„Püttmalocher“ nennt der Eisenbahnfreund die Maschinen, die er im Aachener Revier auf Super-8-Film aufnahm – ohne Ton. In seinem Studio gibt er ihnen das Stampfen und Pfeifen zurück.

Holzen

, 15.11.2018, 11:45 Uhr / Lesedauer: 4 min

Mochten die Autofahrer doch fluchend vor der Glück-Auf-Schranke stehen. Wolfgang Güttler jubelte, wenn die Absperrbäume sich wie eigentlich fast immer über die Bahnhofstraße in Alsdorf im Aachener Revier senkten. Dann postierte er sich mit seiner einschaltbereiten Schmalfilmkamera aus dem Foto-Porst-Sortiment in der Nähe des ping-ping klappernden Läutewerks – in erwartungsvoller Hoffnung, dass bald eine der Dampflokomotiven von der nahen Zeche Anna heranstampfen würde.

Mit all ihrer Zylinderkraft kämpfte die schwarz-grüne Maschine mit einer langen Reihe randvoll gefüllter Kohlen- und Kokswaggons, die eine gefühlte Ewigkeit hin- und her rangiert werden wollten. Deshalb musste der Straßenverkehr eben Glück haben, wenn er die Schranke mal in der Stellung „auf“ erleben wollte.

Nur wenige filmten auf den Zechen

Pech hatten in diesem seltenen Fall dann ausnahmsweise die Eisenbahnfreunde. Die nahmen die Dampflokomotiven der Kohlenzechen vor die Linse, nachdem die Bundesbahn ihren letzten Loks 1977 endgültig das Rauchen abgewöhnt hatte. Wolfgang Güttler entdeckte die nostalgischen Grubendampfrösser, als er seinen Onkel besuchte, der in Mariadorf bei Alsdorf wohnte. „Dort fuhren auf der Zeche und in der Kokerei noch bis Mitte der 90er-Jahre Dampflokomotiven“, berichtet der Holzener. Was seine Dokumentationen auf Super 8 so selten macht: Er war einer der wenigen Fans, die damals mit einer Schmalfilmkamera auch bewegte Bilder festhielten. Denn das war gar nicht so einfach.

In seinem kleinen Kellerstudio digitalsiert und bearbeitet Wolfgang Güttler die seltenen Super-8-Filme von Zechenbahn-Dampfloks.

In seinem kleinen Kellerstudio digitalsiert und bearbeitet Wolfgang Güttler die seltenen Super-8-Filme von Zechenbahn-Dampfloks. © Wolfgang Güttler

„Mit diesen Amateur-Filmgeräten stieß man häufig an Grenzen“, erklärt Güttler: „Bei schlechtem Wetter hatte der Filmer schon Probleme mit der Belichtung.“ Außerdem war das Filmmaterial teuer. Und die 15 Meter Zelluloid auf der Kassette waren bereits nach zweieinhalb Minuten durch das Aufnahmegerät gejagt. Was allerdings auch den Effekt hatte, dass der Kameramann seine Szenen und Motive ganz genau plante.

Drei Filmkassetten und ein Stativ gegen das Verwackeln packte Güttler ein, als er am 12. Juni 1980 wieder einmal nach Alsdorf fuhr. Auch das hat er dokumentiert. „Hier dampften auf der Anna-Grube noch täglich rund ein halbes Dutzend Rangierlokomotiven“, erzählt er. Und die Begeisterung blitzt immer noch aus seinen Augen. Die rauchenden Maschinen zeigten sich regelmäßig an der besagten Glück-Auf-Schranke. Im Gegensatz zu dem Zugverkehr auf anderen Schachtanlage, der sich meistens – für die Eisenbahnfreunde unerreichbar – hinter den Werksmauern abspielte.

Bekanntschaft mit dem Werksschutz gemacht

Mit dem allgegenwärtigen Werksschutz machte Güttler dann aber trotzdem noch Bekanntschaft, als er am anderen Ende des Zechengeländes die Dampflokomotiven auch noch beim Auftanken am mächtigen Wasserkran filmen wollte. Weil ein Maschendrahtzaun störte, schlich er sich durch ein offenstehendes Tor herein. Doch der Eindringling blieb nicht lange unbemerkt. „Die Aufforderung, das Gelände sofort zu verlassen, habe ich selbstverständlich befolgt“, sagt er.

