Sieben Jahre lang, von 2010 bis 2017, hat Klaas-Jan Huntelaar auf Schalke gespielt, er weiß also, wovon er redet. „Ohne Clemens Tönnies“, so der Niederländer, „würde es den Verein Schalke 04 wahrscheinlich nicht mehr geben.“
Obwohl es auf Schalke ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass einzelne Personen niemals größer als der Klub selbst sind, würde Tönnies seinem gesunden Selbstvertrauen entsprechend wahrscheinlich nicht widersprechen. In der Tat hat er dem finanziell oft klammen Verein mehrmals mit Darlehen geholfen, über die Runden zu kommen.
Kritiker vermissen Strategie
Kritiker werfen dem Fleisch-Fabrikanten aus Rheda-Wiedenbrück allerdings vor, die Entwicklung der Königsblauen durch eine eher strategielose Vereinspolitik vor allem in den letzten Jahren zu blockieren und dass es daher nun auch mal Zeit für eine Veränderung sei.
Am 30. Juni stellt sich Clemens Tönnies bei der Schalker Mitgliederversammlung turnusmäßig mit drei anderen Kandidaten zur Wahl, und alles andere als seine Wiederwahl in den Aufsichtsrat wäre eine Sensation. Seit 1994 gehört der 63-Jährige dem Kontrollgremium an, dem er seit 2001 ohne Unterbrechung vorsitzt. Die formal richtige, aber umständliche Bezeichnung „Schalkes Aufsichtsrats-Vorsitzender“ wird meist umschifft – Tönnies ist kurz und knapp der „Schalke-Boss“. Seit 18 Jahren. Ende offen.
Jeden Sturm überstanden
Damit ist neben Finanzvorstand Peter Peters ausgerechnet Tönnies die konstante Größe in einem chronisch schnell pulsierenden Verein, in dem Manager, Sportdirektoren und vor allem Trainer rasant austauschbar erscheinen. Tönnies hat dagegen jeden Sturm überstanden – selbst bei Anzeichen einer „Revolte“ gab es in den Versammlungen selbst hin und wieder zwar einen Denkzettel für Tönnies, aber immer noch überwältigende Wahlergebnisse.
Während sich andere Kandidaten über ihre finanzielle und wirtschaftliche Kompetenz definieren, verspricht Tönnies, dass er sich persönlich darum kümmern werde, dass die Würstchenbude am Trainingsplatz nicht dem Umbau des Vereinsgeländes zum Opfer fällt. „Schon von Berufs wegen“, landet er einen Volltreffer an der Basis, „bin ich ja daran interessiert...“
Beim Derby in der Fan-Kurve
Schließlich ist Tönnies ein Boss aus Fleisch und Blut, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Fleisch-Fabrikant, vom Boulevard bodenständig zum „Kotelett-Kaiser“ ernannt, schafft seit Jahren den schwierigen Spagat zwischen knallhartem Business und Fan-Nähe. Spielt Schalke in Dortmund, steht Tönnies in der Kurve. Das ist natürlich auch eine Inszenierung, aber Tönnies wirkt dabei trotzdem irgendwie authentisch. Er sieht sich nicht als obersten Kontrolleur, sondern als obersten Fan des FC Schalke 04.
Wenn er als Talk-Gast im „Doppelpass“ bei Sport1 ein wenig hölzern das Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ anstimmt, finden die einen das rührend, die anderen peinlich. Ihm selbst ist das wurscht. Sowieso: Wer Tönnies auf solche Auftritte reduziert, unterschätzt ihn möglicherweise. Was ein großer Fehler wäre.
6,65 Milliarden Euro Umsatz
Denn nur als folkloristisch anmutender Sänger der Vereinshymne bleibt niemand so lange an der Schalker Spitze. Clemens Tönnies ist ein international agierender Unternehmer und Machtmensch, durch und durch. Mit seinen Fleischwerken und ihren insgesamt 16.500 Mitarbeitern erzielte er 2018 in einer Branche, in der nicht mit dem feinen Florett gefochten werden kann, einen Umsatz in Höhe von 6,65 Milliarden Euro – das sind 2,5 Milliarden Euro mehr als die 36 Vereine der Ersten und Zweiten Fußball-Bundesliga im gleichen Zeitraum zusammen umsetzten.
