Drei Jahre lang war der Dortmunder Tim Frommeyer (43) Erster Beigeordneter der Stadt Schwerte und damit der stellvertretende Behördenleiter gleich nach dem Bürgermeister. Nun zieht der 43-Jährige weiter. Auf Vorschlag von Innenminister Herbert Reul hat das Landeskabinett am Dienstag (31.10.) beschlossen: Tim Frommeyer wird neuer Polizeipräsident in Gelsenkirchen.
Im Gespräch mit der Redaktion lässt sich der Noch-Beigeordnete auf Anspielungen zur Rivalität zwischen Schalke und dem BVB kaum ein, spricht dafür ausführlich über seine neue Herausforderung als Polizei-Chef von 860 Kräften, seine größte Schlagzeile in Schwerte und persönlichen Druck in Krisensituationen.
„Erster Beigeordneter verlässt Schwerte“, haben wir am Dienstag geschrieben. Die Schlagzeile hätte auch sein können: „Ausgerechnet ein Dortmunder wird Polizeipräsident in Gelsenkirchen“. Wie klingt das für Sie?
Frommeyer (lacht): Ich gehe davon aus, dass das ohnehin Thema sein wird. Worauf sich die Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener aber verlassen können, ist, dass ich das Ganze sehr professionell anpacken werde und dass ich mich tierisch auf diese Aufgabe freue. Den ein oder anderen Spruch in Richtung BVB und Schalke wird es geben, mit dem werde ich auch gut umgehen können, und ich glaube, dann kann man das auf dieser humorvollen Ebene dabei belassen.
Sie werden keine klassische Bewerbung für die Stelle des Polizeipräsidenten geschrieben haben. Wie kommt Innenminister Herbert Reul darauf, Schwertes Ersten Beigeordneten zu fragen?
Da kann ich nicht ins Detail gehen, weil das eine sehr vertrauensvolle Herangehensweise ist. Man kann sich natürlich vorstellen, dass sich der Innenminister mit seinen Fachleuten lange Gedanken gemacht hat, welche Professionen für welchen Standort am wichtigsten sind. Und dann hat es im Hintergrund viele Gespräche gegeben. Aber es ist schon so, dass ich seit meiner Dortmunder Zeit sehr aktiv in innenpolitischen Netzwerken gearbeitet habe. Das ist nichts, was auf einmal und ganz überraschend kommt.
Spielt die Parteizugehörigkeit eine Rolle?
Herr Reul ist jemand, der darauf keinen Wert legt. Der Minister und ich haben zufällig das gleiche Parteibuch (CDU, Anm. d. Red.), aber es gibt auch in diesem Kreis Kolleginnen und Kollegen mit anderen Parteibüchern. Da geht es um die Profession und darum, dass man innerhalb der Behörde gute Arbeit leistet.

Sie sagten am Dienstag im Gespräch, Sie bringen das nötige Rüstzeug mit. Welches ist das?
Als stellvertretende Behördenleitung in Schwerte konnte ich mir immer mehr Führungserfahrung aneignen. Das ist elementar wichtig für die Arbeit innerhalb einer Polizeibehörde. In Dortmund habe ich im Dezernat für Recht, Ordnung, Bürgerdienste und Feuerwehr gearbeitet, dort einen Masterplan für kommunale Sicherheit mitverantwortet, der die Sicherheitsarchitektur in der Großstadt ja wirklich aus dem Kern heraus angepackt hat.
Vorher war ich Syndikusanwalt in einem Dortmunder Tochterunternehmen und davor im parlamentarischen Betrieb unterwegs. Dementsprechend glaube ich, dass ich sowohl die Themen Personalführung und Innere Sicherheit als auch das Politische auf dem Schirm habe.
Mehrmals kam seit Dienstag die Frage auf, ob man nicht Polizist sein muss, um Polizeipräsident zu werden. Die gebe ich mal an Sie weiter.
Es gibt in Nordrhein-Westfalen einige Kollegen, die die Polizeilinie gegangen sind. Es gibt aber auch sehr viele Juristen. Polizist zu sein, ist keine Voraussetzung. Es wurden zuletzt mehrere Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten durch das Kabinett ernannt, die eine ganz unterschiedliche Vita haben und meines Erachtens sehr gut zu den unterschiedlichen Behörden passen. Mein Portfolio hat sicherlich den Ausschlag gegeben, mich für Gelsenkirchen zu fragen.