Wie waren wohl die Aufnahmen geworden? Bevor er diese bange Frage beantworten konnte, musste Güttler sich jedesmal gedulden. Denn um das Ergebnis begutachten zu können, wollte das Filmmaterial erst einmal per Bundespost zur Entwicklung ins Fachlabor eingeschickt werden. Nach etwa zehn Tagen lag es fertig wieder im Briefkasten. Nach dem „Anna“-Besuch zur vollsten Zufriedenheit. „Da alle Szenen gut belichtet waren, konnte ich aus dem gedrehten Material einen Film mit einer Laufzeit von rund acht Minuten fertigen“, erzählt der Schwerter: „Für damalige Verhältnisse ein sehr langer Film.“

Er hatte – wie das meiste Material aus der damaligen Zeit – nur einen Mangel. Beim Vorführen hörten die Gäste lediglich das Surren des Projektors, weil die Kamera alles „stumm“ gedreht hatte. Dem kann Güttler in seinem Studio im Eisenbahnkeller aber mittlerweile abhelfen. Wenn er die alten Filme dort digitalisiert, kann er sie gleichzeitig auch nachvertonen. Nicht nur mit Gema-freier Musik und Kommentaren zu den Lokomotiven, die er selbst recherchiert und geschrieben hat. Die Züge können bei der Fahrt auch richtig stampfen und zischen.

Einige Loks sind bei Museumsbahnen erhalten

„Einige Eisenbahnfreunde haben damals Tonbandaufnahmen gemacht – mit Uher-Geräten oder einfachen Kassettenrekordern“, erzählt Güttler. Diese Tonschätze werden ihm immer mal wieder von Hobby-Kumpeln angeboten. Sie müssen nur zum Maschinentyp passen: „Den Ton einer kleinen Rangierlok kann man zu einer Zechendampflok unterlegen, aber nicht den einer Schnellzug-lok.“ Knifflig wird die Aufgabe zudem dadurch, dass die Geräusche mit den Bewegungen synchronisiert sein müssen. Wie sähe es aus, wenn die Auspuffschläge nicht gleichzeitig mit dem Aufsteigen der Dampfwolken aus dem Lautsprecher zischten.

Als auch auf den Zechen das Feuer in den Kesseln der Loks ausging, konnten sich einige von ihnen ihr Gnadenbrot vor Sonderzügen auf Museumseisenbahnen verdienen. „Dann erschienen ganze Heerscharen von Filmern und Fotografen, die sich gegenseitig auf den Füßen standen“, erinnert sich Güttler: „Die ehemaligen ,Püttmalocher´ haben sich aber sehr über diese Aufmerksamkeit gefreut.“ Die Lok Anna Nr. 6, die er in Alsdorf aufgenommen hatte, entdeckte er so beispielsweise im Industriemuseum Dortmund-Bövinghausen wieder: „Mehrmals im Jahr wird sie angeheizt. Dann können Besucher auf dem Führerstand mitfahren.“

Auch mit dem Ende der Dampfzeit in den Gruben erlosch das Interesse des Holzeners an den Zechenbahnen nicht. Wieder waren eine Glück-Auf-Schranke und ein Onkel im Spiel. Letzterer fuhr als Bergmann auf der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen-Buer ein, an deren Anschlussgleisen hinter der Stadtgrenze sich Güttler mit seiner Kamera postierte: „Die ,Hugobahn‘ kreuzte in Gladbeck, Ortsteil Beckhausen, die Horster Straße.“ Das Warten auf die Züge verkürzte dort ein Pläuschchen mit dem Schrankenwärter im Bahnwärterhäuschen „Hsw“. Der gab gleichzeitig nette Tipps, aus welcher Richtung der nächste Zug zu erwarten wäre – gezogen zu dieser Zeit schon von modernen Diesel- oder Elektrolokomotiven.

Alte Lehrfilme sind kleine Sensation

Doch auch die werden mit dem Ende der Zechenära wohl Geschichte. „Ohne Eisenbahn wäre der Transport des wichtigen Brennstoffes Kohle nicht möglich gewesen“, sagt Güttler: „Das weitverzweigte Schienennetz im Ruhrgebiet verdanken wir den Zechen, Stahlwerken und Industriebetrieben.“

Damit das alles nicht in Vergessenheit gerät, sammeln der 67-Jährige und seine „Schwerter Eisenbahnfreunde“ Filmmaterial von Grubenbahnen. „Es ist gerade das Interessante, dass es da so wenig gibt“, erklärt er. Große Freude bereitete es deshalb, als plötzlich alte 16-Millimeter-Lehrfilme über Steinkohlenbergwerke und Materialbahnen in den Schächten auftauchten, die inzwischen digitalisiert wurden.

Auch Fotos der Zechenloks sind heiß begehrt. Eine kleine Sensation waren darunter kürzlich entdeckte Aufnahmen aus dem früheren Eisenbahn-Ausbesserungswerk Schwerte-Ost. Sie beweisen, dass die Reichsbahn dort nicht nur eigene Dampfloks repariert hat, sondern auch die Maschinen der Zechen.