des Jahres 2023 hatten wir alle Planstellen nach der kompletten Übernahme besetzt. Dann sind wir in diese herausfordernde Entwicklung durch die allgemeine Fluktuation gekommen:

  • Drei Notfallsanitäterinnen und -sanitäter wechselten ins Krankenhaus und heimatnah.
  • Zwei ausgebildete Notfallsanitäter konnten neu eingestellt werden.
  • Heute haben wir neun vakante Planstellen, davon sind sechs Stellen im Brandschutz und drei sind Notfallsanitäter.
  • Hinzu kommen viereinhalb dauerhaft Erkrankte.

Aktuell ist die Situation sehr dynamisch. Wir sind höchst motiviert, die nicht besetzten Stellen zu schließen.“

Warum ist die allgemeine Fluktuation so hoch?

Luhmann: „Da die gesamte Branche sucht, ergeben sich an vielen Stellen Lücken. Es kann dann sein, dass unsere Kräfte wechseln, weil sie dadurch einen kürzeren Arbeitsweg haben. Die Dauerbaustelle an der A45 ist ein großes Thema. Zwei Mitarbeitende haben gesagt: Ich kann nicht weiter in Schwerte bleiben, wenn ich für jede Fahrt ein bis zwei Stunden brauche. Zur Arbeitsbelastung lässt sich sagen: Ich bin Silvester einmal beim Brandschutz mitgefahren. Es ist schon ein Adrenalinstoß, wenn der Pieper geht. Das war eine gute Erfahrung. Aber so etwas ständig zu machen, kann an die Substanz gehen.“

Wilhelm Müller: „Man muss bedenken: Um einen RTW (Rettungswagen, Anm. d. Red.) über das ganze Jahr im 24-Stunden-Dienst zu besetzen, braucht man wegen der Schichten zehn Mitarbeitende. Viele denken, für einen RTW braucht man drei, vier Leute. Aber man hat Krankheitsfälle, Urlaub, Lehrgänge und freie Tage. Eine Person arbeitet von 7 Uhr bis 7 Uhr, und hat dann erstmal einen oder bis zu drei Tage frei. Daraus ergeben sich 48-Stunden-Wochen.“

Luhmann: „Auf jeden Fall überlegen wir, wie eine Entlastung für die Mitarbeitenden generiert werden kann.“

Wilhelm Müller ist als Amtsleiter der Chef der Feuerwehr Schwerte. Er steht vor einem roten Fahrzeug der Feuerwehr.
Wilhelm Müller ist als Amtsleiter der Chef der Feuerwehr Schwerte. © Martina Niehaus

Inwieweit bedroht der Fachkräftemangel auch die Arbeit der ehrenamtlichen Mitglieder der Feuerwehr?

Luhmann: „Die Mitglieder stehen in ihren Jobs unter Druck, weil ihre Arbeitgeber sie nicht mehr wie früher für ihre Tätigkeit bei der Feuerwehr loslassen. Bei einem Alarm ist in über der Hälfte der Fälle nichts Gravierendes passiert. Trotzdem setzt sich die Rettungskette in Bewegung. Und dann gibt es womöglich Diskussionen mit dem Arbeitgeber – der ja auch seine Arbeitskräfte braucht.“

Müller: „Der Disponent beim Kreis entscheidet, welches Alarmstichwort zum Hilfeersuchen passt. In der Meldekette ist hinterlegt, wer alarmiert werden soll. Wir wollen in Zukunft mit der Kreisleitstelle über Fahrten sprechen, die vermeidbar sind. Bei denen sich zum Beispiel vor Ort herausstellt, dass jemand nur zum Hausarzt gebracht oder in ein anderes Krankenhaus verlegt werden muss.“

Luhmann: „Das ist ein schmaler Grat. Man will ja nicht zu wenig Leute schicken. Aber das Ziel ist es, treffsicherer zu werden.“

Auch Rettungsdienste der Feuerwehren aus anderen Städten helfen aus.

Müller: „Richtig. Dass sich Rettungswachen gegenseitig aushelfen, ist üblich.“

Luhmann: „Viele Kliniken haben sich spezialisiert: Häufig sind Rettungsmittel unterwegs, um Personen zu verlegen. Wenn dann gleichzeitig Einsätze auf Schwerter Gebiet stattfinden, werden eventuell Einsatzkräfte aus Nachbarstädten hinzugerufen.“

Müller: „Manchmal ziehen die Kollegen vom Kreis einen Schwerter Wagen nach Holzwickede, auch ohne Einsatz. Manchmal steht aber auch ein Lüner RTW in der Schwerter Wache.“

Der Kreis Unna ergänzt dazu: „Bei allen Notfalleinsätzen gilt: Es wird immer das nächste zum Einsatzort gelegene und geeignete freie Rettungsmittel an die Einsatzstelle entsendet. Dabei ist es unerheblich, aus welchem Ort es stammt.“

Muss man sich Sorgen machen, dass Hilfsfristen nicht eingehalten werden können?

