Eigentlich alles sprach dagegen. Trotzdem haben sich die Vinnumer nicht aufhalten lassen: Die Dorfgemeinschaft baute vor 50 Jahren ihre eigene Kirche. Und das bereits zum zweiten Mal.
Fromm und gehorsam? Paul Ostrop schmunzelt und schüttelt unmerklich den Kopf. Die Menschen, von denen er in den nächsten eineinhalb Stunden sprechen wird, hatten zwar einen starken Glauben. Aber auch einen ebenso starken Widerspruchsgeist. Und diese „gewisse Vinnumer Schlitzohrigkeit“.
Gleich zwei Kirchen
Die passenden Eigenschaften, um gegen alle Widerstände eine eigene Kirche zu bauen. Oder besser: gleich zwei: 1897 die erste und 1968 – vor bald genau 50 Jahren – die zweite. Wie das gelang, kann niemand so lebhaft erzählen wie der Landwirtschaftsmeister Ostrop, der nicht nur der nächste Nachbar von St. Marien ist, sondern auch ein tatkräftiger Zeitzeuge.

Die Kirche aus dem Jahr 1968 wirkt immer noch modern. Paul Ostrop (l.) berichtet Pastoralreferent Martin Reuter und Petra Heinrich vom Arbeitskreis Vinnum über die Baugeschichte. © Sylvia vom Hofe
Freitagnachmittag auf der Ecke Borker Straße/Hauptstraße: Die Dachdecker arbeiten mit Hochdruck. Sie wechseln schadhafte Schieferplatten am Kirchturm, der nicht auf der Kirche thront, sondern ein paar Schritte entfernt steht. Der Orkan Friederike hatte die Platten im Januar herab gerissen. „Bis zum 8. September, wenn wir den 50. Geburtstag der Kirche feiern, soll alles fertig sein“, sagt Pastoralreferent Martin Reuter, während er mit langen Schritten den gepflasterten Kirchplatz überquert und im Pfarrheim verschwindet.
150 Jahre alte Kirchenbaugeschichte
In dem 1986 fertiggestellten Gebäude wartet schon Paul Ostrop. Auch er muss sich beeilen – um in 90 Minuten rund 150 Jahre alte Kirchbaugeschichte seines Heimatortes zu erzählen. Inklusive der lustigen Anekdoten, „die sie aber besser nicht schreiben“, wie er von der Reporterin fordert – vergebens, denn sie hat sich ein Beispiel genommen an den Vinnumern und ihrem erfolgreichen Widerspruchsgeist.

Anfangs hatte Vinnum nur eine Hofkapelle (etwa am heutigen Kreisverkehr Hauptstraße/Olfener Landweg). Das alte Foto aus Maria Lohmanns Familienbesitz zeigt das 1985 abgebrochene Gebäude. © Sylvia vom Hofe
Allen voran: Josef Horstmann (1848-1912). „Junggeselle, Schmied und Hochzeitsbitter“, stellt Ostrop vor. „Letzteres ist so etwas wie Eventmanager.“ Horstmann sei von Tür zu Tür gegangen, habe Gäste eingeladen und später für die Unterhaltung gesorgt: ein geselliger Mann, den alle kannten – und ein tief religiöser dazu, der auch als Laie Initiative ergreift.
Wie seine Nachbarn geht er an den Sonn- und Feiertagen jeweils fünf Kilometer zur Kirche nach Olfen und wieder zurück. Zu den Andachten muss aber niemand so weit. Horstmann hält sie zwischen Mai und August sonntags selbst ab: in der 1866 erbauten und 1985 abgerissenen kleinen Hofkapelle der Familien Krutwage/Lohmann und Lohaus am heutigen Kreisverkehrsplatz Olfener Landweg/Hauptstraße.
Dort mag ihm irgendwann die Idee gekommen sein zu einem Vinnumer Gotteshaus. Dass der Olfener Pfarrer sich gar nicht dafür erwärmen möchte und auch das Geld fehlt? Macht nichts, Horstmann beginnt ab 1892 zu sammeln. Vier Jahre später hat er genug zusammen. Gleich drei Bauern bieten unentgeltlich ein Kirchengrundstück an. Die Wahl fällt auf die Fläche von Witwe Ostrop. Beim Bauen packen alle mit an. 1897 ist die Kapelle fertig: ein repräsentatives Kirchlein mit rund 40 Sitzplätzen, in der jetzt Andachten und die Christenlehre stattfinden können. Horstmann will aber mehr.

