So erlebte Olfen das Kriegsende vor 80 Jahren „In panischer Angst lauschten wir auf die Einschüsse“

Olfen und das Kriegsende: „In panischer Angst lauschten wir auf die Einschüsse“
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Der Einmarsch der amerikanischen Truppen nach Olfen erfolgte am Karfreitag, den 30. März 1945 aus Richtung Haltern über die Bauernschaft Kökelsum. Viele Olfener begrüßten die Amerikaner als Befreier, doch gab es auch eine Gruppe parteitreuer, verblendeter Anhänger, die Olfen weiterhin mit Waffengewalt verteidigen wollten. Die meisten Bewohner hatten bereits die weiße Fahne als Zeichen der Aufgabe gehisst. Gründonnerstag sprengte der Volkssturm noch alle Brücken über Lippe, Stever und den Kanal und errichtete Panzersperren. Ein unnötiger Schusswechsel entstand, bei dem noch einige Zivilisten ums Leben kamen. Am selben Tag wurde Amtsbürgermeister Wilhelm Plücker verhaftet.

Knapp zwei Wochen später kam Pfarrer Gerhard Harrier auf den Hof von August Kortenbusch, um ihn als Bürgermeister vorzuschlagen. Der Kommandant der amerikanischen Armee wollte Ruhe und Ordnung in Olfen schaffen und vor allem eine neue Amtsverwaltung einsetzen. In Aufzeichnungen von 1988 erinnerte sich Kortenbusch, erster Bürgermeister nach dem 2. Weltkrieg, an die Ereignisse. „Ich soll jetzt das ausbessern und reparieren, was die Nazis uns eingebrockt haben“, antwortete er daraufhin. Der andere Kandidat, den Harrier vorschlug, gefiel Kortenbusch aber überhaupt nicht, sodass er sich doch bereit erklärte, das Bürgermeisteramt zu übernehmen.

Flüchtlinge im Pfarrhaus untergebracht

Im Mai 1945 verließen die Amerikaner die Stadt und es folgten die Engländer und Belgier als neue Besatzungsmacht. „Die neuen Herren machten mir nur wenige Vorschriften“. Es gab viel zu tun. Unterstützung erhielt Kortenbusch von den Beamten Bernhard Richter, Bernhard Kleimann und Wilhelm Kablitz. Bis Oktober 1946 war Kortenbusch im Amt. Während dieser Zeit kamen 2800 Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte nach Olfen. Diese mussten untergebracht, gekleidet und mit Lebensmitteln versorgt werden. „Die neuen Bewohner stellten kaum hohe Ansprüche. Es gab jedoch manchen Ärger bei der Unterbringung mit einigen Olfener Bürgern“.

So entschied sich Kortenbusch, die Menschen dort unterzubringen, wo am meisten Platz war. Das war zunächst bei den Bauern. Gleichzeitig konnten die Flüchtlinge in der Landwirtschaft mithelfen, hatten somit Arbeit und sorgten für die eigene Ernährung. Auch auf dem Hof Kortenbusch wurden zahlreiche Flüchtlinge untergebracht.

Bei der Suche nach Wohnungen erwies sich Kortenbusch als ideenreich. Als Pfarrer Harrier einige Tage nach Stadtlohn zu seinem Bruder fuhr, quartierte Kortenbusch kurz entschlossen eine Flüchtlingsfamilie ins Pfarrhaus ein. Begeistert war Pfarrer Harrier davon jedoch nicht. Über das Problem der Unterbringung sprach Kortenbusch mit dem Landrat von Lüdinghausen. Dieser gab zu, dass er keine Gesetze habe, die weiterhelfen könnten. Kortenbusch solle sich auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen. Rückdeckung bekomme er vom Landrat bei allen Schwierigkeiten.

Eine alte Karte, auf der die Stadt Münster und das Umland zu sehen sind
Die 9. US-Armee zog durch Olfen Richtung Ahlen. © Repro Pflips

17 Millionen Menschen wurden aus den Ostgebieten nach der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 nach Westdeutschland umgesiedelt oder vertrieben. Durch eine Zentralstelle erfolgte die Zuweisung an Kreise und Städte. Die für Olfen vorgesehenen Menschen wurden mit Lastkraftwagen vom Lüdinghausener Bahnhof in den Saal Leismann gebracht. Dort wurden sie zunächst vom Roten Kreuz und der Caritas mit Essen und warmen Getränken versorgt. An die Menschen, die ohne Besitz kamen, wurden Kleidung und Gebrauchsgegenstände, falls vorhanden, verteilt. Nach der Registrierung erhielten sie Lebensmittelkarten. Dann erfolgte die Unterbringung oft in einem oder in zwei Räumen für vier bis fünf Personen, meistens ohne Wasch- und Kochgelegenheit. Es gab ein großes Problem mit den Toiletten.

In dieser Zeit stieg die Einwohnerzahl im Amtsbezirk Olfen von 4300 in 1945 auf 6200 Ende 1946. Im Wahlkampf 1947 beklagte Arthur Würtz die „menschenunwürdigen“ Unterbringungen und die Ablehnung einiger Olfener gegenüber den „Neubürgern“. „Wir wissen, dass wir hier unerwünscht und nicht gern gesehen sind, aber auch uns, Sie können es glauben, wäre es lieber, wir wären in unserer Heimat und brauchten niemandem zur Last zu fallen.“ Doch er gab zu bedenken, „dass wir den Krieg nicht allein verloren haben, und wir können nicht glauben, dass wir allein ihn mit unserem ganzen Hab und Gut bezahlen sollen. Wir erwarten einen gerechten Ausgleich der Lasten.“

Soldaten beschossen Bauernhof

Durch staatliche Hilfsprogramme und viel Fleiß wurden viele der Flüchtlinge und Vertriebenen in Olfen heimisch. Manch einer baute sich in der Stadt ein Haus. So entstand auch die Rönhagensiedlung, im Volksmund „Rucksacksiedlung“ genannt. Ein großes Problem bei der Wiederherstellung der Infrastruktur waren die Brücken über Lippe, Stever und den Kanal, die am Gründonnerstag, 29. März 1945, von der deutschen Wehrmacht zerstört wurden. Dazu kamen die Überfälle im Sommer 1945 auf die Bauernhöfe in Kökelsum und Rechede.

