
© Heiko Mühlbauer (A)
Das Jahr 2020 in Schwerte: Das Ende einer großen Industrie-Tradition
Jahresrückblick 2020
Die Hoffnung auf eine Rettung der Firma Hoesch Schwerter Profile schwand in diesem Jahr nach einer langen Hängepartie und verlor sich schließlich bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Bis zum 30. Juni hofften die Schwerter Hoeschianer, dass sich ein Interessent für ihr insolventes Traditionsunternehmen finden würde. Doch die Hoffnung wurde enttäuscht.
Am Tag darauf stand fest, dass allen 330 Mitarbeitern gekündigt wird. Spätestens zum 31. Mai 2021 sei Schluss, hieß es. Dann soll die sogenannte Ausproduktion enden, während der noch bestehende Bestellungen abgearbeitet werden.
Der dritte Komplex auf dem Gelände, das Presswerk, das vor einigen Jahren als Hoesch Schwerter Extruded Profiles (HSEP) in eine eigene Gesellschaft ausgegliedert worden ist, ist von der Insolvenz nicht betroffen.
Trotzdem blickt man auch dort sorgenvoll auf die Entwicklung beim Nachbarn, dessen Ziehwerk mit der größte Kunde ist. Darüber hinaus gibt es vielfältige Verflechtungen vom Zaun und der Straße bis zu den Anschlüssen für Strom und Wasser. Auch die Büros beider Unternehmen sind immer noch im selben Verwaltungsgebäude untergebracht.
Das letzte Jubiläum
Damit dürfte das 275-jährige Jubiläum, das am 12. August anstand, das letzte in der langen und wechselvollen Geschichte des Stahlbetriebs gewesen sein. Er ist einer der ältesten weit und breit, die seit ihre Gründung in derselben Branche verwurzelt geblieben sind.
Der Kölner Erzbischof Clemens August unterschrieb am 12. August 1745 die Urkunde, die einem Freiherrn Johann Heinrich von Dücker die Verarbeitung des Eisensteins erlaubte, den er in seinen Bergwerken rund um Rödinghausen bei Menden förderte. In einem Schmelzofen auf Dückers Gut in Rödinghausen wurde fortan Roheisen aus Eisenstein geschmolzen.
1827 ging eine Blechwalze in Betrieb, 1835 eine weitere zur Herstellung von Stäben aus Stahl: „Das Verfahren zum Walzen von Profilen ist damit seit 185 Jahren im Unternehmen vorhanden.“
Bahnanschluss als Startschuss für Standort in Schwerte
Nachdem die Familie Dücker aus dem Unternehmen gedrängt worden war, stand ab 1850 der Name „Kissing&Schmöle“ am Werktor. Noch wurde in Menden produziert, doch wurde der Transport immer problematischer.
Als Schwerte einen Bahnanschluss erhalten hatte, entschied man sich deshalb, dort einen weiteren Standort aufzubauen. Am 2. April 1868 erfolgte die Grundsteinlegung für die Anlagen, in denen Eisen geschmolzen sowie Profile und Draht gewalzt werden sollten.
Wegen der günstigen Verkehrsanbindung wurden sie schnell zum Hauptbetrieb, der Stammsitz in Menden wurde in einer Krise 1885 wegen Unwirtschaftlichkeit dichtgemacht. Schon vorher war das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft „Eisenindustrie zu Menden und Schwerte“ umgewandelt worden, um den Gründerboom der Jahre 1866 bis 1873 für eine Kapitalbeschaffung auszunutzen.
Um den nötigen Stahl zu erzeugen, wurden 1890 fünf Öfen eines Siemens-Martin-Stahlwerks errichtet. Zu dieser Zeit waren rund 1500 Schwerter in dem Betrieb beschäftigt.
Acht Millionen Tonnen Spezialprofile
Es sollte noch 25 Jahre dauern, bis der neue Name „Schwerter Profileisenwalzwerk“ diese Entwicklung für alle sichtbar machte. Die Stahl- und Drahtfertigung war schon 1926 als Folge eines Konzentrationsprozesses in der deutschen Stahlindustrie eingestellt worden. Seitdem sind bis heute acht Millionen Tonnen Spezialprofile aus den Hallen gerollt.
Währenddessen folgten im Hintergrund Schlag auf Schlag Eigentümerwechsel, die einem Monopoly-Spiel alle Ehre machen würden.
1920 übernahm mit der Stumm-Gruppe erstmals ein Konzern das Sagen, 1926 folgten die Vereinigten Stahlwerke, 1952 die Dortmund-Hörder-Hüttenunion, die selbst 1966 im Hoesch-Konzern aufging. Seit 2006 gehört der Standort zur italienischen Calvi-Gruppe.
Mitarbeiterzahl immer weiter gesunken
In der gesamten Zeit sank die Mitarbeiterzahl. Während 1969/70 noch fast 1700 Arbeiter und Angestellte am Pförtner vorbeigingen, sind es zuletzt gerade mal noch 330. Wie groß die Bedeutung des Unternehmens für die Stadt war, beweist eine andere Zahl: Nach Kriegsende bot es 6700 gewerblichen Mitarbeitern und über 700 Angestellten einen Arbeitsplatz.
Holger Bergmann ist seit 1994 als freier Mitarbeiter für die Ruhr Nachrichten im Dortmunder Westen unterweg und wird immer wieder aufs neue davon überrascht, wieviele spannende Geschichten direkt in der Nachbarschaft schlummern.
