
© Berthold Fehmer
Absturz in Dorsten: Drei Wunder retten William Corson das Leben (mit Video)
Zweiter Weltkrieg
Nicht ein, sondern drei Wunder sind nötig, damit William Corson am 22. Juni 1943 den Absturz aus einem Bomber auf dem Deutener Tüshaus Hof überlebt. Sein Sohn Dan Corson kam nun zu Besuch.
Sein Vater habe mit der Familie nie über den Krieg gesprochen, sagt Dan Corson aus Colorado (USA). Mit seiner Familie ist er angereist, Frau Sharyn und Tochter Laura-Claire. Der 71-Jährige will die Stelle sehen, wo sein Vater 1943 dem Tod mehrfach ins Auge blickte.
Die dramatischen Szenen dieses Tages hat der Raesfelder Richard Sühling, lange Jahre Vorsitzender des Raesfelder Heimatvereins, nachträglich in mühsamer Puzzle-Arbeit zusammengefügt.

Dieser große Propeller im Raesfelder Heimatmuseum am Schloss stammt von dem B 17-Bomber, der in Heiden notlanden musste. © Reinhard G. Nießing
Wer das Heimatmuseum in Raesfeld besucht, stößt im Eingang auf einen großen Propeller. Der gehörte zum B 17-Bomber, in dem Dan Corsons Vater William am 22. Juni 1943 als Bordschütze mit neun weiteren Soldaten einen Angriff auf die Chemischen Werke Marl-Hüls flog.
Bomber wird im Kugelhagel schwer beschädigt
243 solcher Bomber fliegen an diesem Tag erstmals tagsüber einen Angriff auf das Ruhrgebiet. 230 werden zurückkehren, obwohl Flugabwehr und deutsche Jagdflieger das Feuer auf die Bomber eröffnen. Corsons Maschine wird dabei beschädigt. So sehr, dass Pilot Paul Kahl den Absprung mit Fallschirmen befiehlt und das Flugzeug dazu abbremst. Doch dann fällt auf, dass Harold Kline im Kugelturm unter der Maschine bewusstlos ist und nicht abspringen kann. Da Kahl den Mann nicht opfern will, plant er eine Notlandung, nimmt den Absprung-Befehl zurück und beschleunigt im Sturzflug wieder die Maschine.
Völlig überrascht werden davon William Corson und ein weiteres Mitglied der Besatzung, die die Befehlsänderung nicht mitbekommen haben. Auf dem Weg nach draußen verfängt sich Corsons Brustfallschirm in der Luke. Der Fallschirm bläht sich schlagartig auf - bei einer Geschwindigkeit, die dreimal so hoch ist wie bei einem Fallschirmsprung üblich! Neunmal so hoch sei dann der Luftwiderstand, so Sühling über die gewaltigen Kräfte, die nun an Corson zerren.
„Wie ein Rollschinken“
Die Folge: Seile und Träger des Fallschirms strangulieren den Amerikaner förmlich. „Wie ein Rollschinken zusammengeschnürt“, so Richard Sühling. Ob Corson während des Falls über Deuten noch bei Bewusstsein war, ist schwer zu sagen. Beim Fall mit nicht ganz geöffnetem Fallschirm wird er vom damals zehnjährigen Johannes Böing, Sohn des Deutener Müllers, beobachtet, der später sagt, Corson habe sich in der Luft nicht bewegt oder auf die Landung vorbereitet. „Wäre er auf dem Boden gelandet, wäre er tot gewesen“, ist Sühling überzeugt.