Ehemalige Zwangsarbeiter, die in Lagern bei Lüdinghausen und Hullern eingepfercht waren, zogen plündernd über die Lande. Bei dem Überfall auf dem Hof Kersting wurde Bauer Kersting niedergeschlagen. Kortenbusch lief sofort zu Fuß dahin. Trotz verordneter Sperrstunde durch die Amerikaner machte sich Kortenbusch auf den Weg nach Olfen, um einen Arzt zu holen. Er meldete sich bei einer amerikanischen Wache und erhielt von einem Offizier die Erlaubnis, einen Arzt aufzusuchen. Im Auto sind er und Dr. Reinhold zum Hof Kersting gefahren und haben den Verletzten medizinisch versorgt.

Kind mit Säbel
Leo Schulze Althoff mit 10 Jahren 1940 mit dem Säbel seines älteren Bruders Wilhelm. © Repro Pflips
Menschengruppe
Auf dem Hof Schulze Althoff: Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1941 vor dem Brand des linken Gebäudes. Rechts sind Joseph und Elisabeth Schulze Althoff zu sehen. © Repro Pflips

„Ich kannte nur den Krieg“, schrieb Dina Bergenthal in ihren Erinnerungen an die letzten Kriegstage. Frieden? Den kannte sie nicht. Sie war damals fünf Jahre alt und lebte auf dem Hof ihres Großvaters Joseph Schulze Althoff. Sie sah mit an, wie am 30. März 1945 der Großvater wegen einer abfälligen Äußerung über Hitler fast von einem deutschen Soldaten erschossen wurde, was doch noch verhindert werden konnte. Am Nachmittag wurde der Hof beschossen und Scheune sowie Stallgebäude standen in Flammen.

Die Familie flüchtete sich in den Keller. „In panischer Angst lauschten wir auf die Einschüsse, alles schien lichterloh zu brennen. Balken krachten zusammen, Schüsse und Einschläge pausenlos, Hitze drang bis in unseren Keller“. Am schlimmsten sei allerdings das Geschrei der Tiere gewesen, die in den Flammen umkamen. Die Hofbesitzer konnten sie nicht retten, da sie in dem Keller mit Waffengewalt festgehalten wurden.

Scheune wurde zum neuen Zuhause

Josef Pellmann und sein Vater erlebten einen Schusswechsel zwischen den Maschinengewehren des Volkssturms, der sich am Kanaldamm in Stellung brachte und den Panzergranaten der Amerikaner, die Richtung Kanalbrücke feuerten. Dann traf eine Granate ihr Wohnhaus. Bald schon stand es in Flammen. Vater und Sohn befanden sich auf der Pferdeweide an der Stever und rannten so schnell wie möglich nach Hause.

Die Familie hatte den Brand noch gar nicht bemerkt, denn sie hatte sich im Keller in Sicherheit gebracht. Die Nachbarn auch. Also waren Pellmanns auf sich allein gestellt, das Feuer zu löschen und die Wertsachen und Möbel zu retten. Später halfen die Nachbarn mit, das Vieh aus den Ställen zu treiben und die Möbel aus dem Haus zu schaffen. So konnte noch ein großer Teil des Mobiliars gerettet werden. Bis 1948 wohnte die gesamte Familie in der Scheune. Die unteren Räume wurden als Küche und Wohnzimmer genutzt, die obere Etage, früher der Kornboden, diente als Schlafzimmer. Auch der Hof Schulze Althoff wurde überfallen und ausgeplündert. Die halb verhungerten russischen Zwangsarbeiter stahlen vor allem Lebensmittel und Vieh.

Plakat
Dieses Plakat wurden von den Behörden der westfälischen Provinzialbehörde veröffentlicht. © Repro Pflips

Im Laufe des Sommers 1945 ließen die Überfälle nach. Die britische Militärregierung war erst dann in der Lage, die ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter in ihr Land zurückzubringen. Dem Hof Schulze Althoff waren in Kriegszeiten vier russische und vier polnische Zwangsarbeiter zugewiesen worden. Nachts mussten sie zurück ins Lager. Nach dem Zusammenbruch blieben sie jedoch noch einige Wochen auf dem Hof. Eine 40-jährige Olfenerin, die nicht näher genannt werden will, schreibt in ihrem Tagebuch von den Angriffen und Bränden auf die Nachbarhöfe, von der sinnlosen Sprengung der Olfener Brücken an Gründonnerstag und den Raubüberfällen in der Nacht.

Am Tag kamen Menschen aus den Städten und der Industrie „in Scharen“ aufs Land, um Essbares zu erbetteln oder gegen etwas anderes zu tauschen. Besonders schlimm sei es in dem „sibirischen Winter“ 1946/47 gewesen. Am 30. April 1945 begeht Hitler mit einer Zyankalikapsel und einem Kopfschuss Selbstmord im Bunker der Reichskanzlei in Berlin. Am 8. Mai erfolgte die Kapitulation.