1867 kann die Gemeinde umziehen in die selbst errichtete Kapelle St. Marien am heutigen Standort Borker Straße/Hauptstraße. © Sylvia vom Hofe
Wir bitten um Ihre Hilfe (...) dass die Hl. Messe darin gefeiert werden kann“, schreibt Horstmann 1902 an den Olfener Pfarrer August Dirking. Die Vinnumer hatten erst gar nicht auf die Genehmigung gewartet, sondern bereits vorsorglich einen Altar aufgebaut. Dirking lehnt ab und verweist darauf, dass es den drei Olfener Geistlichen nicht möglich sei, für Vinnum Verpflichtungen zu übernehmen. Das mit dem Altar kommt gar nicht gut an: „Das Heimlichtun gegenüber den eigenen Geistlichen ist bezeichnend für das Ganze.“
„Aber das schreiben Sie nicht“
Paul Ostrop macht eine kurze Pause. Klar, war das nicht das letzte Wort für die Vinnumer. „Sie haben eine Abordnung zum Bischof geschickt“ – mit Erfolg. Patres aus einem Kloster bei Datteln kommen von nun an regelmäßig, um in Vinnum die Messe zu lesen. Und die Beichte zu hören. Ostrop grinst. „Es gab unter den Beichtvätern auch einen Pater Kilian, der schwerhörig war“, erzählt er. „Noch nie sind so viele Leute beichten gegangen wie damals. Aber das schreiben Sie nicht.“ Auch nicht, wie sehr die Vinnumer Eigenbrötlerei Pfarrer Dirking in Olfen ärgerte. „Ein Volk der Kartenspieler und Säufer“ habe er die Vinnumer geschimpft.

1967 wird die Kapelle zu eng für die wachsende Gemeinde. Wieder packen die Vinnumer selbst an und reißen das Gotteshaus ab, wie dieses Foto aus Paul Ostrops Sammlung zeigt. © Sylvia vom Hofe
Sieg auf voller Linie, wenn da nicht die schlechte Bausubstanz gewesen wäre. „Die Kapelle war feucht“, sagt Ostrop auch aus eigener Erinnerung. Die Heizungsanlage von 1929 habe nie richtig funktioniert. Und es fehlte an Platz für die wachsende Gemeinde. 1967 steht fest: Eine neue Kirche muss her: modern, warm und mit 340 Plätzen sehr groß. 900.000 Mark soll kosten, was der Dorstener Architekt Manfred Ludes plant.
100.000 Mark müssen die Vinnumer aufbringen. Andernorts wäre daran die Verwirklichung des Plans gescheitert. Nicht in Vinnum. Dabei hatten die Mitglieder des Kapellenvereins von 1906 bis 1965 ohnehin schon jährlich den Unterhalt für das Kirchlein aufgebracht. Und den Bau des Pfarrhauses 1952 hatte sie auch finanziert, obwohl die Gemeinde damals noch gar keinen Pfarrer hatte: Ostrop lächelt. „So klappt das hier in Vinnum.“
- Am Samstag, 8. September, beginnt um 16.30 Uhr die Festmesse in der Marienkirche. Parallel dazu wird es auch eine „Kinderkirche“, ein Angebot für Mädchen und Jungen, geben.
- Der emeritierte Weihbischof Dieter Geerlings wird kommen.
- Anschließend findet ein Fest mit Musik und Tanz im Zelt statt
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
