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Schalke-Kultcoach Elgert: „Viele Spieler sind extrem empfindlich geworden“
Schalke 04
Norbert Elgert prägt die Schalker Knappenschmiede wie kein Zweiter. Heute wird der Kult-Trainer der Königsblauen „65“ - und verrät, warum er dankbar ist, dieses Alter überhaupt erreicht zu haben.
Norbert Elgert ist auf Schalke eine Institution. Seit der gebürtige Gelsenkirchener am 1. Juli 1996 das Traineramt bei der A-Jugend übernommen hat, wurde die sogenannte Knappenschmiede zu einem Markenzeichen in ganz Fußball-Deutschland. Seit seinem Amtsantritt gewann die A-Jugend unter Elgerts Leitung fünf große Titel. Los ging es mit den Pokalsiegen 2002 und 2005. Es folgten drei deutsche Deutsche Meisterschaften 2006, 2012 und 2015. Heute wird Elgert 65 Jahre alt. Im Interview mit dieser Zeitung gewährt der Kult-Trainer einen persönlichen Einblick in sein bewegtes Leben.
Macht Ihnen die Zahl „65“ Angst?
Nein. Vor dem Hintergrund von sehr schweren Krankheiten und Operationen, die ich schon als Kleinkind und Jugendlicher hatte, bin ich extrem dankbar, dass ich dieses Alter erreicht habe.
Merken Sie, dass Sie nicht mehr zu den Jüngsten gehören?
Nach meiner Fußball-Karriere habe ich noch einige Jahre im eigenen Fitnessstudio sehr intensiv Squash gespielt und unterrichtet. Das ging natürlich zusätzlich auf die Gelenke. Als ich dann wieder zum Fußball zurückkehrte, kamen schnell die Anfragen, zum Beispiel in der Schalker Traditionself mitzuspielen. Das hat mich gereizt, aber ich habe zum Glück auf meine Frau Conny gehört, die mir abgeraten hat. Ich ziehe seit vielen Jahren vier Mal pro Woche mein Fitness- und Lauftraining durch. Das hat sich bewährt. Mit jetzt 65 Jahren bin ich noch ganz gut in Schuss. Kurz gesagt: Morgens komme ich noch ohne Schmerzen aus dem Bett. (lächelnd)
Wie sieht Ihr heutiger Tag aus?
Morgens frühstücken und Geburtstag mit meiner Familie, dann geht es an den Schreibtisch und am frühen Nachmittag mache ich mich dann auf den Weg zum Training nach Gelsenkirchen.

Norbert Elgert an der Seitenlinie: „Viele Spieler sind nicht mehr so kritikfähig.“ © RHR-FOTO
Es gibt viele Menschen, die wollen an ihrem Geburtstag ihre Ruhe haben, Sie auch?
Ich freue mich über jeden Anruf oder SMS, die heute kommt. Allerdings ist der Kreis der Gratulanten mit den Jahren so groß geworden, dass ich erstmals ernsthaft überlege, ob ich das zeitmäßig alles schaffe zu beantworten. Ich warte mal ab.
Blicken Sie heute mehr vor oder eher zurück?
Das Lebenstempo hat ungeheuer zugenommen. Ich werde sicherlich auf die positiven Dinge zurückschauen, aber vor allen Dingen den Blick nach vorne richten, auf das was noch kommt. Da ist zum Beispiel an erster Stelle meine Familie, ich bin jetzt zum dritten Mal Großvater geworden. Aber auch in der Knappenschmiede dürfen und werden wir uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen.
Können Sie gut abschalten?
Eher nicht. Es ist zwar nach wie vor ein Privileg für mich, hier auf Schalke arbeiten zu dürfen, aber es ist schon so, dass ich täglich zu einem großen Teil mit Fußball beschäftigt bin. Du lebst von Saison zu Saison, von Spiel zu Spiel, von Training zu Training. Es ist schon sehr intensiv. Die Position des Chef-Jugendtrainers bei einem Verein wie dem FC Schalke 04 ist alles andere als eine Komfortzone und immer wieder eine große Herausforderung. Aber das ist auch gut so.

Norbert Elgert bei der Präsentation seines Buches: „Mit 80 werde ich nicht mehr die Schalker U19 trainieren...“ © RHR-FOTO
Wie lautete Ihr Auftrag, als Sie 1996 Ihre Arbeit aufgenommen haben?
Damals und heute war und ist es die Hauptaufgabe der gesamten Knappenschmiede, so viele Spieler wie möglich sinnvoll an den Profikader heranzuführen.
