Christian Gross hatte sich genau wie Huub Stevens im Prinzip schon vom aktiven Trainer-Dasein verabschiedet. Nun soll er Schalke retten. Seine Erfahrung kann dabei nur von Vorteil sein.

Gelsenkirchen

, 28.12.2020, 13:05 Uhr / Lesedauer: 4 min

Erst Huub Stevens, nun Christian Gross. 67 Jahre Jahre der eine, 66 Jahre der andere. Die beiden Fußball-Lehrer, die sich vom aktiven Trainer-Dasein bereits verabschiedet hatten, saßen am Sonntagnachmittag nebeneinander auf dem Podium des Schalker Medienraumes, in dem wieder einmal ein neuer S04-Trainer vorgestellt wurde. Stevens, kurz vor Weihnachten als Zwei-Spiele-Coach eingesprungen, als Vertreter des Aufsichtsrates, Gross quasi als sein Nachfolger auf der Trainerbank.

Wäre es nicht das reale Schalker Leben, wäre diese vor Erfahrung nur so strotzende Besetzung glatt für eine TV-Serie wie „Die Rentner-Cops“ geeignet. In der werden zwei Polizei-Ruheständler aus Personalmangel zurück in den Dienst geholt, in dem sie sich nicht nur mit allerlei Verbrechen und jungen Kollegen, sondern auch mit neumodischem Kram wie dem Internet herum ärgern müssen.

Comeback der Pensionäre

So sehr das ermittelnde Duo auch aus der Zeit gefallen zu sein scheint, es hat einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Die sympathischen Rentner-Cops lösen im Fernsehen jeden Fall. Auf Schalke übertragen wünscht sich das wahrscheinlich niemand so sehr wie Jochen Schneider. Denn er hat das Comeback der Pensionäre organisiert. Christian Gross ist nun so etwas wie die letzte Patrone für den Sportvorstand - nicht nur für ihn, sondern auch für Schalke. Man muss das so deutlich sagen: Kriegt Gross mit dem Schlusslicht nicht ganz schnell die Kurve, wird Schalke absteigen.

Und dann wird wahrscheinlich außer den Spielern nicht Gross (Stevens schon mal gar nicht), sondern Schneider dafür verantwortlich gemacht, und das auch zurecht. Denn Schalkes Sportvorstand hat mittlerweile so viele auch gravierende Fehlentscheidungen getroffen, die für eigene Schalker Krisen ausreichen - ohne dass man sich bei den Schuldzuweisungen ständig, was eine zu bequeme Lösung wäre, auf den in Ungnade gefallenen Christian Heidel, dem Vorgänger Schneiders, konzentrieren sollte.

Schneider in der Verantwortung

Schneider hat zugelassen, dass Schalke eine komplett unausgewogene Mannschaft hat, er hat zu lange an Trainer David Wagner festgehalten, die Idee mit Manuel Baum ging komplett schief, sie hat Schalke sogar unnötig Zeit (und Geld) gekostet. Darüber hinaus, vielleicht nicht zu unterschätzen für die Öffentlichkeitswirkung, ist Schneider bei beinahe jedem Fernseh- oder Pressekonferenzauftritt anzumerken, dass er sich in dieser Rolle sichtlich unwohl fühlt. Aber auch das „Verkaufen“ von Entscheidungen in der Öffentlichkeit gehört nun einmal zu seinem Job - zumal er ja auch das Amt des Kommunikationsvorstandes bekleidet.

Eine goldrichtige gravierende Entscheidung hat Schneider in seiner Amtszeit - seit März 2019 - allerdings getroffen. Die Trennung von Domenico Tedesco war zwar schwierig, weil fast ganz Schalke in diesen jungen Trainer „verliebt“ war. Aber die Königsblauen trudelten im freien Fall Richtung Tabellenkeller, und Schneider handelte konsequent. Die Beurlaubung von Tedesco war quasi seine erste Amtshandlung auf Schalke. Die zweite: Anruf beim „Rentner-Cop“. Huub Stevens übernahm. Und rettete Schalke.

Fantasielos? Eher pragmatisch

Schneider hatte sich daran erinnert, dass Stevens ein ähnliches Kunststück mit dem VfB Stuttgart (dort sogar zweimal) geglückt war. Dass Schneider nun mit Christian Gross nach genau diesem Muster verfahrt, mag man für fantasielos halten. Letztlich hat Schneider aber gar keine andere Wahl, als zu dem Strohhalm zu greifen, den er für den verlässlichsten und stabilsten hält. Für ein weiteres Experiment a la Baum ist keine Zeit mehr, wenn sie nicht ohnehin vielleicht schon längst abgelaufen ist.