Luhmann: „Nein. Mir ist wichtig zu erklären, dass die Bevölkerung nicht denkt, sie sei gefährdet.“

Müller: „Bei den Hilfsfristen im Rettungsdienst liegen wir im Kreis auf einer Spitzenposition. Darauf sind wir stolz. Im Brandschutz gibt es vier Gefährdungsklassen. In den Klassen 3 und 4 erreichen wir 81 Prozent, ansonsten 90 Prozent und mehr.“

Luhmann: „Gleichzeitig wollen wir dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter auf Dauer nicht überbelastet sind. Wir sind dabei, aufzustocken.“

Der Kreis Unna erklärt dazu: „Ein Grad von 100 Prozent ist realistisch nicht erreichbar. Der Rettungsdienstbedarfsplan sieht einen Erreichungsgrad von 90 Prozent vor: In neun von zehn Einsätzen soll die jeweilige Hilfsfrist von acht Minuten in städtischen und zwölf Minuten in ländlichen Gebieten eingehalten werden.“

Dezernent Niklas Luhmann aus Schwerte
Dezernent Niklas Luhmann ist selbst einmal bei Einsätzen mitgefahren. „Wenn der Piepser geht, bekommt man einen Adrenalinschub.“ © Martina Niehaus

Das Profil des Notfallsanitäters hat sich bereits vor zehn Jahren geändert. Hätte man eher reagieren und ausbilden müssen?

Müller: „2014 kam das Gesetz, nach dem RTW nur noch mit Notfallsanitätern mit dreijähriger Ausbildung besetzt werden dürfen. Doch die Schulen dafür mussten erst aufgebaut werden. Und anfangs haben sich die Krankenkassen geweigert, die Ausbildung zu refinanzieren. 2019 durften wir nur einen Auszubildenden haben. Letztes Jahr haben wir schon drei Personen ausgebildet. Man muss aber bedenken: Die fehlen während der Ausbildung auf der Wache. Neu ist, dass wir wegen des Mehrbedarfs jetzt fünf Notfallsanitäter ausbilden dürfen. Zum 1. August haben wir zwei Feuerwehrbeamte, zum 1. September haben wir sieben Notfallsanitäter und zum 1. Oktober weitere vier Feuerwehrbeamte, das sind 13 insgesamt.“

Luhmann: Auch Unterstützung durch externe Hilfsorganisationen ist eine Möglichkeit. Wir denken darüber nach.“

Ein Feuerwehrmann steht vor einem Haus.
Wenn es brennt, rückt die Feuerwehr an. In Schwerte fehlt es - wie in vielen Städten im Kreis - an Personal. © Manuela Schwerte (A)

Wie kann man die Mitarbeiter nach ihrer Ausbildung auch halten?

Müller: „Bewerber fragen sich gerade: Warum soll ich nach Schwerte kommen? Ist hier alles schlecht? Das ist natürlich nicht so.“

Luhmann: „Wir können den Leuten in Aussicht stellen, verbeamtet zu werden. Sodass man als Beamter-Notfallsanitäter und Feuerwehrbeamter arbeiten kann. Mit der zusätzlichen Ausbildung könnte man die Arbeit besser aufteilen. Unsere Bezahlung erfolgt bei Beamten-Notfallsanitätern durch A9, beschäftigte Notfallsanitäter werden nach Tarifrecht bezahlt, beides wie in größeren Städten. Bei unserer Ausstattung sind wir ganz vorne mit dabei. Da wird richtig investiert.“

Inwieweit ist die Unterstützung durch die Freiwillige Feuerwehr wichtig?

Müller: „Unsere Erfahrungen zeigen, dass wir mit den heutigen Mitgliedern die Einsatzlagen fachgerecht bewältigen können. Unsere Einheiten sind unterschiedlich groß strukturiert und nehmen verschiedene Sonderaufgaben wahr. In den letzten Jahren haben wir sogar mehr Mitglieder gewinnen können.“

Feuerwehrausrüstung steht in der Gerätehalle auf dem Boden.
Feuerwehrchef Wilhelm Müller sagt: „Unsere Feuerwehrleute machen einen Top-Job.“ Die Herausforderung sei es, gute Leute auszubilden und zu halten. © Bernd Paulitschke

Gibt es hier also keine größeren Personallücken?

Müller: „Bei der Brandschutzbedarfsplanung sind keine Personallücken festgestellt worden. Im Ehrenamt ist keine Fluktuation in dem Sinne vorhanden. Wir merken ein anderes Freizeitverhalten der Mitglieder, welches aber keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit hat. Darüber hinaus war im Brandschutzbedarfsplan 2019 die Einheit Schwerte-Wandhofen in den Planungen nicht mehr aufgeführt. Die wenigen Mitglieder sollten verteilt werden. Die Stadtspitze hat aber entschieden, den Standort zu sichern und wieder als leistungsstarke Einheit aufzubauen.

Als Leiter der Feuerwehr Schwerte kann ich mich seit Jahren auf das überdurchschnittliche ehrenamtliche Engagement der Mitglieder in der Freiwilligen Feuerwehr verlassen. Und in Zusammenarbeit mit den hauptamtlichen Kräften machen sie alle einen tollen Job. Dafür möchte ich an dieser Stelle Danke sagen!“

Gibt es auch Lösungen, die man als Kommune auf höherer Ebene anregen kann?

Luhmann: „Wilhelm Müller und ich waren am 5. Juni auf der ‚Rescue 112‘, der Messe für Katastrophenschutz in Dortmund. Dort findet zeitgleich ein Austausch des Städte- und Gemeindebundes statt. Wir haben das Thema angesprochen. Der Tenor: Das Rettungsgesetz NRW ist in Überarbeitung. Es soll Änderungen hinsichtlich nachzuweisender Qualifikationen je Rettungsmittel geben. 60 Prozent sind Bagatelleinsätze. So könnte zum Beispiel erst einmal ein Notfall-KTW (Krankentransportwagen, Anm. d. Red.) hinfahren, wenn man weiß, dass es nicht um Leben und Tod geht.“

Müller: „In den Städten und Kreisen gibt es dazu unterschiedliche Meinungen. Man kann aber durchaus versuchen, den Einsatz der Rettungsmittel anzupassen. Klar bleibt: Hat jemand einen akuten Notfall, fährt die ‚volle Kapelle‘ sofort los.“