Tüten voller Taschentücher, ein gutbürgerliches Gasthaus und eine Horde Männer. „Was ist denn hier los?“ Christian Lipfert staunte nicht schlecht: „Erle ist voller Männer.“ Mit Mobiltelefonen in den Händen standen sie in Scharen suchend in Raesfeld. Genauer gesagt im beschaulichen Stadtteil Erle vor dem urigen Gasthaus Brömmel-Wilms. Was war da los?
Hotelbesitzer Christian Lipfert kümmert sich um seine Gäste. Es ist viel los am Montagabend. Plötzlich steht eine Frau vor ihm. Sie hätte für drei Tage ein Zimmer gebucht. „Das war schon ungewöhnlich“, erklärt Lipfert. Eine Stunde vor ihrem Eintreffen hat die Frau das Zimmer über ein Buchungsportal reserviert. Lipfert sagt, es gebe Gäste, die spontan buchen, aber die würden sich eher telefonisch melden. Bauarbeiter zum Beispiel, die länger arbeiten müssen, erzählt der Hotelbesitzer.
„Vielleicht eine Touristin?“
Deutsch spricht die unbekannte Frau nicht – nur Chinesisch. Die Kommunikation läuft über eine Übersetzungsapp. „Vielleicht arbeitet sie im China-Restaurant in Schermbeck oder ist eine Touristin?“, denkt Lipfert. Zum Einchecken fragt er sie nach dem Ausweis. Den hat sie gerade nicht zur Hand. Kein Problem. Sie solle erstmal in Ruhe ankommen und ihn später herunterbringen.
Den Ausweis bringt sie nicht, dafür steht sie kurze Zeit später in „rosa Hauspuschen mit Ohren und legerer Kleidung“ an der Theke in der Gaststätte. Und erstaunt damit Lipfert und die Gäste.
Der erste Mann
Dann kommt der erste Mann. Er wolle seine Freundin besuchen. Für die Mitarbeiter des Gasthauses kein Problem. „Ist ja ganz normal.“ Am nächsten Morgen halb neun - Lipfert kommt gerade zur Arbeit - steht der nächste Mann mit Handy vor der Tür. Wahrscheinlich ein Kollege, der sie abholen möchte, denkt sich der Hotelbesitzer.
Doch es sollte nicht der letzte Mann bleiben, der plötzlich bei Brömmel-Wilms auftaucht. Mit zwei prallgefüllten Mülltüten voller Taschentücher steht die Frau irgendwann vor Lipfert. Für eine Übernachtung schon ziemlich viel, denkt sich Lipfert. „Vielleicht ein kultureller Unterschied?“ Taschentücher anstatt Klopapier und wegwerfen statt abziehen? Diese Erklärung macht für den Hotelbesitzer erstmal Sinn.

„Ich hab mich im Hotel vertan“
Gegen Mittag flitzt der nächste fremde Mann durch die Gaststätte. „Ich denke, den hast du hier nicht eingecheckt.“ Lipfert geht hinterher. Der Mann steht schon vor dem Hotelzimmer der Frau. „Kann ich ihnen irgendwie helfen?“ Völlig erschrocken stammelt der „Gast“ vor sich hin. „Äh, ich hab mich im Hotel vertan.“ Und schon rennt er raus. Wieder eilt Lipfert hinterher. „Ich gucke nach links, ich gucke nach rechts, was ist denn hier los?“ Männer mit Mobiltelefonen in den Händen stehen vor dem Gasthaus. „Die standen bis über die Ampel auf der anderen Straßenseite.“
Dann klickt es beim Hotelbesitzer. Die Taschentücher, die Männer – Prostitution. „Super, die übt hier ihren Job aus.“ Lipfert lacht. Der nächste Mann betritt das Gasthaus. Jetzt reicht es dem Hotelbesitzer, er will wissen, was los ist.
Bei einer Tasse Kaffee erzählt der potenzielle Freier von einer Anzeige auf einem Erotikportal. „Asia Tanya, 21 Jahre alt“ steht dort geschrieben. Mit der Realität hat das eher wenig zu tun. Die Frau ist um die 50, 60 Jahre alt und hat Falten im Gesicht.
Lipfert ruft die Polizei. Auch das Ordnungsamt ermittelt. Die Sexarbeiterin hat keinen Pass vorzuweisen, in Handschellen wird sie abgeführt. Gegenüber der Polizei gibt sie an, von einem Bus vor der Gaststätte abgesetzt worden zu sein.
Das erwirtschaftete Geld kann vor Ort nicht sichergestellt werden. Dem Hotelbesitzer erzählt die Frau, dass sie unter einer Herzkrankheit leide. „Die Freier, die durften gehen“, sagt Lipfert. „Am Ende ist das Opfer die Frau.“