Karl-Heinz und Anja Jöckenhövel sind Hobbyfotografen aus Olfen
Fotografie und Heimat
Wie Olfener Fotografen ihre Heimat sehen
Der Wecker schellt bei den Jockenhövels aus Olfen schon um 5 Uhr morgens. Dabei sind Karl-Heinz und Anja schon im Ruhestand. Sie porträtieren ihre Heimat – am liebsten im Morgenlicht. Hier zeigen sie ihre Bilder.
Karl-Heinz Jockenhövel hat schwer zu tragen an seiner Leidenschaft. Eineinhalb Kilogramm wiegt allein die Linse: ein Zoom-Objektiv mit einer Brennweite von 150 bis 600 Millimeter. Und dazu noch die Spiegelreflexkamera von Nikon. Schnellschüsse mit einer Hand sind da nicht drin. Um die geht es dem 61-Jährigen auch nicht. Auf seiner Foto-Pirsch nach Olfener Heimatmotiven braucht er zwei Dinge: Zeit und Detailliebe.
Heimat als das Große Ganze
Heimat ist kein Großes-Ganzes: keine Totale mit Weitwinkel. Oder gar mit einem Rundum-Blick, wie ihn eine 360-Grad-Kamera liefern kann. Jockenhövel fokussiert seinen Blick und fängt plötzlich Motive ein, die anderen entgehen würden, die nicht so viel Zeit und Geduld haben. Und keine Partnerin an der Seite, die dafür Verständnis hätte. Jockenhövel hat sie.
Ehefrau Anja kennt die Sehnsucht nach der wärmenden Sonne, wenn die Hände seit Stunden klamm das schwarze Gehäuse umfassen. Sie weiß um das Glück, wenn sich unversehens das ersehnte Motiv zeigt. Und um die Erschütterung, wenn es nicht gelingt, dann schnell genug den Serienauslöser zu drücken. „Wir arbeiten gerne zusammen“, sagt die 55-Jährige und strahlt ihren Mann an. Das war auch schon bei dem Hobby so, das er mit ihrer Hilfe vorher ausübte – nicht in den Steverauen, wo die beiden am liebsten unterwegs sind, sondern unten im Keller an der Eversumer Straße.
Der perfekte Maßstab
Eins zu 87. „Das ist der perfekte Maßstab“, sagt Jockenhövel. Ob Mustang Cabrio oder Unimog: In diesem Maßstab komme alles optimal zu Geltung: die Individualität des jeweiligen Modells und der Charakter der Fahrzeugklasse. Modellbau: auch ein Hobby, das den Blick schärft. Aber es hatte zwei Nachteile. Erstens: der Mangel an Sonnenlicht und Bewegung. Zweitens: die fehlende Gemeinsamkeit. „Ich habe zwar immer die Tunnel gebaut“, sagt Ehefrau Anja. Aber am Ende habe ihr Mann doch mehr Zeit alleine mit den Autos verbracht als mit ihr. Das konnte so nicht bleiben.
Verliebt in die Heimat
Im Jahr 2010 kauft sich Jockenhövel der Liebe wegen eine Canon 500 D und verliebte sich – in seine Heimatstadt. „Ganz ehrlich“, gesteht er, „erst da habe ich die Naturschönheiten von Olfen richtig wahrgenommen“: beim Blick durch den Sucher.
„Mir erging es genauso“, stimmt Anja Jockenhövel zu und tätschelt den Rucksack, in dem ihre Lumix steckt: eine sogenannte Bridgekamera, die so leicht und handlich ist wie eine Kompaktkamera, aber dennoch so bedienbar wie eine Spiegelreflexkamera. Und die einen gut funktionierenden Sucher hat, anders als die Coolpix, mit der sie begann. „Da hatte ich immer über den Monitor den Bildausschnitt gewählt“, sagt sie. Das habe ihr aber nicht so gut gefallen, nicht nur wegen der Spiegelungen. Ein eng eingefasster, präzise überschaubarer Rahmen hat eben etwas für sich, wenn man seine Heimat in den Blick nimmt. Dann werden Grenzüberschreitungen besser deutlich. Und Grenzverschiebungen.