Margarete Tüshaus zeigt auf einem alten Luftbild den ehemaligen Maschinenschuppen, in den William Corson gestürzt ist. © Berthold Fehmer
Doch Corson bricht durch das Dach des Maschinenschuppens, der damals auf dem Tüshaus Hof in Deuten einige Meter südlich der heutigen Gebäude stand, und wie ein Puffer wirkt. Margarete Tüshaus kann Dan Corson ein Luftbild zeigen, auf dem der Schuppen noch zu sehen war. William Corson verletzt sich beim Sturz schwer. Aber er überlebt!
Zehnjähriger als erster am Unfallort
Als Johannes Böing atemlos als erster beim Schuppen eintrifft, sieht er Corson an den Seilen des Fallschirms hängen. Dass der damals Zehnjährige als erster am Unfallort ist, könnte William Corson das Leben erneut gerettet haben. Denn ein deutscher Soldat trifft wenig später ein. Johannes Böing war später überzeugt, „dass die Erregung dieses Soldaten so groß gewesen war, dass er den Eindruck hatte, wenn er als zehnjähriger Junge nicht dabei gestanden hätte, dass dann der deutsche Soldat, dessen Familie ein paar Tage vorher bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen war, den einfach umgebracht hätte“, so Sühling.

Dan Corson (l.) war dankbar für die Erklärung von Richard Sühling, der die Geschichte vom Absturz seines Vaters rekonstruierte. © Berthold Fehmer
Von zwei „Dutchmen“, die ihn gefunden hätten, habe sein Vater erzählt, sagt Dan Corson. Damit habe der Vater aber keine Niederländer gemeint, sondern plattdeutsch redende Menschen. Sühling sagt, auf dem Hof habe man eine Stalltür aus den Angeln gehoben und etwas Stroh darauf gelegt. Deutsche Soldaten brachten den Verletzten mit einem Kübelwagen zum Deutener Bahnhof, wo er auf das andere Besatzungsmitglied traf. Der Mann war ebenfalls abgesprungen, auf einem Feld gelandet und sofort festgenommen worden.
Vom Bahnhof wurden beide mit dem Zug nach Borken gebracht. Die acht anderen Besatzungsmitglieder waren nach der Notlandung auf einem Acker in Heiden ebenfalls festgenommen worden. Sie mussten zu Fuß nach Borken laufen. Aber: Alle hatten überlebt! Noch am selben Abend werden alle nach Münster transportiert und vernommen.
Blutgefäße zum Platzen gebracht
William Corsons damaligen Zustand bezeichnete Pilot Paul Kahl später als „bedauernswert“. „Am nächsten Tag war sein Körper von der Taille bis zu den Knien tiefschwarz und blau. Die einschnürenden Gurte hatten die Blutgefäße in diesen Bereichen zum Platzen gebracht. Seine Genitalien waren auf die doppelte Größe angeschwollen und ebenfalls von dunkler Farbe.“ Corson habe heftige Schmerzen gehabt, „das Laufen machte ihm einige Schwierigkeiten“.
In der Nähe von Breslau sei sein Vater in Kriegsgefangenschaft gewesen, sagt Dan Corson. Er selbst wurde erst nach der Rückkehr des Vaters geboren - im Jahr 1950. Dan Corson trägt den Namen seines Onkels, der als einer der ersten amerikanischen Piloten in die Geschichte einging, die im Zweiten Weltkrieg in Europa abgeschossen wurden. Sein Vater William Corson starb 1991.
Margarete Tüshaus, die mittlerweile den traditionsträchtigen Hof betreibt, hat über dessen Geschichte viel von ihrem Onkel Ludwig Tüshaus gelernt. „Ich habe immer mal was aufgeschnappt.“ Ihr Vater habe über den Krieg nicht geredet. Tüshaus deutet auf ein Gebäude und sagt, dass nach dem Krieg viele Flüchtlinge dort untergebracht waren. Diese Geschichte wiederholt sich gerade: „Wir beherbergen einige Flüchtlinge aus der Ukraine.“
Berthold Fehmer (Jahrgang 1974) stammt aus Kirchhellen (damals noch ohne Bottrop) und wohnt in Dorsten. Seit 2009 ist der dreifache Familienvater Redakteur in der Lokalredaktion Dorsten und dort vor allem mit Themen beschäftigt, die Schermbeck, Raesfeld und Erle bewegen.