Sie sind als Polizeipräsident in Gelsenkirchen bald Chef von rund 860 Kolleginnen und Kollegen. Dazu zählen auch Streifenpolizisten. Kann man sich als Nicht-Polizist in die Lage eines Polizeibeamten, der nachts auf Streife ist, hineinversetzen?
Zwei Punkte sind da aus meiner Sicht enorm wichtig. Zum einen, dass ich als Präsident der Polizeibehörde die Führungskraft der Führungskräfte bin. Natürlich braucht man Experten in den einzelnen Bereichen. Genauso wie ich hier die Leitungen des Jugendamtes, des Schulverwaltungsamtes und des Sozialamtes zwingend brauche. Zum anderen bin ich jemand, der ins Detail geht und versucht, die Prozesse bis ins Kleinste nachvollziehen zu können. Das würden Ihnen wahrscheinlich auch die Kolleginnen und Kollegen in Schwerte bestätigen.
Sind Sie schon mal mit einer Polizeistreife unterwegs gewesen?
Ich habe im Studium eine Station im Polizeipräsidium Dortmund absolviert. Das ging über die Verwaltungsabteilung, den Bereich Kriminalität, den Streifendienst bis hin zur Hundestaffel. Da durfte ich mich mit den belgischen Schäferhunden auseinandersetzen.

Erwartet Sie in Gelsenkirchen ein ähnlicher Brennpunkt, wenn man das so sagen möchte, wie die Dortmunder Nordstadt oder Duisburg-Marxloh?
Eine schnelle Bewertung von außen abzugeben, ist schwierig, das werde ich mir mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort anschauen. Aber ich würde schon sagen, dass die Großstadt Gelsenkirchen genau die Problemfelder hat, die andere Großstädte auch haben.
Sie werden nicht nach Gelsenkirchen gehen, um den Status quo aufrechtzuerhalten, sondern um etwas zu bewirken. Wo kann sich das Exekutivorgan Polizei, dessen Bild in der Öffentlichkeit zuletzt nicht nur gut war, verbessern?
Ich bin jemand, der sich immer vor die Polizei gestellt hat – auch wenn sie in der Kritik stand. Weil ich der Auffassung bin, dass das ein Beruf ist, für den man geboren sein muss. Und wenn man diese Aufgabe annimmt, dann immer auch, um für die Bürgerinnen und Bürger das Beste hinzubekommen.
Grundsätzlich geht es immer um die objektive Sicherheitslage, die man verbessern möchte, und das subjektive Sicherheitsempfinden. Und diese zwei Felder gehen gerne mal weit auseinander – vor allem in der jetzigen Zeit, mit den Ängsten, die die Menschen haben. Umso wichtiger ist es, eine bürgernahe Polizei fortzuentwickeln.
Die Themen Transparenz und Kommunikation sind wichtig. Das ist eine Linie, die ich auch aus dem Innenministerium heraus so wahrnehme; dass das Ziel ist, die Strategien der Polizei immer besser nachvollziehen zu können. Das ist ein wichtiger Aspekt in unserer sehr schnelllebigen Gesellschaft. Das Thema Sicherheit und Ordnung ist gerade in Krisenzeiten eines, das einen besonderen Stellenwert hat. In NRW hat man das meines Erachtens verstanden mit Blick auf die Einstellungsoffensiven und die Präsenz in der Fläche.
Alle anderen Fälle, die es geben kann, wo es auch mal kritisch wird und Zivilgesellschaft und Polizei nicht einer Meinung sind, die muss man in Ruhe aufarbeiten.

Werden Sie sich mit Gregor Lange, Polizeipräsident in Ihrer Heimatstadt Dortmund, austauschen?
Es gibt im Umkreis so viele erfahrene Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten. Da wäre ich irre, wenn ich die nicht ansprechen und um ihren Rat bitten würde. Polizeidirektor Peter Both, der die Gelsenkirchener Behörde kommissarisch geleitet hat und der mein Stellvertreter sein wird, wird darüber hinaus eine sehr wichtige Vertrauensperson sein. Und eine meiner ersten Ansprechpartnerinnen ist sicherlich Frau Welge, die Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen.
Blicken wir mal nach Schwerte und nicht nur nach Gelsenkirchen. Was konnten Sie in den letzten drei Jahren bewirken?
Der Bürgermeister und ich sind in den vergangenen drei Jahren immer enger zusammengewachsen und haben für uns eine gemeinsame Linie und eine gemeinsame Perspektive für diese Stadt erkannt. Und das, obwohl wir von einem Krisenmodus in den nächsten übergegangen sind.
Ich bin während Corona hier gestartet, das Thema Schule war omnipräsent. Und gerade in dem Bereich haben wir eine unglaubliche Entwicklung gemacht, was die Digitalisierung angeht und den Offenen Ganztag. Wir stehen in sehr engem Verhältnis mit den Schulleitungen. Das ist schon etwas, worauf ich stolz bin; dass wir trotz der Rahmenbedingungen – auch mit Blick auf den Haushalt der Stadt Schwerte – bei den Schulen einen absoluten Schwerpunkt gesetzt haben.
Dann kam das Hochwasser 2021, der Ukraine-Krieg, die Geflüchteten-Krise. Wir haben aus dem Bürgersaal eine Flüchtlingsunterkunft gemacht, wir haben den Dachboden im Rathaus am Stadtpark hergerichtet, um für die Menschen eine vernünftige Erstversorgung hinzukriegen.

