Gudrun Gerwien (65) kämpft verbissen weiter „Wenn ich könnte, würde ich sie alle retten“

Gudrun Gerwien gibt nicht auf: „Wenn ich könnte, würde ich sie alle retten“
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Sie ist 16 Jahre alt. Ein junges Mädchen, das in den Trümmern von Sierra Leone lebt. Um sie zu retten, muss erst Geld in die Taschen ihres Onkels fließen. Denn ohne eine finanzielle Auslöse lässt ihr Vergewaltiger sie nicht gehen. 150 Euro legt Gudrun Gerwien auf den Tisch. Eine Summe und eine Tatsache, über die sie nicht gerne spricht.

Ein Gedanke kreiste ihr damals ununterbrochen durch den Kopf: „Wenn ich jetzt die 150 Euro gegen das Mädchen tausche, was muss sie für ein Gefühl haben, über ihren eigenen Wert als Mensch?“

Zu Hause sitzt die 65-jährige Schermbeckerin in ihrem Sessel, vor ihr steht die Tasse Kaffee, von der sie immer wieder nippt. Vieles, was Gudrun Gerwien erzählt, ist schwer zu verdauen und schwer vorstellbar – trotzdem ist sie für die Kinder in Sierra Leone grausame Realität.

In einem der ärmsten Länder der Welt steht die Lebenssituation von jungen Mädchen und Frauen im starken Kontrast zum Leben junger Frauen in Deutschland.

„Ein böser Traum“

„Das hast du jetzt nicht gesehen, das ist einfach nur ein böser Traum gewesen.“ Gerwiens Blick schweift ab, sie sackt in sich zusammen. Nächtelang saß sie am Krankenbett von Mariama. Das junge Mädchen wimmerte vor Schmerzen, sie hing an einem Tropf, zusammengezimmert aus Holz.

In einer dramatischen Nacht-und-Nebel-Aktion fuhren die Schermbeckerin und ihr Team drei Krankenstationen an, bevor sie eine mit einer anwesenden Nachtkrankenschwester finden. „Mama bleib‘ bei mir“, bettelte das Mädchen Gudrun an. Sie sitzt an ihrem Bett und singt das Gute-Nacht-Lied Lalelu. „Was anderes fiel mir nicht ein, um sie zu beruhigen.“

Auf einmal fing Mariama an zu zucken. Fürsorglich legte Gerwien ihre Hand auf die Schulter des jungen Mädchens. Plötzlich rutsche die Decke weg. Eine Maus sprang ihr entgegen. „Als ich die Decke aufhob, sprang die zweite Maus aus dem Bett“, erzählt die 65-Jährige.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Mariama ihre Periode hatte. Aufgeklärt wurde das junge Mädchen nicht. „Sie hatte dann einfach alte Lappen genommen – sauber waren die nicht.“ Daraus entwickelte sich eine Entzündung, die mit Antibiotika behandelt werden musste.

Traumatisierte Kinder

„Wenn ich könnte, würde ich sie alle retten.“ Dass das nicht möglich ist, ist Gudrun Gerwien klar. Trotzdem versucht sie seit Jahrzehnten ihr Bestes und ist für ihre Arbeit auch mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden. Sie selbst steht nicht gerne im Vordergrund. „Da stehen so viele Menschen hinter mir, ohne die könnten wir das alles gar nicht schaffen.“

Immer wieder rettet sie junge Mädchen, Kinder, aus den Fängen alter Männer. Wie ein Schwesternpaar. „Die Kinder waren schwer traumatisiert.“ Tagelang saßen die beiden Mädchen neben ihren toten Eltern.

Gudrun Gerwien sitzt auf einer Schaukel in ihrem Garten in Schermbeck.
Gudrun Gerwien hat ein Strahlen im Gesicht, auch wenn sie viel Leid sieht. © Janina Preuß

Eine Nachbarin hat die Kinder zu sich genommen. Mit dem älteren, pubertierendem Mädchen Mabinzi kam sie nicht zurecht und übergab sie deshalb dem Dorfältesten. „Sie war 15 und dankbar, dass wir ihre kleine Schwester mitnehmen wollten, damit sie sicher ist“, erzählt Gudrun. Der erste Gedanke: Nur eines der Mädchen mitzunehmen, kommt nicht infrage.

„Ist er böse zu dir?“

Die dringlichen Worte von Mabinzi -„nimm sie mit, nimm sie mit“- lösten einen zweiten Gedanken bei Gerwien aus. Sie lief ein paar Schritte mit der 15-Jährigen: „Geht es dir gut?“ – „Nein.“ Die zweite Frage: „Ist er böse zu dir?“ Mabinzi fing an zu weinen. „Ja.“ Damit war für Gudrun alles klar – ohne das Mädchen ging sie nicht. Eine Stunde musste sie mit dem Dorfältesten – Mabinzis Vergewaltiger – verhandeln, bevor sie beide Mädchen in Sicherheit bringen konnte.

„Dunkelheit und Petroleumgeruch“

Gerwien erinnert sich an ihren ersten Trip nach Sierra Leone. „Dunkelheit und Petroleumgeruch, das war so das Erste, was ich wahrgenommen habe.“ In der Dunkelheit hörte sie Stimmen, überall war es laut. „Jeder packte einen an und wollte Geld.“

Bis heute macht Gudrun Gerwien auf ihren Trips Erfahrungen, die fremd sind für die Schermbeckerin, denen sie aber mit Respekt begegnet. „Ich will ja keine Kultur verändern, ich habe ja meine eigene Kultur und Werte, die ich mit den Werten in Sierra Leone abgleiche“, erklärt Gerwien, „aber ich respektiere auch die Andersartigkeit.“

Eigentlich sollte dieser Trip ein einmaliger Besuch sein. Aber was sie vor Ort sah und erlebte, lässt die Schermbeckerin bis heute nicht mehr los.

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Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmalig am 8. März 2025.