Über der Wohnzimmertür hängt schon der Schriftzug „Herzlichen Glückwunsch“, am nächsten Tag wird ein passender Geburtstagskuchen gebacken. Eigentlich ist es für Corinna Werner, ihren Mann Gerd Wenner und ihre beiden Söhne ein ganz normaler 17. Geburtstag ihres Sohnes bzw. Bruders. Und doch auch ganz und gar nicht: Denn Elias aus Olfen starb am 2. September 2023 im Alter von 15 Jahren in seinem Zimmer an den Folgen der Deo-Challenge. Bei dem Tiktok-Trend atmen Jugendliche Deos und Haarsprays ein, das darin enthaltene Gas Butan kann bei starker Dosis zum Tod führen. Eine nach seinem Tod vorgenommene Untersuchung von Elias‘ Computer bestätigte den Verdacht, dass er entsprechende Videos auf der Video-Plattform angeschaut hatte.
Überlegungen, rechtliche Schritte gegen den hinter Tiktok stehenden Konzern einzuleiten, verwarf die Familie aber bald wieder. „Wir haben insgesamt viel Kraft in dieser Zeit gelassen und es deshalb auch auf Rat der Polizei dabei belassen“, erzählt Corinna Werner jetzt beim Gespräch rund ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes. „Die Trauer sitzt im Hinterkopf und das wird ewig so bleiben“, ist sie sich sicher. Aber deswegen auf eine fröhliche Geburtstagsfeier zu verzichten, das kommt nicht infrage. „Letztes Jahr haben wir am Grab schon Happy Birthday gesungen. Manche gucken uns dann etwas schräg an, aber wir sind da schmerzfrei“, schmunzelt die 49-Jährige. Genauso will Elias‘ Familie auch in diesem Jahr wieder feiern.
Humor gehört dazu
Das Grab konnte die Familie auch mit der finanziellen Unterstützung zahlreicher Spender so gestalten, wie es Elias gerecht wird. „Das Grab ist insgesamt sehr bunt, auch die Beerdigung war schon sehr farbig gestaltet. Der Grabstein ist aus holzähnlichem Material, weil Elias immer viel mit Holz gebastelt hat. Das passt alles sehr gut“, findet die Mutter des Jugendlichen. In der Wohnung erinnern an verschiedenen Stellen Bilder, die verschiedenen Mützen des begeisterten Kappen- und Mützenträgers Elias oder eine vom Bestatter abgeschnittene Haarsträhne an den Sohn und Bruder. Nicht nur deshalb sagt Corinna Werner aber: „Er ist an jedem Tag bei uns präsent, jeden Tag Teil von irgendetwas.“
Heute herrscht eine ganz andere, leichtere Atmosphäre in dem Haus, das vor 13 Monaten noch von dem tragischen Tod eines Familienmitglieds bestimmt war. „Trauer gehört dazu und das ist anfangs ein großer Berg, den man erklimmen muss. Aber man darf das Leben nicht vergessen, das ist ganz wichtig“, kann die Olfenerin heute mit Überzeugung sagen. Das bedeutet im Alltag etwa, dass Elias im Jenseits für den einen oder anderen Zwischenfall verantwortlich gemacht wird. „Wenn irgendetwas plötzlich umfällt, sagen wir immer: Eli, hör auf, hier rumzugeistern. Wenn bei den Kindern der Fernseher ausgeht, hören wir schon, wie sie rufen: Eli, lass den Mist“, erzählt Corinna Werner. Gerade für die beiden Kinder, die regelmäßig eine Kindertrauergruppe in Dülmen besuchen, sei es sehr wichtig, humorvoll damit umgehen zu können. Als ihnen das als Familie gelang, sei es steil bergauf gegangen, berichtet die Mutter.

Mutter will Eltern helfen
Auch Gerd Wenner ist nach einigen Wochen Pause wieder in seinen Beruf als Lkw-Fahrer zurückgekehrt. Auf manch einer langen Fahrt musste auch er die eine oder andere Träne verdrücken, aber sein Unternehmen habe ihn bestmöglich unterstützt. Der Familie halfen auch, wie Corinna Werner heute erzählt, die vielen positiven Rückmeldungen auf ihre Offenheit im Gespräch mit dieser Redaktion und auch im Fernseh-Beitrag für die RTL-Sendung „Stern TV“. „Viele Eltern haben sich bedankt, weil sie auf das Thema aufmerksam wurden und jetzt genauer hingucken. Da gab es sogar Rückmeldungen aus der Schweiz. Das war ganz wichtig für uns“, macht sie deutlich.
Kurz nach dem Verlust eines Kindes sei die Trauerbewältigung nämlich für Eltern und Geschwister schwierig. „Verwaiste Eltern und Geschwister werden alleine gelassen und es gibt zu viele davon. In entsprechenden Facebook-Gruppen melden sich jeden Tag neue Mitglieder“, stellt die 49-Jährige aus eigener Erfahrung fest. Das Angebot „Du kannst mich immer anrufen“ sei zum Beispiel aus ihrer Sicht eher eine Floskel, Trauernde brauchten Freunde, die aktiv auf sie zugehen: „Man hat die Kraft nicht und will anderen nicht zur Last fallen.“ Weil sie Bedarf sieht, die Lage für trauernde Eltern zu verbessern, macht Corinna Werner derzeit eine offizielle Ausbildung zur zertifizierten Trauerbegleiterin. „Ich kenne alleine in meinem Bekanntenkreis mehrere verwaiste Eltern und es gibt einfach noch kein passendes Angebot. Das will ich für Betroffene bieten“, schildert sie ihre Motivation, anderen bei der Bewältigung zu helfen.

Brüder übernehmen Zimmer
Jede Woche spricht sie am Grab mit ihrem Sohn Elias. „Das Gespräch läuft ganz normal, als ob er vor mir stehen würde. Und wenn ich sehe, dass eine Schnecke Blumen auf dem Grab gefressen hat, frage ich ihn schon mal vorwurfsvoll, ob er nicht besser hätte aufpassen können“, sagt Corinna Werner und lächelt.
In dem Kinderzimmer, in dem Elias gestorben ist, lebt mittlerweile der ältere seiner beiden Brüder. „Er ist ganz stolz, dass er jetzt da wohnt. Abends kommt dann häufig sein Bruder zu ihm und dann schlafen sie gemeinsam in dem Zimmer“, erzählt ihre Mutter. Und wenn dann plötzlich etwas unvorhergesehen umfällt, wissen sie, dass sich vielleicht auch Elias wieder einmal heimlich bemerkbar macht.