Christian Gross ist alles andere als ein „Experiment“. Natürlich ließen sich ganz schnell jede Menge Vorbehalte aufzählen, mit denen jeder Kritiker jetzt schon belegen kann, warum es mit Gross nicht klappen kann. Zu alt, zu lange weg aus Fußball-Europa, noch länger weg aus Fußball-Deutschland, und Schalker Stallgeruch hat er höchstens Anfang der 80-er Jahre geschnuppert, als er ein paar Kilometer weiter beim VfL Bochum spielte.

Aufgabe: Schalke retten

Aber was heißt das alles für die kommenden fünf Monate? Im Prinzip nichts. Denn Gross, und daran lässt ja auch seine Vertragsgestaltung keinerlei Zweifel, hat auf Schalke eine einzige Aufgabe, bei der die Vokabel „Mission“ nicht übertrieben ist: Er muss eine Mannschaft, die schon nach 13 Spieltagen abgeschlagenes Schlusslicht, seit 29 Bundesliga-Spielen sieglos und nicht mal in den letzen Spielen gegen Mitkonkurrenten auch nur ansatzweise positiv aufgefallen ist, zum Klassenerhalt führen. Gross muss auf Schalke nichts entwickeln. Er soll retten, was vielleicht schon nicht mehr zu retten ist. Der „Rentner-Cop“ als Feuerwehrmann.

Für diese „sehr spezielle Aufgabe“, wie Gross sie beschreibt, kann es keine wichtigere Voraussetzung geben als Erfahrung. Und zwar nicht nur die fußballspezifische Erfahrung, sondern auch das Wissen um den Umgang mit einer Mannschaft, der das Selbstvertrauen irgendwann im Frühjahr des vergangenen Jahres abhanden gekommen ist. Gross scheint der Trainer-Typ zu sein, der dieses Selbstvertrauen mit einer väterlichen Strenge und mit dem Appell an Ehrgeiz und völliger Konzenteration auf die Aufgabe zurückholen will - und nicht mit langen fußball-wissenschaftlichen Referaten.

Start in Berlin ganz wichtig

Die Trainer-Vita von Christian Gross und sein daraus resultierender Erfahrungsschatz ist so umfassend, dass ihm die Rettung von Schalke durchaus noch zuzutrauen ist. Zwar gelten die Königsblauen für viele Experten schon als hoffnungsloser Fall, aber ein erfolgreicher Start in Berlin könnte möglicherweise einen Wende-Punkt markieren, der den Sechs-Punkte-Abstand Stück für Stück zum Schmelzen bringt.

Letztlich entscheidend ist und bleibt ohnehin die Mannschaft. Sie muss und wird wohl auch verstärkt werden, und die Spieler müssen wissen, dass sie am Ende die Gesichter des Abstiegs wären. Und Sportvorstand Jochen Schneider. Gross ist seine letzte Patrone. Kriegt auch der vierte Schalker Trainer dieser Saison nicht die Kurve (dabei ist die Hinrunde nicht mal zu Ende...), schafft es wohl keiner mehr.

Ein spannender Trainer

Schalke sei eine spannende Aufgabe, ein spannender Verein, sagt Gross. Aber Gross ist auch ein spannender Trainer. Sein gemütlich klingender Schweizer Akzent kann nicht verbergen, dass dahinter auch eine gesunde Härte stecken kann. Wie eiskalt und ganz kurz ausformuliert Gross am Sonntag eine mögliche Begnadigung von Nabil Bentaleb ausschloss, sorgte wahrscheinlich sogar beim ebenfalls mit allen Wassern gewaschenen Huub Stevens für eine Sekunde der Schockstarre.

Erst Stevens, jetzt Gross: Auf den Schultern der „Rentner-Cops“ ruhen die Schalker Hoffnungen. Und im Gegensatz zu den TV-Ermittlern wissen die Schalker Trainer-Routiniers auch mit dem Laptop umzugehen. Gross hat dabei sogar noch einen Vorteil: Es kann für Schalke in der Bundesliga nicht mehr schlechter werden als bisher.