Was würden Sie den Leuten entgegnen, die vielleicht sagen, dass der Bürgersaal als Flüchtlingsunterkunft mehr PR war, als dass die Aktion wirklich nötig war?
Dass das PR war, kann ich ausschließen. Die Krisensituation war zu dem Zeitpunkt so intensiv, dass wir teilweise nicht absehen konnten, wie viele Menschen uns gleichzeitig erreichen. Der Aufwand, den Bürgersaal und im Rathaus am Stadtpark die obere Etage umzugestalten, der war so hoch und kostenintensiv, dass wir das nicht aus irgendwelchen anderen Gründen gemacht hätten. Wir haben das sehr kontrovers diskutiert. Das sind Maßnahmen, für die ich auch meinen Kopf hingehalten habe. Aber das habe ich gerne und aus Überzeugung getan, weil diese Entscheidungen getroffen werden mussten, damit keine Menschen auf der Straße stehen.
Als wir absehen konnten, dass wir das Ganze anders strukturiert bekommen, war es dann aber auch die richtige Entscheidung, den Bürgersaal wieder freizuziehen, weil die Situation nicht nur für die ankommenden Menschen, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen im Rathaus sehr intensiv war.
Sascha Enders, Schwerter CDU-Chef, sagte in der WAZ, dass Sie maßgeblich dafür verantwortlich waren, dass der Kulturbetrieb (KuWeBe) so bestehen bleibt. Sehen Sie das auch so?
Das war eine Teamleistung. Und die Entwicklung innerhalb der Kultur ist immer auch im Rahmen des Haushaltes zu bewerten, da haben wir uns finanziell sehr gestreckt. Aber ich würde schon sagen, dass ich einer derjenigen war, die sehr für den Kulturbetrieb gekämpft haben.
Warum war das so wichtig?
Weil für mich die Kultur das Herz einer Stadt ist. Die Kulturlandschaft an sich, innerhalb des KuWeBe sind aber auch die Themen VHS und Bildung sehr prominent, da sprechen wir über Schulabschlüsse und Sprachkurse und alles, was gesellschaftlich einen hohen Wert hat in unserer Stadt. Ich bin weiterhin der Auffassung, dass der KuWeBe als Anstalt des öffentlichen Rechts sehr gut aufgestellt ist – und durch die neue Vorständin Andrea Perlt sind neue Prozesse angestoßen worden. Ich bin stolz, dass ich daran mitwirken durfte, sie als neue Führungskraft nach Schwerte zu holen.
Was muss Ihr Nachfolger/Ihre Nachfolgerin jetzt in Schwerte anpacken? Was muss er oder sie mitbringen?
Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter ist ein Riesenthema, der auf die Kommunen zukommen wird und bei dem wir immer noch nicht genau wissen, welche Rahmenbedingungen ab dem Zeitpunkt greifen. Und wir werden erst noch sehen, wie die Menschen später auf diesen Rechtsanspruch reagieren.
Für die Stelle des Ersten Beigeordneten ist sicherlich ein dickes Fell gut, aber man trifft hier eben auch auf ein großartiges Team Stadtverwaltung und eine Truppe von Schulleitungen, die unglaublich gut aufgestellt und motiviert ist. Es wäre schön, wenn diese vertrauensvolle Arbeit mit den Schulen und auch mit der Politik so weitergeführt würde. Das habe ich so betrieben und ich hoffe, dass ich für alle immer ein guter Ansprechpartner war.

Die Verantwortung war in Schwerte schon groß, wird in Gelsenkirchen aber größer sein. Und es wird Leute geben, die noch einmal ganz anders auf Ihre Arbeit schauen. Verspüren Sie mit Blick auf die neue Aufgabe auch einen großen Druck?
Ich bin jemand, der in schwierigen Situationen sehr gut funktioniert. Es ist schwierig zu sagen: Druck in Krisensituationen kann auch Spaß machen. Das ist ein etwas seltsames Bild. Aber wenn man Strukturen gut aufbaut, funktionieren die eben in Ausnahmesituationen. Und es wird in Gelsenkirchen Krisen geben, definitiv.
Werden Sie bei der Fußball-Europameisterschaft eigentlich das erste Mal auf Schalke sein?
Nein, da war ich schon (lacht). Mal abgesehen von der EM gehe ich im Übrigen davon aus, dass wir mit dem Verein und perspektivisch auch mit der Ultraszene in Gelsenkirchen sehr zeitnah in den Austausch gehen werden. Und da freue ich mich drauf.