Schlägt Inflation Tierwohl? Eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Sich als Landwirt für Tierwohl einzusetzen, ist richtig, sagt der Erler Landwirt Tobias Honvehlmann (27). Einfach ist das für die Landwirtschaft aber nicht immer.
Der 27-Jährige betreibt zusammen mit seinem Vater den Hof Honvehlmann in Erle. Auf dem Milchviehbetrieb leben 130 Milchkühe. Rund 80 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche werden bewirtschaftet. Und es gibt eine Besonderheit: „Wir liefern seit knapp zwei Jahren Milch mit dem Tierschutzlabel Premiumstufe an unsere Molkerei. Das entspricht der Haltungsform 4.“
Das Tierschutzlabel gibt es für die Milchviehhaltung erst seit wenigen Jahren. Erstellt hat es der Deutsche Tierschutzverband. Es kennzeichnet Produkte tierischen Ursprungs und legt Standards fest, die über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen. Zu diesen Standards gehören beispielsweise auf dem Hof Honvehlmann ein Außenlaufhof, ein Außenklimastall, ein überdurchschnittliches Platzangebot sowie Strukturelemente wie Kuhbürsten.
Für die Erler Landwirte bedeutet das dreierlei:
1. Weil der Hof Honvehlmann nach den Kriterien des Tierschutzlabels Milch erzeugt, zahlt die Molkerei „Moers Frischeprodukte“ vier Cent mehr für die Milch.
2. Die Kosten für die Tierhaltung sind höher, weil der Hof den Standards gerecht ausgebaut werden musste und sie jetzt einhalten muss.
3. Einen Vertrag über die vier Cent extra hat die Molkerei mit dem Hof nicht abgeschlossen.
„Keine Planungssicherheit“
Das bedeutet für die Landwirte: Sich für Tierschutz einzusetzen, bringt zwar mehr Geld. Die Ausgaben steigen aber dennoch. Und: Kaufen die Verbraucher die teurere Milch mit dem Tierschutzlabel nicht mehr, verkauft die Molkerei es auch nicht mehr darunter. Das Extra-Geld dafür fällt dann weg.
„Bei geringerer Kaufkraft sinkt leider die Bereitschaft der Verbraucher, für Tierwohl zu zahlen“, sagt Tobias Honvehlmann. Die Molkerei macht deshalb keinen Vertrag, um schneller reagieren zu können, wenn die Milch mit dem Tierschutzlabel von den Kunden nicht mehr gekauft wird. „Für uns ist das sehr ernüchternd. Wir haben keine Planungssicherheit“, sagt der Erler Landwirt.

Aktuell rentiere sich das Geschäft. Gerade für die Milchbauern wichtig, gab es doch noch vor ein paar Jahren Zeiten, als „der Milchpreis günstiger als Mineralwasser war“, sagt Honvehlmann. Mittlerweile liegt der Milchpreis bei zirka 60 Cent pro Liter. „Damit können wir aktuell gut wirtschaften.“
Vor allem in der Corona-Pandemie ist vielen Menschen der Begriff „Tierwohl“ bewusster geworden „Die Nachfrage danach war extrem groß“, erklärt der 27-Jährige. Er erklärt sich das so: Weil die Restaurants geschlossen waren, haben die Menschen mehr selber eingekauft und gekocht. Ihnen ist dadurch bewusster geworden, woher die Produkte stammen.
Durch die stark gestiegene Inflation – besonders im Bereich der Lebensmittel – hat sich aber das Einkaufsverhalten vieler Menschen wieder geändert. Der Deutsche Bauernverband berichtet in einem aktuellen Marktbericht: „Der deutsche Öko-Markt schrumpfte 2022 zum ersten Mal in seiner Geschichte.“
Futterpreise verdoppelt
„Bio-Fachgeschäfte und Hofläden stecken zum Teil in einer existenziellen Krise“, sagte der Handelsexperte Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn. Denn auch umweltbewusste Verbraucher hätten ihr Einkaufsverhalten wegen der hohen Inflation deutlich verändert. „Die Leute wollen weiterhin nachhaltig einkaufen und konsumieren, aber billiger - wegen der gesunkenen Kaufkraft“, betonte Rüschen.
Neben dem veränderten Einkaufsverhalten der Menschen ist durch die Inflation auch die Tierhaltung teurer geworden. „Die Weizenpreise waren zu Spitzenzeiten 2022 verdoppelt“, sagt Honvehlmann. Statt 200 Euro pro Futtertonne habe der Hof dann fast 400 Euro gezahlt. „Aktuell liegen wir bei ungefähr 300 Euro.“
Auch die gestiegenen Dieselpreise und Energiekosten machen dem Hof zu schaffen. „Auch wenn wir als Milchviehbetrieb immerhin nicht den hohen Energiebedarf wie Schweine- und Geflügelbetriebe haben.“

Die Inflation ist ein Problem. Ein weiteres: Klimaschutz. „Aus unserer Sicht ist der Weg zu mehr Tierschutz der richtige Weg“, sagt der Erler Tobias Honvehlmann. „Klimaschutz und Tierwohl sind in vielen Punkten aber Zielkonflikte.“
Als ein Beispiel nennt er die Weidehaltung auf dem Hof Honvehlmann. Für die Kühe ist sie besser und gesünder. Üblicherweise erfolgt die Ausbringung von beispielsweise Gülle mit modernster Technik bei günstigen Witterungsverhältnissen, sodass der Dünger möglichst ohne Verluste der Pflanze zur Verfügung steht. Die Ausscheidungen der Kuh fallen allerdings willkürlich, punktuell und auch bei Sonne. Dadurch sind die Ammoniak-Emissionen höher und die Dünge-Effizienz geringer. Was wiederum auf den Klimawandel negative Auswirkungen hat.
Mehr Unterstützung gewünscht
Ein anderes Beispiel: Für das Tierschutzlabel und das Tierwohl leben die Kühe auf dem Hof Honvehlmann in einem Außenklimastall. Das ist ein Stall, der offene Wände hat, damit es drinnen gleich warm wie draußen ist. „Für das Tierwohl der Kühe ist es perfekt. Die Emissionen gelangen so aber direkt nach draußen.“
Honvehlmann wünscht sich deshalb mehr Unterstützung von der Politik. Damit Tierwohl und Klimaschutz trotz Inflation näher zusammengebracht werden können. „Wir haben das Gefühl, die Politik weiß manchmal gar nicht, was sie machen will.“
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