Die Stever rauschte über die Weihnachtsfeiertage nur so durch die Füchtelner Mühle - in bemerkenswerter Höhe und mit bemerkenswerter Kraft. Schon am Freitag von den Feiertagen hatte der Kreis Coesfeld angesichts des Pegels die sogenannte „Informationsstufe 1“ festgestellt. Das heißt: Entlang der Flussläufe kann es zu begrenzten Überschwemmungen landwirtschaftlicher Flächen kommen. Etwas, das im unmittelbaren Umfeld der Stever an Weihnachten schon deutlich erkennbar war: Nach einigen Tagen fast ohne Regenpause stand auf vielen flussnahen Felden und Wiesen Wasser. Zuletzt führte die Stever am 13. November 2010 so viel Wasser, dass die Landschaft überschwemmt wurde.

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) gibt den Pegel der Stever am 26. Dezember mit 2,74 Metern an (Stand 18 Uhr). Das ist bislang der Höchstwert für dieses Jahr. Ein Pegel von 50 Zentimetern bis zwei Metern ist an der Messstelle Füchtelner Mühle der normale Mittelwert. Ab über zwei Metern spricht man von einem „mittleren Hochwasserstand“. Zum Vergleich: Am 19. Dezember lag der Wasserstand bei 75 Zentimetern - ab dann geht die Pegelkurve stetig nach oben.
In der Nacht zum 26. Dezember erreichte die Stever dann auch den sogenannten „Informationswert 2“ der bei einer Höhe von 260 Zentimetern liegt. Vom „Informationswert 3“ ist der Fluss noch gut einen Meter entfernt (350 Zentimeter). Auch am sogenannten Stever-Tunnel (unter dem Dortmund-Ems-Kanal) haben sich die Wassermassen breit gemacht. Gleiches gilt für den Bereich zwischen Stever und Ternscher See. Der Weg, der eigentlich dort entlang führt, ist aktuell durch die Überflutungen nicht nutzbar.
Kanal für Schiffe gesperrt
Auch die Lippe rauschte an Vinnum in den vergangenen Tagen mit deutlich mehr Wasser vorbei. An der Messstation nahe der Rauschenburg lag der Pegel am Dienstagabend gegen 19 Uhr bei 6,76 Metern - also noch mal einige Zentimeter höher als in der Lüner Innenstadt. Innerhalb von zwei Tagen war der Wasserstand hier um gut einen Meter gestiegen. Teilweise so stark, dass nahe der Vinnumer Straße das Wasser sehr nah an die Wege herankam. Eine Straßensperrung wie etwa in Werne war hier laut Olfens Feuerwehrsprecher Carsten Nieländer aber bislang nicht notwendig. In der Facebook-Gruppe „Du bist Olfener, wenn...“ berichtete ein User gegen 18.30 Uhr, dass vor der Lippebrücke Richtung Waltrop das Wasser linksseitig über die Fahrbahn geht und Vorsicht geboten sei.

Dort, wo südlich von Olfen die Lippe unter der Neuen Fahrt entlang fließt, haben sich ebenfalls immense Wassermassen gesammelt. Bäume und Sträucher stehen zur Hälfte oder ganz unter Wasser. Auch das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt war am 2. Weihnachtsfeiertag vor Ort. Denn auch der Kanal führt zu viel Wasser, sodass die Schifffahrt gesperrt werden musste.
Amtsleiter Ulrich Wieching erklärte, dass durch den hohen Pegelstand nicht mehr alle Schiffe unter den Bauwerken, wie etwa Brücken, hindurch passen. „Die Schiffe können hier nicht mehr sicher fahren. Sie würden auch Uferbereiche schädigen, da die Heckwellen durch das viele Wasser zu hoch wären.“ Um die Pegel-Lage zu entspannen, haben die Verantwortlichen Wasser vom Kanal in die Lippe gelassen. Dies passiert über ein sogenanntes Entlastungsbauwerk. Damit kann gezielt Wasser abgegeben werden. Vier Kubikmeter pro Sekunde schafft dieses Bauwerk.

Viel Stau gebe es auf dem Kanal durch die Sperrung aber nicht, so Wieching. „Die meisten Schiffe waren über die Feiertage an ihren Liegeplätze. Die, die jetzt noch fahren wollen, sind erst gar nicht losgefahren oder haben sich an die Liegeplätze gelegt. Zudem wird aktuell eh nur von 6 bis 14 Uhr geschleust, sodass die Schiffe nur zwischen den Schleusen fahren könnten.“
Wann sich die Lage vor Ort entspannt und die Schiffe wieder normal fahren können, mochte Wieching nicht prognostizieren. „Wir müssen hier von Tag zu Tag entscheiden. Der Boden ist ja überall gesättigt, sodass das hier eine Zeitlang dauern kann.“ Für den Amtsleiter ist die aktuelle Lage schon besonders: „So etwas haben wir hier Jahrzehnte nicht gehabt.“
Angst um Tiere in den Auen
Laut Carsten Nieländer von der Feuerwehr Olfen gab es wegen dem vielen Regen und dem starken Wind vier Einsätze über die Weihnachtsfeiertage verteilt. Hier mussten die Feuerwehrleute Äste und Baumkronen, die entweder bereits auf die Straße gefallen sind oder drohten abzubrechen, entfernen. Niemand sei hierbei verletzt worden, so Nieländer.
Ein Einsatz an der Eversumer Straße habe etwas länger gedauert - gut zwei Stunden-, da sich hier die Krone relativ stark verkantet hatte. Sonst habe es keine weiteren Einsätze wegen des Hochwasser gegeben, sagt er am Dienstagabend gegen 17 Uhr. Auch Straßensperrungen seien ihm bislang nicht bekannt. Einige Personen hätten sich über Weihnachten Sorgen wegen der Tiere in den Steverauen gemacht, berichtet Nieländer. Doch hier gibt es Entwarnung. „Norbert Niewind kümmert sich um das (Bei-) Füttern der Tiere in der Steveraue. Ausreichend hohe Rückzugsmöglichkeiten sind noch vorhanden“, sagte Wilhelm Sendermann am Montag (25. Dezember).

Ein Blick auf die Wettervorhersage lässt nur ein kurzes Aufatmen zu. Denn Donnerstag und Freitag soll es wieder stärker regnen. Und auch wenn die hohen Pegelstände an der Lippe und der Stever keine direkte Bedrohung für die Bevölkerung darstellen, warnt die Emschergenossenschaft Lippeverband. „Die Leute sollen sich von den Deichen und Gewässern fernhalten. Wir brauchen keine Schaulustigen und Hochwasser-Touristen. Das kann gefährlich werden“, sagt EGLV-Pressesprecher Ilias Abawi. Es reiche ein falscher Schritt. Und dann stehe man nicht mehr nur mit den Knöcheln, sondern komplett im Wasser.
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