Zum Beispiel die Grenze zwischen dem Ruhrgebiet, in dem beide aufwuchsen, und Münsterland, in dem sie heimisch wurden. „Sobald ich über die Lippe fahre, spüre ich, dass sich etwas verändert“, sagt Anja Jockenhövel. Sie ist auf der anderen Seite des Flussufers groß geworden: in Datteln. Heimweh dorthin hatte sie nie. Der Unterschied sei zu spürbar: da Kreis Recklinghausen, hier Kreis Coesfeld. Da Ruhrgebiet, hier Münsterland. Da Hektik, hier Ruhe. Dort Arbeit, hier Urlaub. Urlaub? Die Frau mit der Kurzhaarfrisur lacht. „Tatsächlich ist das so für mich: Hier in Olfen zu leben, ist wie Urlaub machen.“
Diesen Blick auf die Kleinstadt zwischen Lippe, Dortmund-Ems-Kanal und Stever hatte sie bereits, als sie weder durch einen rechteckigen Monitor noch durch einen Sucher darauf blickte. Und als sie auch noch arbeitete parallel zum Erziehen der Kinder und Versorgen des Haushalts. „Wenn ich die Kirche sehe und die Häuser rund um den Marktplatz, fühle ich mich irgendwie geborgen.“
Wie alles anfing
Seit acht Jahren gehen sie und ihr Mann in diesem Urlaubsort namens Olfen regelmäßig auf Safari. Seitdem beide im Ruhestand sind sogar nahezu täglich. Dass er einmal vor der Haustür Wildtiere beobachten würde? Der gebürtige Lünener schüttelt den Kopf. „Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, dass es die alle gibt“: Kernbeißer, Dompfaff, Neuntöter, Silberreiher, Storch, Adler. Keine kunstvolle Pause, kein theatralisches Hochziehen der Augenbraue. Das mit dem Adler sagt Jockenhövel fast beiläufig. Hinter den Brillengläsern blitzen nur die Augen. Die Geschichte hat er schon oft erzählt, aber sie ist immer noch gut.Sie spielt vor zwei Jahren. „Ich habe im Magazin Naturfoto eine Reportage über die Vogelwelt in Mecklenburg-Vorpommern gelesen.“ So beeindruckend, dass er gleich beschloss: „Da müssen wir hin und so lange bleiben, bis wir einen Seeadler fotografieren können.“ Anja Jockenhövel lacht. „Eigentlich hätten wir am ersten Tag wieder heimreisen müssen“: Fotografenglück. Wenige Wochen später – nicht mehr am Stettiner Haff, sondern in der Steveraue – drückt Karl-Heinz Jockenhövel wieder den Auslöser: „Ich dachte ein stolzer Bussard.“ Erst zuhause auf dem großen Monitor erkennt er: ein Fischadler.
Liebe zur Natur
Wer die Jockenhövels bittet, eine Auswahl ihrer schönsten Olfen-Motive zusammenzustellen, lernt Eichelhäher und Buntspecht kennen, sieht den roten Sonnenaufgang in der Aue und den Schmetterling auf dem Stein, manchmal auch knorrige Bäume und riesenhaft vergrößerte Blüten. Häuser und Menschen sieht er meistens nicht.
„Wir lieben die Ruhe“, sagt Anja Jockenhövel fast entschuldigend. So sehr sie Olfen als geborgenes Zuhause für ihre Familie schätzen gelernt habe: „Die schönsten Heimatbilder schenkt Olfen mit seiner herrlichen Natur“ – insbesondere in den vor mehr als zehn Jahren renaturierten Flächen zu beiden Seiten der Stever: für die Jockenhövels ein 120 Hektar großes Paradies. Ein Abenteuerland. „Man muss nur hinausgehen und kann es selbst erleben“, sagt Karl-Heinz, der sich im Internet Carlson nennt. „Wie Carlson vom Dach“, sagt er. Ein Spitzname, der seine neue Lust, den Himmel nach Vögeln abzusuchen, aufgreift. Was er dabei alles entdeckt, ist unter www.der-carlson.de zu sehen. „Wenn man die Natur wahrhaft liebt, so findet man es überall schön.“ Dieses Zitat von Vincent van Gogh hat er der Bilderschau vorangestellt. Wo er es am schönsten findet, wird dennoch offensichtlich. Die meisten Motive stammen aus der Steveraue. Manche von ihnen druckt das Ehepaar inzwischen auf Postkarten: „Schönen Gruß aus Olfen.“
Heimat als Idylle?
Die Heimat: eine Postkartenidylle? „Nicht nur“, sagt Anja Jockenhövel. Auch wenn der Blick verengt ist auf das Schöne. „Wir sehen ja auch andere Seiten“ – manchmal ohne den Kopf drehen zu müssen. „Immer wieder gibt es wilde Müllablagerungen“, ärgert sie sich. Oder Naturfreunde, die gedankenlos ihre Zigarettenkippen in der Aue schmissen, sagt er: „Die sprechen wir dann an. Das wirkt eigentlich immer und bewirkt ein Umdenken“ – anders als bei größeren Eingriffen. Wenn etwa Freifläche zu Bauland wird, schmerzt das die Naturfreunde. Wenn alte Bäume für Straßenprojekte gefällt werden. Ihre Heimat ist im Wandel, „und das ist ja auch gut so für eine lebendige Stadt“, sagt Anja Jockenhövel. Dennoch: Manchmal würde sie den Ist-Zustand gerne bewahren – nicht nur als Bilddatei.
Um 5 Uhr schellt der Wecker: frühstücken, Fotorucksack packen und dann los zu einem der beiden Beobachtungspunkte in der Aue. So beginnt ein guter Tag bei den Jockenhövels. Ob ihnen das nicht langweilig werde? Beide schütteln amüsiert den Kopf. Revierkämpfe, Paarung, Brut, Aufzucht: Allein bei den Störchen gebe es gerade jede Menge zu beobachten – kein biederer Heimatfilm mit voraussehbarer Handlung, sondern ein spannender Abenteuerstreifen, Drama und Schnulze inklusive. Was das Objektiv heranzoomt, liegt im Auge des Betrachters.
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