Welchen Erfolg bewerten Sie sportlich am höchsten?
Sicherlich die weit über 100 Jungs aus der Knappenschmiede, die den Sprung in den Profifußball geschafft haben. Aber auch alle Titelgewinne waren besonders, und wenn Sie es genau wissen wollen, dann ragen für mich die drei deutschen Meistertitel heraus, zweimal im Finale gegen die Bayern und einmal gegen Hoffenheim mit Trainer Julian Nagelsmann.
Und Ihre bitterste Niederlage?
Das verlorene DM-Finale gegen Hertha BSC. Das tat richtig weh, wie meine Jungs nach dem Schlusspfiff weinend am Boden lagen.
Was hat sich in Ihrer Arbeit am gravierendsten verändert?
Der Fußball verändert und entwickelt sich permanent. Diese Entwicklung muss man als Trainer mitgehen, sonst hast Du keine Chance zu überleben. Alles geht immer schneller. Das bedeutet auch für meine Spieler, dass sie sich ständig neuen Herausforderungen stellen müssen. Denken Sie nur an die digitale Welt. Aufgrund dieser gesellschaftlichen Dynamik ist es für meine Jungs immer schwieriger, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie müssen lernen, intelligent mit den neuen Medien umzugehen. Wer im Internet versinkt oder nur vor der Playstation sitzt, wird dadurch kein besserer Fußballer.
Müssen junge Spieler heutzutage anders geführt werden als vor 25 Jahren?
Der Mensch steht immer im Vordergrund, aber die Kommunikation ist noch wichtiger geworden. Viele Spieler sind nicht mehr so kritikfähig und extrem empfindlich geworden, wenn es nicht so läuft, wie sie sich es vorstellen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Spieler, die in der B- und C-Jugend immer gespielt haben, sitzen in der U19 auch mal auf der Ersatzbank. Da bricht heutzutage für viele eine Welt zusammen und sie knicken weg. Aber du brauchst eben auch ein Talent dafür Hindernisse, Schwierigkeiten und Widerstände zu überwinden.
Wie schafft man es mit 65 Jahren, einen guten Zugang zu A-Jugendlichen zu bekommen?
Werden Sie erst mal 65. (lachend) Im Ernst: Deine Spieler müssen dir vertrauen und du musst sie mögen und verstehen. Ich halte überhaupt nichts davon zu sagen, früher war alles besser. Heute gibt es andere Probleme und Herausforderungen für die junge Generation. Jeder Spieler von mir soll das Gefühl haben, dass ich ihn wertschätze und ihm helfen will, eine gute Entwicklung im Fußball und auch als Mensch zu nehmen.
Wie sehr leidet der Nachwuchsfußball unter Corona?
Es ist eine schwierige Situation, aber wir sollten uns alle bemühen, in Lösungen zu denken. Der erste Lockdown war sehr schlimm, weil der Trainingsbetrieb über Monate ruhte. Du kannst - und das haben wir natürlich auch gemacht - individuell trainieren, aber es fehlt der Spielbezug. In dieser Saison ist es so, dass wir nur eine einfache Runde spielen, und dadurch zu wenig Wettkämpfe haben. Selbst für einen alten Hasen wie mich war Corona etwas völlig Neues, was auch massiv in die Trainingssteuerung eingegriffen hat. Die Folge waren zum Beispiel ungewöhnlich viele verletzte Spieler.
Wie sieht Ihre weitere Lebensplanung aus?
Wenn ich spüren würde, dass ich nicht mehr mit 100 Prozent bei der Sache bin, hätte ich es dem Verein schon längst gesagt und etwas anderes gemacht. Doch soweit ist es noch lange nicht. Das Motivationsfeuer lodert noch, ich habe hier vielleicht fünf Trainingseinheiten in über 25 Jahren verpasst. Aber ich kann Sie beruhigen: Mit 80 Jahren werde ich nicht mehr die Schalker U19 trainieren. (grinsend)
Und wie sieht es mit einem neuen Buchprojekt aus?
Meine Autobiografie „Gib alles, nur nie auf“ ist jetzt ganz frisch als Hörbuch erschienen. Ein neues Buch schließe ich nicht aus, aber das werde ich erst nach meiner Trainerkarriere in Angriff nehmen. Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, werde ich weiter im Profi-Fußball als Coach und Mentor arbeiten - aber auch Vorträge in der freien Wirtschaft über Teamführung und Motivation halten.
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