
© Reinhard Schmitz (Repro)
Als das allererste Radio in Westdeutschland die Gäste in ein Schwerter Café lockte
Stadtgeschichte Schwerte
Beim Joggen, im Zug, vielleicht sogar auf der Arbeit. Per Knopf im Ohr sind Musik und Nachrichten immer dabei. Vor 95 Jahren war das erste Radio die Sensation in einem Café in Schwerte.
Die weiße Farbe ist nur wenig verblasst. „Conditorei Bäckerei Wigge“ ist auch nach Jahrzehnten noch auf der Schieferfassade des Hauses Friedrichstraße 7 in der Schwerter Altstadt zu lesen. Als „Café Radio“ war es einst weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Die Attraktion: In einer Ecke stand der allererste Rundfunkempfänger in Westdeutschland. Aus unförmigen Ohrmuscheln konnten die Gäste Musikübertragungen lauschen, während ihnen Radio-Schnittchen oder Radio-Törtchen serviert wurden.
Als Flieger im Ersten Weltkrieg kam Anton Wigge zur Funkerei
Die pfiffige Idee hatte der aus Neheim stammende Bäckermeister Anton Wigge (1888-1975). Als Doppeldecker-Pilot im Ersten Weltkrieg war er mit der Funkerei in Verbindung gekommen. Der Flieger träumte davon, nach der Rückkehr in die Heimat ein Radio-Café zu eröffnen. So einfach war das aber nicht. Die Behörden verlangten eine Lizenz. Doch im Jahre 1924 hielt Wigge endlich die „Genehmigungsurkunde Nr. 1“ für den Empfang des Rundfunks im Westen in den Händen.

Anton Wigge (1888-1975) mit dem Empfangsgerät seiner Radioanlage, die er 1924 als erster Lizenzhörer des Westdeutschen Rundfunks in Betrieb nahm. © Archiv Schwerter Zeitung
Stolze 1432,80 Mark investierte der Bäckermeister in das Empfangsgerät mit den 50 Kopfhörern, die für die Gäste von der Decke des Cafés herabbaumelten. Ganz heimlich werkelten Techniker drei Tage lang am Einbau der Station, die das Hagener Elektro-Unternehmen Brückner & Co. geliefert hatte. Am Abend des 22. März 1924 konnte dann eine auserwählte Schar eingeladen werden. Ein Ingenieur drehte an den Knöpfen, bis die erwartungsfrohe Gesellschaft gegen 20.15 Uhr plötzlich erst ein leises Knistern vernahm. „Und dann rauschende Musik“, schrieb die Schwerter Zeitung und jubelte über „höchste Klangfülle“. Zuerst ertönte der deutsche Walzer „Rosen aus dem Süden“. Es folgten Szenen aus den Opern „Rigoletto“ und „Die Regimentstochter“ sowie Märsche und Klaviermusik, gesendet aus Berlin und Nizza, Paris und Birmingham.
Café lockte mit täglichen Radio-Konzerten seine Gäste
Die Premiere war gelungen. Danach lockten tägliche Radio-Konzerte die Gäste ins Café. Wer sich den Hör-Genuss auch nach Hause holen wollte, für den hatte die Schwerter Zeitung damals ganz aktuell einen Tipp parat. In einer Beilage empfahl sie an jenem 22. März 1924 die Zeitschrift „Radio für alle“ mit einer Anleitung für den Selbstbau der Apparate.

„Bäckerei Wigge“ steht immer noch an der Schieferfassade an des Hauses an der Friedrichstraße 7 in Schwerte, wo 1924 der erste Radioempfänger Westdeutschlands in Betrieb ging. © Reinhard Schmitz
Störungsfreier als mit den Hobby-Röhren gelang der Empfang aber in Wigges Café. Es ist längst Geschichte. Die Räume beherbergen heute eine Kontaktstelle für psychisch instabile Menschen. Den allerersten Empfangsapparat gibt es aber noch. Der Enkel des Konditormeisters, Rudi Wigge, hütet ihn wie einen Schatz.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