Seine Kontrollfunktion auf Schalke – 350,4 Millionen Euro Umsatz in 2018 – ist finanziell gesehen für ihn also eher überschaubar. Was ihn mindestens genauso fordert und umtreibt, sind seine Emotionen.
Versprechen am Sterbebett
In den Schalker Aufsichtsrat kam Clemens Tönnies 1994, weil er seinem Bruder Bernd an dessen Sterbebett versprochen haben soll, auf das Geld, das Ex-Präsident Bernd Tönnies in den Verein gesteckt hatte, aufzupassen – damals galt Schalke nicht gerade als die solideste Plattform für ein Finanz-Invest.
Aus dem „Aufpasser“ wurde der beherrschende Mann im Aufsichtsrat. Schon bald führte an Clemens Tönnies kein Weg im Schalker Kontroll-Gremium mehr vorbei. An ihm bissen sich so manche Größen des Fußballs die Zähne aus – während die Basis den humorlosen Rauswurf von Felix Magath im Jahr 2011 befürwortete, hängt Tönnies die eiskalte Trennung von Rudi Assauer im Mai 2006 noch heute nach – nach Meinung vieler Beobachter hätte dieses aus Vereinssicht wahrscheinlich sogar notwendige Prozedere trotz aller Schwierigkeiten herzlicher gelöst werden müssen.
Volksnah oder nur kühl kalkulierend?
Der Umgang mit Assauer verfestigte den Ruf von Tönnies, bei aller zelebrierten Fan-Nähe am Ende doch ausschließlich kühl zu kalkulieren und zu handeln. Was zum einen ja eine subjektive Betrachtungsweise, zum anderen in der Profi-Branche ja auch noch nichts Verwerfliches sein muss – schließlich spricht für Tönnies, dass Schalke unter seiner Aufsicht ständig gewachsen und regelmäßiger, wenn auch mit Unterbrechungen, Teilnehmer am Europapokal ist.
Der Anspruch 2001 war indes noch ein anderer – Schalke wollte nachhaltig auf Augenhöhe mit den Bayern bleiben, mindestens die nationale Nummer zwei werden. Dieses Ziel wurde verfehlt. Und das habe, so die Tönnies-Zweifler, der Aufsichtsrats-Chef durch eine unstete Personalpolitik in der Führungsetage selbst zu verantworten.
Der „e.V.“ als großer Trumpf
Doch das wird eine Wiederwahl von Tönnies nicht gefährden, solange er seinen größten Trumpf nicht aus der Hand gibt. Wie eine Monstranz trägt Schalke unter Tönnies vor sich her, dass ein externer Investor auf keinen Fall mit ins blau-weiße Boot geholt werden soll. Der Glaube an den „eingetragenen Verein“ ist der Klebstoff, der die Bosse und die Basis (noch) zusammenhält.
Da ist auch der Unternehmer Tönnies ganz romantischer Fußball-Fan. Der sich den modernen Zwängen trotzdem manchmal unterwerfen muss. Als Tönnies vor zwei Jahren feststellte, dass die Mitglieder des Kumpel- und Malocher-Klubs dem Vortrag von Marketing-Vorstand Alexander Jobst über das Schalker „E-sports“-Engagement nur halbherzig Beifall spendeten, schnappte sich Tönnies kurzerhand das Mikrofon: „Freunde, ich bin ja der gleichen Meinung wie ihr. Aber seitdem der Alex mir gesagt hat, wieviel Geld man damit verdienen kann, denk‘ ich da ganz anders drüber...“
Seit diesem Redebeitrag ist „E-sports“ aus der Schalker Vereinsgeschichte gar nicht mehr wegzudenken. Der Boss hatte gesprochen.